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Die Lebenshelferin

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Als ich Lena Dunham zum ersten Mal mal auf einer HBO-Party im September 2012 sah, sprachen wir für ein paar Minuten über die Tattoos auf ihrem Rücken. Zwei windschiefe Häuser, limonengrün. Lena setzte gerade an, ihren tieferen Sinn zu erklären – und warum sie keine Sanskritbuchstaben auf dem Arm trug, wie etwa neunzig Prozent der Mädchen in Hollywood, oder das Wort „vegan“ über den Pulsadern. Doch dann zog sie ein gut aussehender Mittfünfziger mit schwarzer Intellektuellenbrille weg. Die beiden gaben an diesem Abend ein merkwürdiges Bild ab – solange man noch nicht wusste, dass der Kerl ihr Vater Carrol Dunham war.

Lena, die Emmy-Gewinnerin, versuchte unauffällig auf dem orange-gelben Partyteppich zu wandeln. Für ihr schwarzes, riesig wirkendes Spitzenkleid schien sie etwa zwanzig Jahre zu jung zu sein. Dunham wusste nicht, wie man sich in so einem Kleid und mit einem Mann im Smoking am Arm bewegt. Neben ihr huschten all diese Los-Angeles-Körper vorbei. Yoga-Arme, Wespentaillen, Honigtonhaar, Zähne so hell, dass sie im Dunkeln leuchteten.



Lena Dunham (zweite von rechts) und ihre Schauspielkolleginnen der HBO-Serie "Girls"

Innerhalb von Sekunden aber hatte sich eine dicke, unentwirrbare Traube um Lena Dunham gebildet. Es war, als wollte sie jeder anfassen. Wie eine Statue, ein Gebilde, ja ein Tier, von dem man nicht weiß, ob es wirklich existiert – oder ob man sich seine Existenz nur einbildet. Hier, auf dieser Superkörperparty. Ein Mädchen mit Paris-Hilton-Look quatschte Lena Dunham irgendwann von der Seite an, um ihr betrunken zu gestehen, wie sehr es Lena verehre, ja liebe. Der Freund des Mädchens wollte damit nichts zu tun haben, er drückte sich hinter dem Tisch herum, ihm gefiel die Sache nicht. Schließlich riss er seine Freundin an ihrem Ärmchen von der Lenatraube weg. Das war das Interessante an dieser HBO-Nacht: Gegen die Faszination für Lenas Hintern, für die grünen Häuser auf ihrer Haut und das, was sie für Amerika getan hatte, kamen die ganzen Spitzenkörper des Abends nicht an.

Aber was hat Lena Dunham für Amerika getan? Sie hat die Serie „Girls“ geschrieben. Und dabei sich selbst erklärt. Sogar die große Meryl Streep spricht von einem „Public Service“, einem Dienst an der Öffentlichkeit, den Lena damit geleistet habe. Doch worum geht es?

Um die Seele von vier Mädchen in ihren Zwanzigern, geprägt von „08“, der letzten Wirtschaftskrise, und von der Erkenntnis, dass ein Leben in New York nicht mehr unbedingt glamourös sein muss – miese Wohnungen, schlecht bezahlte Jobs. Die vier gehören nicht mehr zur „Sex and the City“- Generation, die nach Erfolg gierte. Geld hat irgendwie keiner, nicht mal die Eltern. Oder die behalten es lieber für sich selbst. Hannah, gespielt von Dunham selbst, hat kein Glück mit ihrer Mutter, die sich lieber das „verdammte Landhaus“ kaufen will, als der Tochter mit 21 noch Geld zu geben. Einzige Kritik an „Girls“: Lenas regelmäßiger Einsatz ihres Körpers beim Sex. Und dass „Girls“ alles zeigt, was mit dem überprivilegierten, nepotistischen und weißen Amerika schiefläuft. Doch Lena spricht für sich selbst. Das ist ihre Qualität.

