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Ein Herz ist nicht genug

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An einem sonnigen Nachmittag in der ehemaligen Radsporthalle auf dem Münchner Olympiagelände klappt ein freundlicher Herr ein Holzgitter nach oben und nach unten, ein Gitter, von dem man schon bald erfahren wird, dass es Leben retten kann. Das Holzgestell ist befestigt an einer hübschen und entsprechend kostspieligen Vollholzkommode, man kann es in dem Möbelstück versenken und bei Bedarf kann man es nach oben holen – und das sollte man auch. „Sie glauben ja gar nicht“, sagt der freundliche Herr, „wie viele Kinder beim Sturz von der Wickelkommode verunglücken.“

Herr und Kommode stehen im zweiten Stock der „Babywelt“, einer „Messe rund um Ihr Kind“. Es ist, das muss man so deutlich sagen, die Hölle aller nervös gewordenen Eltern und supernervösen werdenden Eltern. Insgesamt 160 Aussteller ziehen mit der Messe durchs Land, gerade waren sie in München, Anfang November sind die Muttis und Vatis der Hauptstadt im Visier. 160 Aussteller, die all den zahlreich herbeigeeilten jungen Paaren (sichtlich in Erwartung eines Kindes oder mit tütenbeladenen Kinderwägen) zeigen, was man für so ein Baby alles braucht. Es ist mehr, als man glaubt – viel mehr.



Knapp 700.000 Geburten im Jahr 2013 sind ein großer Markt für eine boomende Baby-Industrie.

Es gibt „für jedes Alter das richtige Öl“, das richtige Schlafsäckchen und die richtige Decke (im Design mal lausbubenfrech, mal minimalistisch), dazu einen Fotografen, der das Neugeborene in eine Stricksocke, ein Bastkörbchen oder auf Wunsch sicher auch in eine aufgeschnittene Gemüsehälfte legt. Am besten etwa zehn Tage nach der Geburt, lernt man, da werden die Bilder besonders schön. Dazu ein heiteres Rahmenprogramm für Vater, Mutter, Kind mit singender Ente – „Eins! Zwei! Drei! Quak! Quak! Quak!“ – und einem halben Dutzend Mütter, die sich ihre ratlos dreinschauenden Kleinkinder auf Bauch und Rücken schnallen, um derart bepackt dem geneigten Messebesucher einen Gruppentanz vorzuführen.

Was lernt die werdende Mutter an einem Nachmittag auf so einer Veranstaltung? Die zentralen Voraussetzungen für ein glückliches, nein, überhaupt für ein Babyleben sind dem Slalomlauf zwischen Messeständen zufolge: Biobaumwolle, Bioessen und Biogetränke (auch im Tetrapack), dazu Trage- und Schiebevorrichtungen und Nahrungsergänzungsmittel. Alles käuflich zu erwerben, am liebsten gleich am Stand. Vollkommen gratis gibt es dafür die Erkenntnis: Die größte Bedrohung für dein Kind bist du selbst.

Wer schon mal in einem Drogeriemarkt vor dem Regal mit den Folsäure-Präparaten stand, der weiß, dass sich die wahrscheinliche Gesundheit und das Glück eines Kindes schon lange vor dessen Geburt anhand der elterlichen Konsumbereitschaft errechnen lassen. In den Regalen gibt es nebeneinander etwa zehn Varianten des Vitamins von unterschiedlichen Herstellern für ein paar Euro – und es gibt die hübsche Packung mit der gezeichneten Schwangeren auf der Schachtel. Die kostet geschätzt das Vierfache.

Die Preispolitik auf dem Markt für Kleinkindprodukte erinnert an den für Eheleute. Alles, auf dem das Wort „Hochzeit“ geschrieben steht, etwa ein Brautstrauß, kostet das Doppelte. Alles, auf dem das Wort „Baby“ steht, sowieso. Angeblich, so teilen es Frauen im Internet mit, kann der Körper die Folsäure aus der hübschen Packung besser aufnehmen, also lässt man am Ende seinen Verstand in der Drogerie und kauft die teure Schachtel. Sein Kind ist nun wirklich die allerletzte Stelle, an der man gespart haben will.

Auch der Fabrikant für die schön gestalteten Schwangerschaftsvitamine hat natürlich einen Stand auf der Babywelt, und gemeinsam mit all den Versicherungsvertretern („Damit die junge Familie gesund und munter bleibt!“), Herstellern TÜV-geprüfter und ergonomischer Sitz- und Liegegelegenheiten für den Säugling, Produzenten tiefgekühlter Biobeikost und ewig haltbarer Krabbelschuhe, mit Betreibern von Geburtskliniken und mit Still-Lobbyistinnen erzählt eine Veranstaltung wie diese eine so simple wie Furcht einflößende Geschichte: Alles, ihr lieben Eltern, liegt in eurer Hand. Beziehungsweise in eurem Geldbeutel. Wer alles kauft und alles berücksichtigt, der bekommt quasi einen Garantieschein für ein gesundes und ausgeglichenes Kind mitgeliefert. Wer sich verweigert, der ist am Ende selber schuld.

Man ist schon ganz benommen vom gewaltigen Lärm der Messe und der biologisch abbaubaren Gehirnwäsche, als man noch einer Dame mit einem Packen Flyer in die Hände läuft: Entbindung unter Hypnose. Die ersten drei Geburten, berichtet sie lächelnd, habe sie ohne Hypnose gemacht, auch sehr schöne Erfahrungen. „Aber als ich beim vierten Kind mit den Übungen angefangen habe, da ist es einfach ganz toll durchgelaufen.“

Darauf einen Liter Folsäure.

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