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Da will ich hin!

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Es lässt sich sicher streiten über den richtigen Ort für so ein einschneidendes Lebensereignis, aber im Flugzeug rechnet man wohl eher selten mit einer Lebensehrung. Als der Sekretär des Nobelpreiskomitees am Montagmittag im schwedischen Karolinska-Institut ans Pult trat, um die ersten Laureaten der diesjährigen Nobelpreise bekannt zu geben, saß der norwegische Neurobiologe Edvard Moser jedenfalls in einem Flieger Richtung München – allein, seelenruhig, das Handy brav ausgeschaltet und nichts ahnend, dass er sich mit seiner Ehefrau May-Britt jetzt eine Hälfte des diesjährigen Medizin-Nobelpreises teilen darf.

Die andere Hälfte der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung erhält der in Großbritannien forschende Neurobiologe John O’Keefe. Gemeinsam haben die Forscher grundlegende Erkenntnisse zu zwei existenziellen Fragen gewonnen, die sich nicht nur Flugzeugpiloten, Autofahrer und morgendlich Erwachende andauernd stellen, sondern von der Bakterie bis zum Säugetier auch jede andere Kreatur auf diesem Planeten: Wo bin ich? Und wo muss ich jetzt hin?



Edvard Moser wird mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet

Bereits in den 1970-Jahren hatte der gebürtige US-Amerikaner O’Keefe in Versuchen an Ratten herausgefunden, dass es für das „Wo?“ offenkundig spezialisierte Zellen gibt: Wann immer sich die Tiere an einem bestimmten Ort aufhielten, wurden in einer fürs Gedächtnis wichtigen Region des Gehirns, dem Hippocampus, ganz spezifisch die gleichen Nervenzellen aktiviert. O’Keefe nannte diese Neuronen Platzzellen und gemeinsam mit seinem Kollegen Lynn Nadel kam er, damals noch an der McGill University in Montreal forschend, zu dem Schluss, dass diese besonderen Zellen anhand von Landmarken biologische Karten erstellen und speichern können.

Jede Platzzelle wird dabei fix einem bestimmten Merkmal der jeweiligen Umgebung, einer sogenannten Landmarke, zugeordnet. Während O’Keefe und Nadel sich noch mit Experimenten an Labornagern begnügen mussten, ermöglichten invasive Behandlungsmethoden an Epilepsiepatienten in den vergangenen 15 Jahren endlich auch den Nachweis von Platzzellen im menschlichen Gehirn. Tatsächlich scheinen sie auf die gleiche Weise zu funktionieren, wie es zuvor in anderen Säugetieren gezeigt worden war.

Als O’Keefe schon mitten in seinen Forschungen über das „Wo?“ steckte, gingen May-Britt und Edvard Moser noch zur Schule. Sie lernten sich erst in den 1980er Jahren kennen, als sie an der Universität von Oslo Psychologie studierten und mit großem Ehrgeiz ein Ziel verfolgten: Sie wollten eine Brücke schlagen zwischen der reinen Verhaltensforschung und der biologischen Struktur des Gehirns.

Nachdem das Paar unter anderem mit John O’Keefe in Edinburgh zusammengearbeitet hatten, gingen die Mosers zurück nach Norwegen, an die Universität von Trondheim, wo ihnen 2005 schließlich der zweite entscheidende Schritt im Verständnis der räumlichen Orientierung gelang. Die Forscher fanden eine weitere Klasse spezialisierter Zellen, sogenannte Rasterzellen. Anders als Platzzellen ist die Aktivität dieser Zellen nicht an bestimmte auffällige Eigenschaften – also Landmarken – in der Umgebung gebunden. Sie scheinen stattdessen ein inneres Raster aus Koordinaten zu formen, eine Art eingebautes Navigationssystem, das unter anderem Informationen über die Lage von Kopf und Extremitäten verarbeitet. Gemeinsam mit den Platzzellen vermittelt es Säugetieren nicht nur, an welchem Ort sie sind. Sondern auch, woher sie kommen und wohin sie gehen.

