Das Telefon klingelt, Mareile Kirsch geht ran, und gleich bekommt ihre Stimme einen weichen Tonfall. Nein, es werde wieder spät heute, sagt sie mit leisem Bedauern in den Hörer und muss gleich Schluss machen, weil sie im Interview sitzt. „Das ist mein Sohn“, sagt sie, als sie das Handy zur Seite legt. „Bald weiß ich nicht mehr, wie der aussieht.“ Er geht in die elfte Klasse. Er steht also ein Jahr vor dem Abitur? „Leider“, sagt Kirsch und ist sofort wieder drin in ihrem Thema: G8, das achtstufige Gymnasium, die vor zwölf Jahren auf Wunsch der Wirtschaft eilig eingeführte Schulform, in der Mareile Kirsch einen Anschlag auf Lebensqualität und inneren Frieden der Jugendlichen sieht; und die sie mit einer solchen Hartnäckigkeit bekämpft, dass sie mittlerweile gefürchtet ist in der Hamburger Bürgerschaft.
Die Rückkehr zum neunstufigen Gymnasium ist mittlerweile in vielen Bundesländern ein Thema. Aber in Hamburg scheint die Debatte besonders konfliktreich zu sein. Sie verläuft in Form eines mit langem Atem inszenierten Eltern-Aufstandes, der in diesen Tagen seinen vorläufigen Höhepunkt erfährt. Die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“, welche die Journalistin und Hausfrau Mareile Kirsch angestoßen hat, ist noch bis zum 8.Oktober im Rahmen eines Volksbegehrens in Hamburg unterwegs, um Unterschriften zu sammeln für einen möglichen Volksentscheid, der die Politik in der Hansestadt zum Handeln zwingen könnte. 63000 Autogramme müssen Kirsch und ihre Mitstreiter binnen drei Wochen sammeln. Sie haben mit Spenden eine kleine Zentrale in der City aufgebaut. Sie haben die Stadt voll plakatiert mit der Schülerforderung: „Lasst uns mehr Zeit zum Leben und Lernen!“ Seit dem 18.September stehen die G-9-Aktivisten jeden Tag an ausgewählten Plätzen in der Stadt, um die Hamburger zum Mitmachen zu bewegen. Und Mareile Kirsch ist natürlich mit vollem Eifer dabei. Bis zu 13 Stunden ist sie täglich für die Initiative unterwegs.
![]()
Volksinitiative "G9-Jetzt-HH"
Sie findet diese Strapazen in Ordnung, und in ihrer direkten, furchtlosen Art kann sie auch ganz gut erklären, warum. „Dass man den eigenen Kindern dieses G8 zugemutet hat, ohne uns Eltern zu fragen, gegen jegliche grundsätzliche Lebensprinzipien und Werte, die wir vertreten mit unseren Familien“ – das habe sie herausgefordert, sagt sie. Ihr Hauptvorwurf: Der gedrängte Lehrplan des G8 lasse den Schülern kaum noch Zeit für Aktivitäten neben der Schule und eine ganzheitliche Entwicklung. „Ein Lebensjahr unserer Kinder wurde geraubt“, sagt Mareile Kirsch.
Es ist letztlich aber ein leiser Aufstand. Im großstädtischen Alltag geht die Initiative fast unter. Trotzdem ist sie nicht zu unterschätzen, und das wissen wohl auch alle, die gegen Kirsch sind. Ihre Initiative hat viele mächtige Gegner. Unter Eltern und Lehrern findet sie genug Zustimmung, mit 84 Prozent bezifferte zuletzt eine Umfrage des NDR die Pro-G-9-Haltung der Hamburger. Aber in der Wirtschaft steht man weiterhin zu G8, auch die Parteien der Bürgerschaft finden den Kirsch-Vorstoß nicht gut. Nicht einmal CDU und FDP, die vor der Bürgerschaftswahl im Februar jedes Thema gegen die SPD-Regierung gut gebrauchen könnten, die aber das G8 einst selbst eingeführt haben. „Die führen eine richtige Abwehrschlacht gegen mich“, sagt Kirsch. Aber auch aus dem Rathaus spüre sie wenig Gegenliebe: Die Initiative „stört unsere Regierung wahnsinnig“.
