Man fragt sich das: Wenn eine Konferenz des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung über Frauen, Karriere und Familie mit dem sperrigen Titel „Gender Studies Tagung“ mit mehr als tausend Anmeldungen doppelt überbucht ist; wenn man in das für diesen Donnerstag in der Deutschen Oper Berlin angesetzte Forum des Vereins „Frauen in die Aufsichtsräte“ seit langem nur noch über Warteliste hereinkommt: Deutet das eher auf Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen oder auf Verzweiflung über deren Abwesenheit hin? Es belegt zumindest, dass der Hunger nach Informationen, Strategien und Lösungen groß ist. Denn mit der Gender-Forschung verhält es sich offenbar wie mit den Erkenntnissen zu Demenz-Krankheiten: Die Diagnose verbessert sich stetig, Therapie oder gar Heilung scheinen weit entfernt zu sein.
Gleichstellung: Ein neuer Gesellschaftsvertrag ist nötig
Dieses Missverhältnis hat Gründe. Ein wichtiger ist, dass ein Thema zunehmend rein ökonomisch betrachtet wird, in das große Fragen des Lebens hineinspielen, deren Antworten sich nicht einfach ausrechnen lassen. Es geht um Liebe, Ängste und um Gerechtigkeit. Und es ist ein Thema, das auch mit Umverteilung zu tun hat: von Macht, Geld, Fürsorge und Verantwortung. Eines also, bei dem es immer auch Verlierer gibt. Hinzu kommt, dass selbst in der Fachwelt oft nicht sauber unterschieden wird zwischen Familien- und Gleichstellungspolitik. Dabei ist die Verknüpfung klar: Gleichstellungspolitik ohne Familienpolitik wird nur schwer funktionieren. Familienpolitik alleine bedeutet aber noch lange keine Gleichstellungspolitik.
Die Ökonomisierung der Geschlechterfrage liegt im Trend. Sie passt zu einer Welt, in der alles erfasst und nach dem Effizienzprinzip bewertet wird. Natürlich kann man dankbar dafür sein, dass sich Frauenpolitik nicht länger in wahlweise kämpferischer oder angestaubter Rhetorik erschöpft, sondern es in den Mainstream der Ökonomie geschafft hat. Sowohl der Staat als auch die Unternehmen brauchen einen Business Case, wenn es um Millionen- oder Milliardeninvestitionen geht: in Krippen-, Kita-, Hort- und Altenpflegeplätze, Lohnersatzleistungen wie Eltern- oder Familiengeld, familienfreundliche Infrastruktur. Oder wenn Firmen ein Budget bereitstellen sollen für Coachings, Workshops, die Umstellung auf Lebensarbeitszeitmodelle und Mechanismen zur gerechten Personalauswahl. Jeder, der über Geld zu entscheiden hat, muss fragen: Rechnet sich das?
Und natürlich muss etwas passieren. Schließlich sind die Probleme seit Jahrzehnten klar, und wie kürzlich auf der Tagung von DIW und Friedrich-Ebert-Stiftung demonstriert wurde, ist die Beweislage erdrückend: Gender-Pay-Gap, Gender-Wealth-Gap, Gender-Pension-Gap – die Ökonomen kamen mit dem Klicken durch ihre Präsentationen kaum hinterher, so viele Tabellen hatten sie aufzubieten um zu belegen, dass Frauen weniger verdienen, weniger besitzen und im Alter weniger bekommen als Männer, insbesondere übrigens, wenn sie verheiratet sind oder waren und Mütter sind. Dies gepaart mit den Statistiken über Scheidungen, gescheiterte Beziehungen und Alleinerziehende legt nahe, dass der Staat ein Interesse daran haben muss, sich dem Gleichstellungsthema von der rechnerischen Seite zu nähern: Jede Frau, deren Finanzlage verbessert werden kann, ist ein Risiko weniger für die öffentlichen Haushalte und eine Einnahmequelle mehr, jedes Kind einer solchen Frau hat bessere Startchancen. Aber manchmal wird eben nur noch gerechnet. Und nicht mehr auf die Wirklichkeit geschaut.