Dunhams eigene Geschichte klingt nicht nach Versagertum. Ihre Eltern, zwei erfolgreiche New Yorker Künstler, bringen Dunham keine Sekunde von ihrem Weg ab. Dunham besucht das Kreativ-College Oberlin und findet dort ihre Berufung als Autorin und Regisseurin. Einziges Hindernis und gleichzeitig größter Stofflieferant für ihr Schreiben: Lenas ganzer Ängstekatalog, der mit Psychopharmaka behandelt werden muss. Mit „Tiny Funiture“ aus dem Jahr 2010 landet Lena ihren ersten Indie-Hit. Es folgt „Girls“, produziert mit Judd Apatow. Dunham revolutioniert die Art, wie man einen normalen bis dicken Körper nackt im Fernsehen zeigen kann. Sie führt vor, wie eine bestimmte Spezies neuer New Yorkerinnen denkt und wie man sein gesamtes Leben mit nur einer Textmessage unnötig dramatisiert oder in Schutt und Asche legt. Nora Ephron wird großer Dunham-Fan – und als sie stirbt, schreibt Dunham ihren Nachruf. Dunhams Namen fällt ab sofort im Zusammenhang mit Woody Allen. Warum? Weil der Witz am Ende siegt, egal wie grässlich die Umstände sind. Seit ein paar Tagen liegt jetzt Lenas Buch „Not that Kind of Girl“ in den Läden, ein Ratgeber für ihre Generation der „Millenials“, wenn man so will.

Die Millenials, die Kinder der Babyboomer, werden in den nächsten Jahren das Land prägen. Der Schriftsteller Bret Easton Ellis hat sie gerade „Generation Waschlappen“ getauft. Ellis hat kein großes Verständnis. Die Millenials seien „übersensibel“, hätten eine „passiv-aggressive Art, immer positiv zu denken“, seien quasi tablettenabhängig, wegen zu vieler Therapien und ihrer „Helikopter-Eltern“ sei ihr Leben bereits vorbestimmt und verplant – Rebellion komme da nicht mehr vor. Dunhams Charaktere stammen aus dieser Generation und haben mit dem „Go-Getter“-Modell der Menschen aus der Babyboomer-Generation nichts mehr gemeinsam. Worte wie „Gier“ kennen die Millenials nicht. Gier führt sie nicht an ihr Ziel, wo auch immer das ist.

Dunhams „Girls“ sind allerdings nicht besonders zimperlich oder wehleidig. Sie versuchen nur klarzukommen, sie verwechseln Drama mit Leben, doch wer tut das nicht. Aber vor allem sind sie präzise gezeichnet. Da ist die sexinteressierte Intellektuelle Hannah, die verklemmte, Hello- Kitty-abhängige Shoshanna, das rücksichtslose Bohème-Luder Jessa und die gefallsüchtige, dünne Brünette Marnie.
Dunhams Präzision macht Spaß, ihr fehlendes Selbstmitleid macht Spaß, selbst ihre Obsession, pro Folge mindestens einmal Sex zu zeigen, macht Spaß. Sie ist einzigartig, ihre Message, ihre Darstellung einer modernen „Queen of Angst“ ist notwendig. Auch weil es noch einen Gegenentwurf, ein Gegenextrem zu Kim Kardashian geben muss.

Amerika kommt schon zurecht mit nur zwei Extremen. Das gilt für Parteien, für Essen und eben für Frauen oder Mädchen. Auf der einen Seite steht Kim mit ihrem Luxuszickentum, im Wettbewerb um die Weltöffentlichkeit mit ihrem überdimensionalen Körperteil. Auf der anderen steht Lena mit ihrem Lebensrettertum. Sie zeigt, was zu tun ist, falls aus dir ein Nerd geworden ist und kein Cheerleader mit Eislaufmutter. Und du trotzdem überdimensionale Körperteile hast.

Genau für solche Menschen – und das sind die meisten, und sie ist eine von ihnen – hat Dunham jetzt ihr Buch geschrieben. „Was ich im Leben so gelernt habe“, so lautet der Untertitel. Das ist eine Menge. Lena schreibt über sich, über Liebe & Sex, ihren Körper, Freundschaft, Arbeit und das große Ganze (beinhaltet Therapien und Hypochonderdasein). Sie erklärt ihren Co-Millenials, was man sich sparen kann (sogenannte „toxic relationships“) und worauf man achten sollte (Selbstliebe).

Rebellion gegen die Eltern gibt es in Dunhams Welt nicht mehr. Lena hat die Tipps ihrer Künstlermutter und ihres Künstlervaters einfließen lassen. Und das sind keine schlechten. Ein Vatertipp: „Gefühle im Suff sind keine echten Gefühle.“ Ein Muttertipp: „Warum 200 Dollar die Woche für einen Therapeuten ausgeben, wenn du 150 im Jahr für einen Hellseher ausgeben kannst?“ Wir lernen alles über Lenas gesamte Ängste, ihre Ticks, ihre Angst vor Krebs, Erschöpfung, Handystrahlung, Tinnitus, Lampenstaub, Unfruchtbarkeit und Nebennierenerschöpfung. Und wir lernen, dass Therapeuten zu „Soul Mates“ werden können.