Besonders große Freude löste die Ehrung für John O’Keefe bei einigen Kollegen aus. So erinnerte sich der emeritierte Oxford-Physiologe John Stein am Montag daran, wie skeptisch O’Keefes Erkenntnisse in der Fachwelt zunächst aufgenommen worden waren. Einige Kollegen hätten die Entdeckung der Platzzellen als „Artefakt“ bezeichnet. O’Keefe sei außerdem bezichtigt worden, den Geruchssinn von Ratten unterschätzt zu haben. „Heute, wie bei vielen Ideen, die zunächst sehr kontrovers waren, sagen die Leute: Ja, das ist doch klar!“

Auch deutsche Wissenschaftler sehen den Preis bei den drei Preisträgern gut aufgehoben: „Die Entdeckung dieser zwei Zelltypen hat die entscheidende Grundlage für das Verständnis der Orientierung von Säugetieren geschaffen“, sagt Tobias Meilinger vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Er erforscht dort die Orientierung von Menschen in Alltagsumgebungen. Beim Menschen allerdings, da ist sich der Forscher sicher, spielen noch einige besondere Eigenschaften eine Rolle für die Orientierung. „Wie diese einzelnen Zellen zum Verhalten beitragen können, bleibt sicher noch für viele Jahren ein spannendes Forschungsfeld“, sagt Meilinger.

Obwohl die Zellen allein die enormen Fähigkeiten vieler Säugetiere vermutlich kaum erklären können, sich im Raum zu orientieren – wie zum Beispiel Fledermäuse, die in völliger Dunkelheit durch komplizierte Höhlensysteme fliegen können – sind sich Forscher über die Bedeutung der Arbeiten der Mosers recht einig. Schon vor vier Jahren äußerte sich vor allem der bekannte amerikanische Neurowissenschaftler Eric Kandel begeistert über ihre Erkenntnisse. Er bewundere die Arbeit der beiden ganz außerordentlich, sagte er damals der New York Times.

Für Edvard Moser allerdings war wohl nicht wirklich klar, dass er und seine Frau heiße Kandidaten für die wichtigste Trophäe der Wissenschaft waren. Als er am Montag schließlich in München landete, soll ihm eine Frau einen Blumenstrauß überreicht haben. Er habe einen Preis gewonnen, sagte sie, sie wisse aber nicht welchen. Er wusste es auch nicht. Erst als er einen Anruf seines Münchner Kollegen Tobias Bonnhoeffer vom Max Planck Institut für Neurobiologie auf seinem Mobiltelefon entdeckte, sei es ihm allmählich gedämmert, berichtete Moser auf einer eilig einberufenen Presse-Konferenz am Institut in Martinsried. Nicht allein diese Ahnungslosigkeit macht den Preis für die Mosers besonders. Sie sind in der Geschichte der Nobelpreise erst das vierte Ehepaar, das gemeinsam für seine wissenschaftliche Leistung ausgezeichnet wird, und sogar erst das zweite Paar, das den Nobelpreis für Medizin zusammen erhält.

Die Befürchtung, er werde nun den ersten Flieger nach Oslo zurück nehmen, um am gleichen Ort mit seiner Frau feiern zu können, konnte er den Kollegen nehmen. Moser wird im kommenden Monat als Gastforscher in München gemeinsam mit Bonhoeffer einen genaueren Blick auf die Rasterzellen im Gehirn werfen, und zwar mit speziellen Mikroskopen, mit denen sich die einzelnen Neuronen genau untersuchen lassen.

Die neuen Methoden werden auch zeigen, inwieweit das innere Navigationssystem bei Menschen zur Orientierung beiträgt. Und ob sich das Prinzip der Rasterzellen womöglich auch auf andere Prozesse der Informationsverarbeitung übertragen lässt. Denn das, was der Neurobiologe und seine Frau May-Britt entdeckt haben, hält Moser erst für „die Spitze eines Eisbergs“.

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