Was sind zehntausend Löffel, wenn du eigentlich ein Messer brauchst? Genau: ironisch. Das behauptet zumindest Alanis Morissette seit 1996 auf sämtlichen Radiosendern. Manche Hörer zweifeln daran und sagen, statt ironisch könne die blöde Löffel-Messer-Situation auch einfach nur ein unglücklicher Zufall sein. Was auch stimmt.
Die Studenten der kanadischen Simon Fraser University (SFU) in Michael Hingstons Debütroman „Die Dilettanten“, allen voran die beiden Protagonisten Alex und Tracy, sind über derartige Diskussionen schon hinaus. Hingston, dessen Buch pünktlich zum Semesterbeginn auf Deutsch erscheint, nennt sie „die Generation der Secondhand-Ironie“. Und findet damit vermutlich genau den richtigen Begriff. Wer 2014 Student sein oder Studenten verstehen will, der sollte dieses Buch lesen – solange er nicht darauf besteht, gleichzeitig auch eine gute Geschichte präsentiert zu bekommen.
Michael Hingston, Generationenversteher.
Der Verlag Rogner & Bernhard kündigt „Die Dilettanten“ als „Campusroman“ an. Das heißt: Fast die gesamte Handlung spielt sich im Mikrokosmos Uni-Gelände ab. Die Protagonisten bewegen sich in einem geschützten Raum, in dem das wahre Leben höchstens trainiert wird. Seminardiskussionen statt Steuerberatergespräche. Pub Night und schneller Sex statt Familienplanung. Ein Redakteursjob bei der Studentenzeitung The Peak statt echter Nine-to-five-Arbeit. Und all das immer: hochironisch. Schon eine Stufe über ironisch. Die Studenten der SFU diskutieren schon gar nicht mehr über Ironie, sie haben sie „geerbt wie eine alte Strickjacke“. Und die tragen sie täglich. In Seminaren zu Shakespeare zum Beispiel, in denen Shakespeare nicht zitiert werden darf. Alles, was sie tun, ist Über- oder Untertreibung und damit eine Distanzierung von der Wirklichkeit. Ironie ist eine Rüstung, ein Schutzschild gegen die Welt da draußen, außerhalb des Campus.
Was natürlich nur so lange funktioniert, bis etwas von außen in den geschlossenen Kosmos eindringt wie ein Virus. Im Falle der SFU ist das die gratis Klatschzeitung Metro, die von der Stadt aus auf den Campus expandiert. Das soll dramatisch sein, bleibt aber blutleer. Und wird auch nicht komplexer, als sie um einen weiteren Außenwelt-Virus ergänzt wird: Ein ehemals berühmter Hollywood-Schauspieler schreibt sich an der SFU ein und lässt sich als Präsidentschaftskandidat für die Studentenparlaments-Wahlen aufstellen. Für ihn reine PR, für Peak und Metro ein Berichterstattungskampf.
Das alles rettet die Story nicht, weshalb man „Die Dilettanten“ auch nicht als Roman lesen sollte, sondern als Generationenporträt. Denn die Eigenheiten dieser Generation trifft Hingston, selbst Jahrgang 1985, oft sehr genau. Alex, Tracy und die anderen kennen berühmte Zitate vor allem als Parodien aus den „Simpsons“. Sie haben alle „The Wire“ gesehen und löschen ihren Facebook-Status, wenn keiner „Like“ klickt. Sie trinken Limetten-Vanille-Limonade, Wale und das Ozonloch finden sie „Neunziger“. Hingston schafft es sogar, die typische Studentengesprächs-Dynamik wiederzugeben. Er macht das durch lange Passagen in wörtlicher Rede – wohlgemerkt nicht durch Dialoge –, Gespräche in der Peak-Redaktion, in der jeder das, was die anderen sagen, als Sprungbrett für die nächste eigene Aussage, den nächsten Witz nimmt, anstatt darauf einzugehen.
Am besten ist er, wenn er seine Szenen nicht interpretiert (dazu neigt er leider), sondern für sich sprechen lässt. Man hat das Gefühl, etwas über die Mittzwanziger (und sich selbst) verstanden zu haben, wenn Tracy die Liedzeile mit den zehntausend Löffel zitiert und vom Humor-Redakteur zurechtgewiesen wird: „Scheiße, du kannst nicht im Ernst hier stehen und mich mit Alanis-Morissette-Zitaten füttern. Kapiert? Nicht in der Welt nach 9/11.“ Und nach einer Pause ergänzt er: „In der Welt nach Obama.“ Und als Alex sich am Ende freistrampelt, als er von einem Metro-Redakteur gelobt und damit zu einem aus der Außenwelt wird, und als er sich in ein junges, total unironisches Mädchen verliebt – da wagt Hingston den Blick auf die nächste Studentengeneration, die die alte Strickjacke Ironie vielleicht endgültig entsorgen wird. „Es gibt so viel verrücktes Zeug da draußen, das wahr ist, verstehst du?“, sagt das junge Mädchen einmal. „Warum nicht alles für voll nehmen, nur für denn Fall.“
Die Studenten der kanadischen Simon Fraser University (SFU) in Michael Hingstons Debütroman „Die Dilettanten“, allen voran die beiden Protagonisten Alex und Tracy, sind über derartige Diskussionen schon hinaus. Hingston, dessen Buch pünktlich zum Semesterbeginn auf Deutsch erscheint, nennt sie „die Generation der Secondhand-Ironie“. Und findet damit vermutlich genau den richtigen Begriff. Wer 2014 Student sein oder Studenten verstehen will, der sollte dieses Buch lesen – solange er nicht darauf besteht, gleichzeitig auch eine gute Geschichte präsentiert zu bekommen.