Dunham spricht von Dingen, die man, Millenial oder nicht, in seinen Zwanzigern gerne gewusst hätte. Zum Beispiel, dass man echten Sex von Hollywood-Sex und Pornografie unterscheiden sollte, um nicht todunglücklich zu werden. Oder darauf aufzupassen, sich nicht das eigene Licht von „Sunshine Stealern“ wegnehmen zu lassen. „Dabei geht es oft um Männer, die ein bisschen zu lange in der Industrie sind, die davon müde sind, aber nicht aussteigen können. Sie suchen nach neuer Energie, nach Anerkennung. Es hat mit Sex zu tun, aber es ist nicht dasselbe. Was sie von dir nehmen wollen, ist schlimmer, als dir deinen Schlüpfer auf dem Rücksitz ihres Lexus runterzuziehen. Es geht um deine Ideen, deine Neugier, deine Kraft, morgens aufzustehen und Dinge zu kreieren.“

Dunham hat das Buch an Helen Gurley Browns Bestseller „Having it all“ von 1982 „angelehnt“ – der Ratgeber einer echten „Go-Getterin“ für junge Frauen, sich all das zu nehmen, was sie haben wollen. Brown wurde als Chefin der Cosmopolitan berühmt und außerdem für den wahren Satz: „Wenn man nicht als Sexobjekt gilt, ist man in Schwierigkeiten.“ Daran hat Dunham in den letzten Jahren gearbeitet und sich, wenn es sein musste, sogar nackt beim Cupcake-Essen für einen Emmy-Spot filmen lassen.

Doch es war der Brown-Begriff des „Mouseburger“ (Mauerblümchen), der Lena am meisten faszinierte. Das waren die übergangenen, die ungeliebten Mädchen, die später jedoch triumphieren würden. Und den anderen Mädchen da draußen erzählen konnten, wie man sein Leben als „Mouseburger“ beendet. Genau darin liegt die uramerikanische Definition eines richtigen und unprotestantisch verstandenen Feminismus: Beende dein Leben als „Mouseburger“ und glänze, was das Zeug hält.

Dunham hat in den letzten Jahren, wenn man so will, eine amerikanische Unsitte zur Kunstform erhoben – beziehungsweise zu einer Fernsehserie und in einem ganzen Buch ausgebaut. Es ist die Kunst des sogenannten Oversharing: der Mitteilung von peinlichen, unangenehmen Details aus dem eigenen Leben, das endlose Ausschlachten von Familiengeheimnissen und anderen Dramen. Das geht unter Umständen sehr weit. Dunhams Schwester Grace wollte ihren Eltern zu Teenagerzeiten noch nicht sagen, dass sie lesbisch ist. Doch ihre Schwester Lena ließ nach zwei Tagen die Bombe platzen. Erst zwei Jahre später hatte sich Lena mit ihrer Schwester wieder vertragen.

Doch Lena hatte früh gelernt, dass es ohne Oversharing keine Literatur und keine Kunst gibt. Was sie auch gelernt hat: Wie man einen 3,5-Millionen-Dollar-Vorschuss für ein Buch einsackt und trotzdem keine Buchlaunch-Party macht, bei der alle in Armani und mit Sektflöten herumstehen.

Für ihre Buchtour durch die USA dachte Lena ganz à la Millenial eher daran, einen Wanderzirkus mit „Weird Guys“ aus dem Internet zu veranstalten, dazu jede Menge Food Trucks und Freunde aus Lenas Indie-Welt. Miranda July wird mitmachen und Carrie Brownstein, zwei Schwestern im Geiste. Mir ihrem neuen, blonden Bob-Haarschnitt stürmt Dunham derzeit die Talkshows, und auch ihr Make-up hat sich in den letzen Jahren stark verbessert. Sie ist jetzt eine Business-Frau geworden, die ihre Dysfunktionalität in ein Produkt verwandelt hat und die so ziemlich alles abwehrt, was Missgünstige ihr in den Weg stellen. „Die Leute haben mich fett und unmöglich genannt. Aber ich lebe.“

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