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Auf Kur mit Lady Gaga

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Nur 30 Minuten hat es gedauert, dann ist Sandra Jozipovic an diesem Montagmorgen geschminkt: Schwarze Corsage, riesige Haarschleife und schwarze Leggings in Lederoptik, dazu ein Zacken-Design über dem rechten Auge. Schaut, nun ja, gewagt aus. Und würde sie hier in Baden-Baden, im Ort des Fernsehstudios, damit herumlaufen, käme wohl die Polizei, um nach dem Rechten zu sehen. Aber es geht ja gerade nicht ums Leben normaler Menschen, sondern um das von Lady Gaga: Jozipovic dreht eine Sendung über die Sängerin – in deren Look. Schnell ist die Moderation eingesprochen („Lady Gaga sagt: Ich bin lieber fett als oberflächlich! Ein sehr geiles Statement!“). Nächste Szene, ein Kronleuchter wird dazugeschoben. Fertig. Das Ganze ist zu sehen in der Sendung Beatzz auf dem eher unbekannten Spartensender EinsPlus, der vom SWR verantwortet wird. Aber bald, so hoffen die Macher, wird das Format richtig Strahlkraft bekommen: Beatzz ist eines der Programme, das ARD und ZDF hinüberheben möchten in ihr neues, bundesweites Jugendangebot, das im digitalen TV und im Internet zu finden sein soll.



Fernsehen für junge Leute: Die Talkshow Roche & Böhmermann.

So es denn kommt. Das entscheidet sich an diesem Freitag möglicherweise. Dann diskutieren die 16 Ministerpräsidenten voraussichtlich, ob sie den Auftrag erteilen und Geld bereitstellen. Oder ob das Problem der öffentlich-rechtlichen Sender mit der Jugend anders gelöst werden muss und Lady Gaga in der Nische bleibt. Noch ist die Lage unübersichtlich. Aber sollte es so kommen, wird der SWR, quasi der ARD-Jugendbeauftragte im beschaulichen Baden-Baden, eine zentrale Rolle spielen.

Fest steht für wirklich alle, für Redakteure, für Intendanten, für die Politiker, für die Jugend selbst: Ein Problem mit der Ansprache von jungen Leuten gibt es definitiv. „Generationenabriss“ heißt das beim Ersten, dem Zweiten und bei den Dritten. Junge Leute schauen diese Sender kaum noch, weil es kaum etwas Überraschendes gibt. Ein paar experimentelle Programmfenster vielleicht, Beatzz etwa oder das Neo Magazin mit Jan Böhmermann. Aber insgesamt ist die Konkurrenz unterhaltsamer: ProSieben, RTL Nitro, Joiz oder Leute wie LeFloid, die auf Youtube jede Woche hunderttausende Zuschauer haben.

Seit mehr als zwei Jahren planen die Öffentlich-Rechtlichen daher unter Führung von SWR-Intendant Peter Boudgoust, all ihre jungen Nischenangebote zu bündeln – in einem medienübergreifenden Angebot, das sich von der Zielgruppe her zwischen KiKa und Neo positionieren soll.

Doch es hakt. Die Bedenkenträger sind Bayern, Sachsen – und die eigenen Leute: Junge Leute würden doch kaum mehr normales TV nutzen, sagt etwa Johannes Beermann, Staatskanzleichef in Dresden. Überhaupt liege bis heute kein überzeugendes Konzept vor. Auch die Finanzierung sei nicht abschließend geklärt.

Tatsächlich steht gemessen am Milliardenbudget von ARD und ZDF wenig Geld bereit: 45Millionen Euro pro Jahr, zwei Drittel von der ARD, ein Drittel vom ZDF, in Mainz dürfte wohl auch die Chefredaktion sitzen. Absurd sei dieser Ort für ein junges Programm, sagen erfahrene Fernsehmacher; und mit dem bisschen Geld lasse sich nichts anfangen. „Da hab’ ich keinen Bock drauf!“, schimpft einer von ihnen, der aber nicht in der Zeitung stehen will, die Sender sind schließlich auch Arbeitgeber. Schöne Serien ließen sich dafür nicht kaufen und auch gute Eigenproduktionen nicht stemmen oder höchstens zu prekären Arbeitsbedingungen. So ein neuer Sender sei nicht machbar in Zeiten von Personalkürzungen, klagt auch der Personalrat des ZDF. Dessen Intendant Thomas Bellut wird in Potsdam gemeinsam mit dem ARD-Vorsitzenden Lutz Marmor werben. Beide hoffen wohl, dass die Befürworter in der Zwischenzeit noch Überzeugungsarbeit leisten.