Das will Schulsenator Ties Rabe so direkt natürlich nicht sagen. Volksbegehren und Volksentscheid als Werkzeuge der politischen Teilhabe mag der SPD-Politiker nicht kleinspielen. Aber wenn er über Kirsch und ihre Forderungen spricht, bekommt er doch einen spitzen Ton. „Völlig irre Idee“ nennt er die Kirsch-Forderung, die Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 an allen Gymnasien einzuführen. Er findet sie auch nicht angemessen, weil neben den 60 G-8-Gymnasien in Hamburg an 59 Gesamtschulen, sogenannten Stadtteilschulen, das Abitur nach 13 Jahren möglich ist.
Zudem betrachtet er die Kirsch-Initiative „auch mit Sorge“. Rabe, früher Lehrer, ist selbst kein G-8-Fan, er war seinerzeit sogar gegen die Einführung. Aber den „ein Jahrzehnt dauernden Umbauprozess“, den er vorhersieht, falls die G-9-Anhänger sich durchsetzen, hält er für kontraproduktiv. Er sagt: „Diese ständigen Gewaltreformen schaden den Kindern und den Schulen viel mehr, als wenn man die Schulen endlich mal in Ruhe lassen würde.“ Aus den Gymnasien habe er nach Abstimmungen in deren Schulkonferenzen die Botschaft empfangen, dass man keine Reformen mehr wolle. Rabe befürchtet deshalb eine „Zerreißprobe“ zwischen G-9-Anhängern und Reformverächtern. Die Atmosphäre rund um die Volksabstimmung im Jahr 2010 über das Vorhaben der damaligen Regierung, eine sechsjährige Grundschulzeit einzuführen, hat Rabe in schlechter Erinnerung: „Wir hatten damals eine sehr, sehr aufgeheizte Atmosphäre. Teilweise haben Schulleitungen heute noch Probleme, auf ihre Nachbarschulen zuzugehen, weil das so viele Wunden hinterlassen hat.“ Medien sprachen damals von einem „Schulkrieg“.
Mareile Kirsch ist davon nicht beeindruckt. Sie hat Argumente, hat Erkenntnisse von Fachleuten gesammelt, die ihre Haltung stützen. Und sie hat Beharrlichkeit. Ob sie schon mal das Gefühl hatte, dass der Gegenwind zu stark werde? Sie überlegt kurz. „Hm. Nö. Ich bin über die Phase hinaus, wo ich mich noch furchtbar erschrecken lassen.“ Sie hat angefangen mit ihrem Kampf. Und jetzt zieht sie ihn auch durch.
Die Rückkehr zum neunstufigen Gymnasium ist mittlerweile in vielen Bundesländern ein Thema. Aber in Hamburg scheint die Debatte besonders konfliktreich zu sein. Sie verläuft in Form eines mit langem Atem inszenierten Eltern-Aufstandes, der in diesen Tagen seinen vorläufigen Höhepunkt erfährt. Die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“, welche die Journalistin und Hausfrau Mareile Kirsch angestoßen hat, ist noch bis zum 8.Oktober im Rahmen eines Volksbegehrens in Hamburg unterwegs, um Unterschriften zu sammeln für einen möglichen Volksentscheid, der die Politik in der Hansestadt zum Handeln zwingen könnte. 63000 Autogramme müssen Kirsch und ihre Mitstreiter binnen drei Wochen sammeln. Sie haben mit Spenden eine kleine Zentrale in der City aufgebaut. Sie haben die Stadt voll plakatiert mit der Schülerforderung: „Lasst uns mehr Zeit zum Leben und Lernen!“ Seit dem 18.September stehen die G-9-Aktivisten jeden Tag an ausgewählten Plätzen in der Stadt, um die Hamburger zum Mitmachen zu bewegen. Und Mareile Kirsch ist natürlich mit vollem Eifer dabei. Bis zu 13 Stunden ist sie täglich für die Initiative unterwegs.