Da ist zum Beispiel die Sache mit der Liebe. Der Staat kann damit naturgemäß nichts anfangen. Er baute bislang auf die Ehe als kleinste Versorgungs- und Verantwortungsgemeinschaft. Seitdem aber verblichene Liebe als Grund für die Auflösung dieser Gemeinschaft akzeptabel und finanzierbar geworden ist, hat der Staat ein Problem. Ihm bleibt praktisch gar nichts anderes übrig, als jeden Partner in einer Zweierbeziehung als jemanden zu betrachten, der für sich allein wirtschaftet. Schließlich trägt sonst der Steuerzahler viele der Folgekosten gescheiterter Ehen, insbesondere die Kosten von Armut. Die Rechtsprechung setzt heute schon voraus, dass jeder Partner nach einer Trennung schnellstmöglich eigenes Einkommen hereinholt. Regelungen wie das Ehegattensplitting sind Überbleibsel aus einer Zeit, in der häufig Pflicht und wirtschaftliche Logik Ehen zusammenhielten.
Das widerspricht aber fundamental dem Lebensgefühl vieler Paare. Sie betrachten sich nach wie vor als Lebensgemeinschaft und haben weder das Verlangen danach noch die Energie dafür, sowohl das Haushalts- als auch das Zeitbudget auf Cent und Minute genau aufzurechnen, um praktisch jederzeit für eine Trennung gerüstet zu sein. Sie wollen sich auf ihren Partner und ihre Partnerin verlassen – und der Statistik trotzen. Genau deswegen gibt es einen Graben zwischen dem, was Ökonomen und progressive Politiker als familienpolitisch richtig betrachten – Abschaffung von Ehegattensplitting und Betreuungsgeld – und dem, was viele Familien gut finden: Steuervorteile für Ehepaare und Geld fürs Betreuen der Kinder daheim.
In Partnerschaften, in denen Kinder leben oder Alte zu pflegen sind, wird es das nämlich immer geben: Der eine oder andere steckt mal mehr, mal weniger in der Karriere zurück, um für die Menschen da zu sein, die ihm meistens noch näher sind als der Chef, die Kollegen und die Kunden.
„Wir müssen über Liebe reden“ heißt denn auch ein Kapitel in dem jüngst erschienenen Buch „Die Alles ist möglich-Lüge“ von Susanne Garsoffky und Britta Sembach. Die Autorinnen belegen mit reichlich Material, dass die Rechnung für die meisten Paare nicht aufgeht: Mann macht Karriere, Frau macht Karriere, Kinder sind versorgt und glücklich. Nach der Analyse der Autorinnen kann das selbst bei schönstem Betreuungsangebot und auch in den oft als Vorbild genannten Familienparadiesen Frankreich und Schweden nicht klappen.
Liebe – zu den Kindern, dem Partner, pflegebedürftigen Eltern – braucht Zeit. Fakt ist aber, dass die neue Flexibilität in der Arbeitswelt, die gerne mit dem Stempel familienfreundlich versehen wird, dergestalt in die Familien einsickert, dass jede Stunde des Tages produktiv genutzt werden muss. Die häufig geforderte „Ergebnis- statt Anwesenheitskultur“ bedeutet eben auch: Hauptsache das Ergebnis fürs Unternehmen stimmt, egal um welchen persönlichen Preis. Und der heißt oft: Erschöpfung, Belastung der Partnerschaft, der Kinder, ständiges Krisenmanagement. Die Folgen davon tragen auch Staat und Gesellschaft.
Als familien- und gleichstellungspolitisches Mittel der Wahl gilt derzeit das Modell der reduzierten Vollzeitarbeit. Das geht etwa so: Wenn in einer Familie der Mann seine Wochenarbeitszeit von 40 auf 32 Stunden reduziere und die Frau ihre auf 32 Stunden aufstocke, sei dies kombiniert immer noch mehr Arbeitszeit, als wenn einer 40 Stunden und der andere null Stunden arbeite. Dies tue dem Staat gut, weil er zusätzliche Sozialbeiträge einnehme und der Familie auch, weil sich die Karrierelücken bei Mann und Frau in Grenzen hielten – was wiederum der Gleichstellung förderlich sei.
Aber die Argumentation hat Löcher. Man kann nämlich auch darüber nachdenken, dass der nicht erwerbstätige Partner bestimmt nicht herumgesessen hat. Die 24 Stunden, die zuvor für die Kinder, die Familie oder ehrenamtliches Engagement zur Verfügung standen, sind nur vom gesellschaftlichen in den betrieblichen Raum gewandert. Der Karriere mag das in dem einen oder anderen Fall nutzen. Aber wer leistet die zuvor unbezahlte Arbeit?
