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Mehr Reformen wagen

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Nun geht alles ganz schnell in Hongkong. Nach der Festnahme dreier Studentenführer hat die Bürgerbewegung „Occupy Central with Love and Peace“ am Sonntagmorgen die Bürger zu zivilem Ungehorsam aufgerufen. Sie legten Hauptstraßen und den Finanzbezirk lahm. Die Bewegung fordert demokratische Reformen. Zehntausende folgten dem Aufruf. Die Polizei schoss mit Tränengas.

Der Universitätsprofessor und „Occupy Central“-Gründer Benny Tai erklärte in den Morgenstunden des Sonntags den überraschenden Beginn der Aktion, die eigentlich erst am Mittwoch starten sollte: „Ich habe eine lang erwartete Nachricht“, rief er um 1 Uhr 45 Tausenden Demonstranten in der Nähe des Regierungshauptquartiers zu: „Occupy Central beginnt jetzt.“ Vorangegangen war der Versuch der Polizei, am Freitag und Samstag Studenten- und Schülerproteste aufzulösen.



In Hongkong demonstrieren Tausende für mehr Demokratie

Nach einer Woche friedlichen Unterrichtsboykotts und kleinerer Demonstrationen waren die Beamten am Wochenende gegen protestierende Jugendliche vorgegangen. Die Studenten hatten sich vor dem Hauptquartier der Regierung in Tamar versammelt, einige versuchten, in das Gebäude einzudringen. 74 wurden festgenommen, die meisten wieder freigelassen. Nur drei prominente Anführer, darunter der 17-jährige Joshua Wong, der als Gründer und Leiter der Schülergruppe „Scholarism“ zum Gesicht der Proteste wurde, befanden sich am Sonntagabend noch in Polizeigewahrsam.

Seit einigen Monaten steigen in Hongkong die Spannungen: Auf der einen Seite stehen die Regierung und die Kommunistische Partei in Peking, auf der anderen Seite das demokratische Lager und zivilgesellschaftliche Organisationen. Konkret fordern die Demonstranten die freie Direktwahl des nächsten Regierungschefs 2017.

Hongkong war bis 1997 britische Kronkolonie, bei der Rückkehr ins chinesische Vaterland 1997 versprach die Pekinger Regierung der Stadt Autonomie und eben jene freie Wahl des Regierungschefs. Bislang wird er jedoch durch eine Kommission von 1200 handverlesenen Wahlmännern bestimmt. Im August entschied der Nationale Volkskongress in Peking, Chinas Scheinparlament, 2017 sollten tatsächlich erstmals alle Bürger Hongkongs zur Wahl gehen dürfen. Allerdings dürfen sie dem Plan zufolge nur zwischen zwei oder drei Kandidaten wählen – diese aber müssen „Patrioten“ sein und werden von einem Wahlmännergremium bestimmt. Die KP stellt damit sicher, dass auch der nächste Regierungschef ein ihr genehmer Kandidat ist. „Eine Farce“, nennt Anson Chan, die ehemalige Verwaltungschefin der Stadt, eine solche Wahl.

„Occupy Central“ verlangte in einer Stellungnahme zwei Dinge: Der Nationale Volkskongress in Peking müsse den Plan zurücknehmen; und die Hongkonger Regierung müsse politische Reformen einleiten und mit den Bürgern reden. Im Juni hatten sich 800000 Hongkonger bei einem inoffiziellen Referendum für Reformen ausgesprochen.

Die Stadt war auch unter britischer Herrschaft nie demokratisch, allerdings galten rechtsstaatliche Grundsätze. Bis heute genießen die Hongkonger Freiheiten, die anderswo in China unvorstellbar sind. Allerdings beklagen sie in den letzten Jahren eine schleichende Erosion dieser Freiheiten und die wachsende Einmischung Pekings. Die Zensur in der Presse wächst, die kritische Webseite House News musste schließen, weil ihre Gründer bedroht worden waren. Zudem fühlen sich viele Bürger schlecht regiert. Die soziale Ungleichheit steigt, Wohnungen werden für die Mittelschicht unbezahlbar, der Zustrom von Festland-Chinesen strapaziert die Ressourcen.

Einst war Hongkong in Asien Musterbeispiel einer sauber und effizient geführten Metropole. Nun herrschen Vetternwirtschaft und Korruption auf höchster Ebene. Letzte Woche machte ein Prozess gegen den ehemaligen Verwaltungschef Rafael Hui, einst die Nummer zwei der Stadt, Schlagzeilen: In einer spektakulären Enthüllung gestand Rafael Hui, heimlich elf Millionen Hongkong-Dollar (etwas mehr als eine Million Euro) angenommen zu haben – er berichtete zudem, die Millionen seien direkt aus Peking geflossen. Solche Vorfälle treiben die Demonstranten an: „Es ist deprimierend. Die Leute, die uns regieren, sind nur Peking verpflichtet“, sagte eine Demonstrantin. „Wenn wir keine echten Wahlen bekommen, wird es bergab gehen mit Hongkong. Wir werden wie alle anderen chinesischen Städte werden.“

Hongkongs amtierender Regierungschef Leung Chun-ying rief die Bürger am Sonntag auf, sich nicht an „illegalen“ Protesten zu beteiligen. Prominente Persönlichkeiten wie der katholische Kardinal Joseph Zen und Martin Lee, Gründer der Demokratischen Partei, riefen die Bürger hingegen auf, die Studenten zu unterstützen.

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