In München dürfte viel an Ulrich Wilhelm hängen, dem Intendanten des Bayerischen Rundfunks. „Es gibt in einigen Ländern Zweifel, ob die vereinbarten 45 Millionen Euro ausreichen“, sagt er. Aber man werde damit auskommen. Und zwar durch neue Produktionsformen, die mit neuer Bildsprache und ohne aufwendige Großgerätschaften arbeiten. Wie seine Jugendwelle Puls das macht. Oder eben Beatzz entsteht. Dort filmen und schneiden Mediengestalter digital; das Material ist ohne weiteren Aufwand für Radio und Internet verwendbar; zwei Drittel des Teams spart das. Ob so etwas Tolles rauskommt, daran scheint aber auch Wilhelm seine Zweifel zu haben: „Die Vorgabe der Länder lautet nicht: Macht das Bestmögliche zu einem beliebigen Preis. Sondern macht etwas Gutes im Rahmen des möglichen Budgets.“

In Baden-Baden kennt man all die Bedenken. Als letztes Mittel haben sie für den Freitag einen 15-Minuten-Trailer vorbereitet. Im schnellen Schnitt: Konzert-Interviews, viel Musik und ein bisschen Reportage. Ein Stakkato an Argumenten halten die Planer und Macher bereit, wenn man mit ihnen im „E-Lab“ vor dem Beatzz-Studio auf den Sofas aus Holzpaletten sitzt: Die Jugend müsste doch endlich etwas bekommen für ihren Rundfunkbeitrag. Wobei: Jugend, nein, dieser Begriff sei schwierig. Würde man das noch namenlose Angebot so betiteln, dann wäre das bereits das vorweggenommene Todesurteil. Und, nein, man werde nicht allein vom Kurort aus etwas produzieren. Schon klar, hier ist nicht der Nabel der Welt. Die Truppe spielt einen Trailer ab, Wolfgang Gushorst, Programmchef der SWR-Jugendwelle DasDing, zeigt auf die neun Logos der Radio-Jugendwellen: „Wir vernetzen das Know-how und die Inhalte dieser jungen Redaktionen an den verschiedensten Standorten.“ Das spare Kosten und daraus entstehe Gutes. Und ja, auch Nachdenkliches sei geplant, Walulis sieht fern etwa, wo Philipp Walulis TV-Peinlichkeiten dechiffriert. Der junge Produzent und Moderator befürwortet den Jugendkanal: Es bringe nichts, wenn junge Inhalte in den behäbigen Hauptprogrammen „zwischen Volksmusik und Eisenbahnsendungen“ versteckt werden.

Und dann wirbt da auf dem Holzpaletten-Sofa ausgerechnet noch Alexander von Harling für die Jugend. Harling verantwortet EinsPlus. Und sagt: Sein Sender könne mit dem vorgegebenen Programmmix kein attraktiver Anlaufpunkt für junge Leute sein. Da fehle ein eindeutiges Profil. EinsPlus, Eins Festival und ZDF Kultur würden deswegen eingestampft, wenn das junge Angebot käme: „Ich kann mir nicht vorstellen, mit welcher Begründung die Politik das ablehnen sollte.“

Das versteht auch Silke Krebs nicht, die Medienministerin in Baden-Württemberg, deren 20-jährige Tochter übrigens keinen Fernseher hat. Das Budget sei klein, aber lieber so als gar nichts, sagt Krebs. Wenn der Kontakt zu den Jungen gänzlich abrisse, „dann ist das gefährlich für unser Land, weil womöglich keine ausgewogenen Informationen mehr an die jungen Leute kommen.“

Reichen die Argumente? Die Ministerin zögert. „Ich hoffe auf Zustimmung am Freitag“, sagt sie dann. Denn einen weiteren Anlauf wird es wohl nicht geben.

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