Wissenschaftler sprechen da von einer Fürsorge-Lücke. Denn all jene Stunden müssen natürlich nun von Erzieherinnen, Sozialarbeitern, Putzkräften oder Altenpflegerinnen übernommen werden. Man kann argumentieren, dass auch das die Wirtschaft stärkt. De facto bildet sich aber ein Betreuungsprekariat heraus, dass tendenziell von den schwächeren in die stärkeren Volkswirtschaften zieht. Die Fürsorge-Lücke entsteht bei den Schwächsten, aktuell zum Beispiel bei Kindern in Ländern wie Rumänien, die sich selbst überlassen sind, weil ihre Eltern im Westen Alte pflegen, Wohnungen putzen oder fremde Babys versorgen. Was in Entwicklungsländern schon lange üblich ist – arme Frauen versorgen die Kinder der Mittelschicht – wird in der Betreuungsgesellschaft zu einer Art globaler Klassenfrage.
Zu durchbrechen ist diese Entwicklung nur mit einem neuen Generationenvertrag. Und den können Staat und Unternehmen unterstützen. Die Politik muss Anreize dafür entwickeln, Menschen jenseits der Rentengrenze in gesellschaftliche Aufgaben einzubinden. Viele Senioren sind noch voller Energie und leiden darunter, nicht mehr gebraucht zu werden. Ihre Kraft könnte dort eingesetzt werden, wo sie der jüngeren Generation fehlt.
In den Firmen wiederum muss es einen Kulturwandel geben. Mütter und Väter dürfen nicht für familienbedingte Auszeiten haftbar gemacht werden, späte Karrieren müssen möglich sein. Dazu gehören aber Einstellungs- und Beförderungsprozesse, in denen das Alter keine so große Rolle mehr spielen darf wie bislang. Dies ist schwierig in einem recht inflexiblen, von Besitzständen geprägten System wie dem deutschen, in dem die ältere Arbeitskraft automatisch die teurere ist. Aber je ausgeprägter der Jugendkult, desto komplizierter wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Arbeitszeit-Modelle hin oder her.
Der allerbeste Generationenvertrag wird allerdings kaum dazu beitragen, den Anteil von Frauen in Top-Positionen maßgeblich zu erhöhen. Dazu bedarf es wieder ganz anderer Modelle. Und die haben mit dem Brechen von Machtstrukturen zu tun.
Gleichstellung: Ein neuer Gesellschaftsvertrag ist nötig
Dieses Missverhältnis hat Gründe. Ein wichtiger ist, dass ein Thema zunehmend rein ökonomisch betrachtet wird, in das große Fragen des Lebens hineinspielen, deren Antworten sich nicht einfach ausrechnen lassen. Es geht um Liebe, Ängste und um Gerechtigkeit. Und es ist ein Thema, das auch mit Umverteilung zu tun hat: von Macht, Geld, Fürsorge und Verantwortung. Eines also, bei dem es immer auch Verlierer gibt. Hinzu kommt, dass selbst in der Fachwelt oft nicht sauber unterschieden wird zwischen Familien- und Gleichstellungspolitik. Dabei ist die Verknüpfung klar: Gleichstellungspolitik ohne Familienpolitik wird nur schwer funktionieren. Familienpolitik alleine bedeutet aber noch lange keine Gleichstellungspolitik.
Die Ökonomisierung der Geschlechterfrage liegt im Trend. Sie passt zu einer Welt, in der alles erfasst und nach dem Effizienzprinzip bewertet wird. Natürlich kann man dankbar dafür sein, dass sich Frauenpolitik nicht länger in wahlweise kämpferischer oder angestaubter Rhetorik erschöpft, sondern es in den Mainstream der Ökonomie geschafft hat. Sowohl der Staat als auch die Unternehmen brauchen einen Business Case, wenn es um Millionen- oder Milliardeninvestitionen geht: in Krippen-, Kita-, Hort- und Altenpflegeplätze, Lohnersatzleistungen wie Eltern- oder Familiengeld, familienfreundliche Infrastruktur. Oder wenn Firmen ein Budget bereitstellen sollen für Coachings, Workshops, die Umstellung auf Lebensarbeitszeitmodelle und Mechanismen zur gerechten Personalauswahl. Jeder, der über Geld zu entscheiden hat, muss fragen: Rechnet sich das?