Volksinitiative "G9-Jetzt-HH"
Sie findet diese Strapazen in Ordnung, und in ihrer direkten, furchtlosen Art kann sie auch ganz gut erklären, warum. „Dass man den eigenen Kindern dieses G8 zugemutet hat, ohne uns Eltern zu fragen, gegen jegliche grundsätzliche Lebensprinzipien und Werte, die wir vertreten mit unseren Familien“ – das habe sie herausgefordert, sagt sie. Ihr Hauptvorwurf: Der gedrängte Lehrplan des G8 lasse den Schülern kaum noch Zeit für Aktivitäten neben der Schule und eine ganzheitliche Entwicklung. „Ein Lebensjahr unserer Kinder wurde geraubt“, sagt Mareile Kirsch.
Es ist letztlich aber ein leiser Aufstand. Im großstädtischen Alltag geht die Initiative fast unter. Trotzdem ist sie nicht zu unterschätzen, und das wissen wohl auch alle, die gegen Kirsch sind. Ihre Initiative hat viele mächtige Gegner. Unter Eltern und Lehrern findet sie genug Zustimmung, mit 84 Prozent bezifferte zuletzt eine Umfrage des NDR die Pro-G-9-Haltung der Hamburger. Aber in der Wirtschaft steht man weiterhin zu G8, auch die Parteien der Bürgerschaft finden den Kirsch-Vorstoß nicht gut. Nicht einmal CDU und FDP, die vor der Bürgerschaftswahl im Februar jedes Thema gegen die SPD-Regierung gut gebrauchen könnten, die aber das G8 einst selbst eingeführt haben. „Die führen eine richtige Abwehrschlacht gegen mich“, sagt Kirsch. Aber auch aus dem Rathaus spüre sie wenig Gegenliebe: Die Initiative „stört unsere Regierung wahnsinnig“.
Das will Schulsenator Ties Rabe so direkt natürlich nicht sagen. Volksbegehren und Volksentscheid als Werkzeuge der politischen Teilhabe mag der SPD-Politiker nicht kleinspielen. Aber wenn er über Kirsch und ihre Forderungen spricht, bekommt er doch einen spitzen Ton. „Völlig irre Idee“ nennt er die Kirsch-Forderung, die Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 an allen Gymnasien einzuführen. Er findet sie auch nicht angemessen, weil neben den 60 G-8-Gymnasien in Hamburg an 59 Gesamtschulen, sogenannten Stadtteilschulen, das Abitur nach 13 Jahren möglich ist.
Zudem betrachtet er die Kirsch-Initiative „auch mit Sorge“. Rabe, früher Lehrer, ist selbst kein G-8-Fan, er war seinerzeit sogar gegen die Einführung. Aber den „ein Jahrzehnt dauernden Umbauprozess“, den er vorhersieht, falls die G-9-Anhänger sich durchsetzen, hält er für kontraproduktiv. Er sagt: „Diese ständigen Gewaltreformen schaden den Kindern und den Schulen viel mehr, als wenn man die Schulen endlich mal in Ruhe lassen würde.“ Aus den Gymnasien habe er nach Abstimmungen in deren Schulkonferenzen die Botschaft empfangen, dass man keine Reformen mehr wolle. Rabe befürchtet deshalb eine „Zerreißprobe“ zwischen G-9-Anhängern und Reformverächtern. Die Atmosphäre rund um die Volksabstimmung im Jahr 2010 über das Vorhaben der damaligen Regierung, eine sechsjährige Grundschulzeit einzuführen, hat Rabe in schlechter Erinnerung: „Wir hatten damals eine sehr, sehr aufgeheizte Atmosphäre. Teilweise haben Schulleitungen heute noch Probleme, auf ihre Nachbarschulen zuzugehen, weil das so viele Wunden hinterlassen hat.“ Medien sprachen damals von einem „Schulkrieg“.
Mareile Kirsch ist davon nicht beeindruckt. Sie hat Argumente, hat Erkenntnisse von Fachleuten gesammelt, die ihre Haltung stützen. Und sie hat Beharrlichkeit. Ob sie schon mal das Gefühl hatte, dass der Gegenwind zu stark werde? Sie überlegt kurz. „Hm. Nö. Ich bin über die Phase hinaus, wo ich mich noch furchtbar erschrecken lassen.“ Sie hat angefangen mit ihrem Kampf. Und jetzt zieht sie ihn auch durch.