Michael Hingston, Generationenversteher.
Der Verlag Rogner & Bernhard kündigt „Die Dilettanten“ als „Campusroman“ an. Das heißt: Fast die gesamte Handlung spielt sich im Mikrokosmos Uni-Gelände ab. Die Protagonisten bewegen sich in einem geschützten Raum, in dem das wahre Leben höchstens trainiert wird. Seminardiskussionen statt Steuerberatergespräche. Pub Night und schneller Sex statt Familienplanung. Ein Redakteursjob bei der Studentenzeitung The Peak statt echter Nine-to-five-Arbeit. Und all das immer: hochironisch. Schon eine Stufe über ironisch. Die Studenten der SFU diskutieren schon gar nicht mehr über Ironie, sie haben sie „geerbt wie eine alte Strickjacke“. Und die tragen sie täglich. In Seminaren zu Shakespeare zum Beispiel, in denen Shakespeare nicht zitiert werden darf. Alles, was sie tun, ist Über- oder Untertreibung und damit eine Distanzierung von der Wirklichkeit. Ironie ist eine Rüstung, ein Schutzschild gegen die Welt da draußen, außerhalb des Campus.
Was natürlich nur so lange funktioniert, bis etwas von außen in den geschlossenen Kosmos eindringt wie ein Virus. Im Falle der SFU ist das die gratis Klatschzeitung Metro, die von der Stadt aus auf den Campus expandiert. Das soll dramatisch sein, bleibt aber blutleer. Und wird auch nicht komplexer, als sie um einen weiteren Außenwelt-Virus ergänzt wird: Ein ehemals berühmter Hollywood-Schauspieler schreibt sich an der SFU ein und lässt sich als Präsidentschaftskandidat für die Studentenparlaments-Wahlen aufstellen. Für ihn reine PR, für Peak und Metro ein Berichterstattungskampf.
Das alles rettet die Story nicht, weshalb man „Die Dilettanten“ auch nicht als Roman lesen sollte, sondern als Generationenporträt. Denn die Eigenheiten dieser Generation trifft Hingston, selbst Jahrgang 1985, oft sehr genau. Alex, Tracy und die anderen kennen berühmte Zitate vor allem als Parodien aus den „Simpsons“. Sie haben alle „The Wire“ gesehen und löschen ihren Facebook-Status, wenn keiner „Like“ klickt. Sie trinken Limetten-Vanille-Limonade, Wale und das Ozonloch finden sie „Neunziger“. Hingston schafft es sogar, die typische Studentengesprächs-Dynamik wiederzugeben. Er macht das durch lange Passagen in wörtlicher Rede – wohlgemerkt nicht durch Dialoge –, Gespräche in der Peak-Redaktion, in der jeder das, was die anderen sagen, als Sprungbrett für die nächste eigene Aussage, den nächsten Witz nimmt, anstatt darauf einzugehen.
Am besten ist er, wenn er seine Szenen nicht interpretiert (dazu neigt er leider), sondern für sich sprechen lässt. Man hat das Gefühl, etwas über die Mittzwanziger (und sich selbst) verstanden zu haben, wenn Tracy die Liedzeile mit den zehntausend Löffel zitiert und vom Humor-Redakteur zurechtgewiesen wird: „Scheiße, du kannst nicht im Ernst hier stehen und mich mit Alanis-Morissette-Zitaten füttern. Kapiert? Nicht in der Welt nach 9/11.“ Und nach einer Pause ergänzt er: „In der Welt nach Obama.“ Und als Alex sich am Ende freistrampelt, als er von einem Metro-Redakteur gelobt und damit zu einem aus der Außenwelt wird, und als er sich in ein junges, total unironisches Mädchen verliebt – da wagt Hingston den Blick auf die nächste Studentengeneration, die die alte Strickjacke Ironie vielleicht endgültig entsorgen wird. „Es gibt so viel verrücktes Zeug da draußen, das wahr ist, verstehst du?“, sagt das junge Mädchen einmal. „Warum nicht alles für voll nehmen, nur für denn Fall.“