Und natürlich muss etwas passieren. Schließlich sind die Probleme seit Jahrzehnten klar, und wie kürzlich auf der Tagung von DIW und Friedrich-Ebert-Stiftung demonstriert wurde, ist die Beweislage erdrückend: Gender-Pay-Gap, Gender-Wealth-Gap, Gender-Pension-Gap – die Ökonomen kamen mit dem Klicken durch ihre Präsentationen kaum hinterher, so viele Tabellen hatten sie aufzubieten um zu belegen, dass Frauen weniger verdienen, weniger besitzen und im Alter weniger bekommen als Männer, insbesondere übrigens, wenn sie verheiratet sind oder waren und Mütter sind. Dies gepaart mit den Statistiken über Scheidungen, gescheiterte Beziehungen und Alleinerziehende legt nahe, dass der Staat ein Interesse daran haben muss, sich dem Gleichstellungsthema von der rechnerischen Seite zu nähern: Jede Frau, deren Finanzlage verbessert werden kann, ist ein Risiko weniger für die öffentlichen Haushalte und eine Einnahmequelle mehr, jedes Kind einer solchen Frau hat bessere Startchancen. Aber manchmal wird eben nur noch gerechnet. Und nicht mehr auf die Wirklichkeit geschaut.
Da ist zum Beispiel die Sache mit der Liebe. Der Staat kann damit naturgemäß nichts anfangen. Er baute bislang auf die Ehe als kleinste Versorgungs- und Verantwortungsgemeinschaft. Seitdem aber verblichene Liebe als Grund für die Auflösung dieser Gemeinschaft akzeptabel und finanzierbar geworden ist, hat der Staat ein Problem. Ihm bleibt praktisch gar nichts anderes übrig, als jeden Partner in einer Zweierbeziehung als jemanden zu betrachten, der für sich allein wirtschaftet. Schließlich trägt sonst der Steuerzahler viele der Folgekosten gescheiterter Ehen, insbesondere die Kosten von Armut. Die Rechtsprechung setzt heute schon voraus, dass jeder Partner nach einer Trennung schnellstmöglich eigenes Einkommen hereinholt. Regelungen wie das Ehegattensplitting sind Überbleibsel aus einer Zeit, in der häufig Pflicht und wirtschaftliche Logik Ehen zusammenhielten.
Das widerspricht aber fundamental dem Lebensgefühl vieler Paare. Sie betrachten sich nach wie vor als Lebensgemeinschaft und haben weder das Verlangen danach noch die Energie dafür, sowohl das Haushalts- als auch das Zeitbudget auf Cent und Minute genau aufzurechnen, um praktisch jederzeit für eine Trennung gerüstet zu sein. Sie wollen sich auf ihren Partner und ihre Partnerin verlassen – und der Statistik trotzen. Genau deswegen gibt es einen Graben zwischen dem, was Ökonomen und progressive Politiker als familienpolitisch richtig betrachten – Abschaffung von Ehegattensplitting und Betreuungsgeld – und dem, was viele Familien gut finden: Steuervorteile für Ehepaare und Geld fürs Betreuen der Kinder daheim.
In Partnerschaften, in denen Kinder leben oder Alte zu pflegen sind, wird es das nämlich immer geben: Der eine oder andere steckt mal mehr, mal weniger in der Karriere zurück, um für die Menschen da zu sein, die ihm meistens noch näher sind als der Chef, die Kollegen und die Kunden.
„Wir müssen über Liebe reden“ heißt denn auch ein Kapitel in dem jüngst erschienenen Buch „Die Alles ist möglich-Lüge“ von Susanne Garsoffky und Britta Sembach. Die Autorinnen belegen mit reichlich Material, dass die Rechnung für die meisten Paare nicht aufgeht: Mann macht Karriere, Frau macht Karriere, Kinder sind versorgt und glücklich. Nach der Analyse der Autorinnen kann das selbst bei schönstem Betreuungsangebot und auch in den oft als Vorbild genannten Familienparadiesen Frankreich und Schweden nicht klappen.
