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Klick und Peng

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Irgendwo im Hinterland von Austin, Texas. Die Sonne steht tief, Mücken schwirren im Gegenlicht. Zwei Männer beugen sich über eine auf dem Boden ausgebreitete Decke. Darauf: ein zerlegtes Sturmgewehr vom Typ AR-15. Routiniert setzen die beiden die Waffe zusammen, grinsen sich an, stecken das Magazin ein und schießen auf ein paar leere Dosen, die sie auf einen Stein gestellt haben. Nach etwa 30 Schuss – Ladehemmungen. Doch zufrieden sehen beide trotzdem aus.  

Eine ganz normale Szene, hochgeladen auf Youtube, irgendwo in Amerika. In diesem Fall aber noch viel mehr: Denn die Waffe ist selbstgebaut. Und einer der beiden wurde 2012 von Wired zu einem der 15 gefährlichsten Menschen der Welt gewählt. Sein Name ist Cody Wilson, er ist 26 und seine Mission ist: die „Wiki-Weapon“. 

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Cody Wilson, 26, sieht sich als Freiheitskämpfer. Er will allen Zugang zu Waffen geben.

Die Idee dahinter ist simpel aber brisant: Was wäre, wenn man sich eine Waffe selbst herstellen könnte? Mit seinem eigenen 3D-Drucker, in seinem eigenen Wohnzimmer. Wann immer und so oft man möchte. Schnell und billig. Eine Vorstellung, die zwar nach Zukunft klingt, aber in ein paar Jahren bereits Realität sein könnte. Gerade hat Cody Wilson einen riesigen Schritt in diese Richtung gemacht. Ladehemmungen wie in seinem Video wird es mit seiner neuen Erfindung nicht mehr geben.

Doch von vorn. Die Technologie des 3D-Drucks entwickelt sich rasant. Codys Gedanke: Wenn man einen Teller oder eine Gabel ausdrucken kann, warum sollte das nicht mit Waffen ebenfalls funktionieren? In Amerika hat sich aus diesem Gedanken eine ganze Bewegung etabliert, die sich „Wiki-Weapon-Movement“ nennt.
  
Anfangs tat man sich schwer, eine funktionsfähige Waffe herzustellen. Das flüssige Plastik der Drucker verzog sich beim Aushärten und die einzelnen Teile ließen sich nicht passgenau zusammensetzen. Die Pistole wurde somit zur Gefahr für den Schützen und seine Hand. Nur ein paar wenige Enthusiasten trauten sich überhaupt damit zu schießen. Von einer massentauglichen Herstellung war man weit entfernt. Doch trotz dieser Start-Schwierigkeiten war die Aktion im Netz ein voller Erfolg. Als Cody Wilson 2012 die Datei mit der Volage für den Druck seiner Waffe ins Netz stellte, wurde sie mehr als 100.000 Mal heruntergeladen. Danach musste er die Pläne aus dem Netz nehmen.

Aber die Leute um „Defense Distributed“ wollen noch weiter gehen und arbeiten ständig an Verbesserungen. Der neueste Coup: statt spröden Plastikteilen benutzen sie gefrästes Aluminium. Dazu haben sie den „Ghost Gunner“ entwickelt - eine computergesteuerte Fräse im handlichen Format.

Im Internet lassen sich nämlich alle Teile des AR-15-Gewehrs ohne Probleme bestellen. Bis auf eines: den sogenannten „lower receiver“. Dieses massive Teil besteht meistens aus Stahl oder Aluminium und beherbergt die Mechanik und den Abzug der Waffe. Nach US-amerikanischem Recht gilt dieses Teil als die eigentliche Waffe. Hier sitzt die Seriennummer, die eine staatliche Kontrolle erlaubt.  

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Der "Lower Receiver", das Herzstück des AR-15-Gewehrs

Doch es gibt ein legales Schlupfloch: Ist der „lower receiver“ nur zu 80% fertig gestellt, darf er frei verkauft werden. Eine gültige Adresse in den USA genügt, um dieses Teil legal und direkt an die Haustür geliefert zu bekommen. Doch wie die letzten Arbeitsschritte ausführen? Der „Ghost Gunner“ schafft Abhilfe. Man legt den „lower receiver“ ein und ruck-zuck bohrt die Fräse die letzten Löcher und trägt überschüssiges Material ab. Jetzt noch mit den anderen Teilen zusammenbauen - fertig ist das jetzt sehr viel stabilere Schießgewehr. Innerhalb von zwei Tagen wurde die Fräse schon 300 Mal bestellt.Und handwerklich anspruchsvoll sieht der Zusammenbau auch nicht aus. 

Für Cody Wilson ist sein Projekt ein politischer Akt. In Interviewsim amerikanischen Fernsehen sagt er, seine Idee einer frei zugänglichen und selbstgebauten Waffe, sei eine Reaktion auf den Verlust von Freiheit und Selbstständigkeit. Das „Wiki-Weapon Movement“ sorge für eine Verschiebung der Machtverhältnisse hin zum Bürger.  Beschränkungen sind für ihn und seine Mitstreiter ein Zeichen von Schwäche. Durch den freien Zugang zu unkontrollierten Waffen sollen alle ein bisschen gleicher werden.

Dieser Gedanke erscheint uns Europäern eher fremd. Niemand will ständig damit rechnen müssen, in den Lauf einer gebastelten Pistole zu schauen. Erhöht man die Dichte an Waffen, erhöht man automatisch die Wahrscheinlichkeit, dass jemand den Abzug zieht. In den Staaten sind Waffen in Privatbesitz aber normal:  Mehr als 300 Millionen Waffen befinden sich dort in privaten Händen. Die Zahl der Opfer durch Handfeuerwaffen nähert sich in den USA regelmäßig ihren Verkehrstoten an. Und in emotional geführten Debatten, werden Vorstöße, das Waffengesetz zu verschärfen, schneller abgeschmettert, als man Peng sagen kann - mit Argumenten à la „The only thing that can stop a bad guy with a gun, is a good guy with a gun“.

In Deutschland ist die selbstgebaute Waffe  verboten; niemand ohne offizielle Lizenz darf eine Schusswaffe herstellen. Aber das heißt nicht automatisch, dass es niemand tun könnte. Und was einmal in der Welt – und vor allem in Internet - ist, wird man nicht so leicht wieder los. Egal, ob das ein Nackt-Selfie ist oder die Anleitung zum Bau einer Waffe.

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