Liebe – zu den Kindern, dem Partner, pflegebedürftigen Eltern – braucht Zeit. Fakt ist aber, dass die neue Flexibilität in der Arbeitswelt, die gerne mit dem Stempel familienfreundlich versehen wird, dergestalt in die Familien einsickert, dass jede Stunde des Tages produktiv genutzt werden muss. Die häufig geforderte „Ergebnis- statt Anwesenheitskultur“ bedeutet eben auch: Hauptsache das Ergebnis fürs Unternehmen stimmt, egal um welchen persönlichen Preis. Und der heißt oft: Erschöpfung, Belastung der Partnerschaft, der Kinder, ständiges Krisenmanagement. Die Folgen davon tragen auch Staat und Gesellschaft.
Als familien- und gleichstellungspolitisches Mittel der Wahl gilt derzeit das Modell der reduzierten Vollzeitarbeit. Das geht etwa so: Wenn in einer Familie der Mann seine Wochenarbeitszeit von 40 auf 32 Stunden reduziere und die Frau ihre auf 32 Stunden aufstocke, sei dies kombiniert immer noch mehr Arbeitszeit, als wenn einer 40 Stunden und der andere null Stunden arbeite. Dies tue dem Staat gut, weil er zusätzliche Sozialbeiträge einnehme und der Familie auch, weil sich die Karrierelücken bei Mann und Frau in Grenzen hielten – was wiederum der Gleichstellung förderlich sei.
Aber die Argumentation hat Löcher. Man kann nämlich auch darüber nachdenken, dass der nicht erwerbstätige Partner bestimmt nicht herumgesessen hat. Die 24 Stunden, die zuvor für die Kinder, die Familie oder ehrenamtliches Engagement zur Verfügung standen, sind nur vom gesellschaftlichen in den betrieblichen Raum gewandert. Der Karriere mag das in dem einen oder anderen Fall nutzen. Aber wer leistet die zuvor unbezahlte Arbeit?
Wissenschaftler sprechen da von einer Fürsorge-Lücke. Denn all jene Stunden müssen natürlich nun von Erzieherinnen, Sozialarbeitern, Putzkräften oder Altenpflegerinnen übernommen werden. Man kann argumentieren, dass auch das die Wirtschaft stärkt. De facto bildet sich aber ein Betreuungsprekariat heraus, dass tendenziell von den schwächeren in die stärkeren Volkswirtschaften zieht. Die Fürsorge-Lücke entsteht bei den Schwächsten, aktuell zum Beispiel bei Kindern in Ländern wie Rumänien, die sich selbst überlassen sind, weil ihre Eltern im Westen Alte pflegen, Wohnungen putzen oder fremde Babys versorgen. Was in Entwicklungsländern schon lange üblich ist – arme Frauen versorgen die Kinder der Mittelschicht – wird in der Betreuungsgesellschaft zu einer Art globaler Klassenfrage.
Zu durchbrechen ist diese Entwicklung nur mit einem neuen Generationenvertrag. Und den können Staat und Unternehmen unterstützen. Die Politik muss Anreize dafür entwickeln, Menschen jenseits der Rentengrenze in gesellschaftliche Aufgaben einzubinden. Viele Senioren sind noch voller Energie und leiden darunter, nicht mehr gebraucht zu werden. Ihre Kraft könnte dort eingesetzt werden, wo sie der jüngeren Generation fehlt.
In den Firmen wiederum muss es einen Kulturwandel geben. Mütter und Väter dürfen nicht für familienbedingte Auszeiten haftbar gemacht werden, späte Karrieren müssen möglich sein. Dazu gehören aber Einstellungs- und Beförderungsprozesse, in denen das Alter keine so große Rolle mehr spielen darf wie bislang. Dies ist schwierig in einem recht inflexiblen, von Besitzständen geprägten System wie dem deutschen, in dem die ältere Arbeitskraft automatisch die teurere ist. Aber je ausgeprägter der Jugendkult, desto komplizierter wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Arbeitszeit-Modelle hin oder her.
Der allerbeste Generationenvertrag wird allerdings kaum dazu beitragen, den Anteil von Frauen in Top-Positionen maßgeblich zu erhöhen. Dazu bedarf es wieder ganz anderer Modelle. Und die haben mit dem Brechen von Machtstrukturen zu tun.