Irgendwann steht da dieser weiße Eimer mit Linsensuppe. Sofort bildet sich eine Menschentraube. Kaum zwei Minuten später ist das Plastikgefäß leer, der Auflauf vorbei. Und keiner hat gedrängelt. Erstaunlich. Wie vieles in Suruç, einer kurdischen Kleinstadt mit 60000 Einwohnern – in normalen Zeiten. Aber in Suruç, einen Katzensprung entfernt von der syrischen Grenze, in der türkischen Südostprovinz Şanliurfa, ist nichts, wie es war, seit die Türkei am vergangenen Freitag die Grenze zum Bürgerkriegsnachbarn an neun Stellen geöffnet hat. Nun gibt es in Suruç wohl doppelt so viel Menschen, oder noch mehr. Keiner hat sie gezählt.
Meha Mustafa sitzt auf einem Plastikstuhl. Nicht mal der gehört ihr. „Wir sind losgelaufen, nur mit unseren Kleidern am Leib“, sagt die 40-jährige Kurdin. „Von unserem Dorf haben die Dschihadisten nichts übrig gelassen. Sogar die Türen der Häuser haben sie herausgerissen und auf ihre Wagen geladen.“ Die Plünderungen waren nicht das Schlimmste. „Das sind keine Muslime, sie töten die Menschen sogar beim Gebet“, sagt die Bäuerin über die Terroristen des „Islamischen Staats“, des IS, die auf der syrischen Seite der Grenze erst die Dörfer um die Stadt Ain al-Arab zerstört haben und dann bis auf wenige Kilometer an die Stadt selbst herangerückt sind, die die Kurden Kobane nennen.
Helfer bereiten sich an der Grenze auf die Ankunft der Flüchtlinge vor
Meha Mustafas fünf Kinder sitzen auf einem alten Teppich. Das abgewetzte Stück Stoff liegt auf der blanken Erde, in einem kleinen Park, im dem fast 1500 Flüchtlinge ausharren. Im Freien. Nur mit ein paar Decken für die Nacht. Trotz der vielen Menschen ist es still in diesem Garten eines kommunalen Kulturzentrums, bis einer den enormen Flachbildfernseher anknipst, den Bürger aus Suruç gebracht und an eine Hauswand gehängt haben. Ablenkung für die Geflüchteten.
So ist das Elend von Suruç auch ein eindrucksvoller Beweis dafür, was Solidarität unter Kurden vermag. Allerdings sorgt genau dies für Verwerfungen mit der türkischen Regierung. Auf der Hauptstraße von Suruç stehen ein halbes Dutzend Wasserwerfer mit laufenden Motoren, dazu Polizisten mit Tränengasgewehren im Anschlag. Ein paar Kilometer weiter, am Grenzzaun, wo die Landschaft nur noch ein staubiges Nichts ist, verschießen die Sicherheitskräfte jetzt täglich viele Salven Gas, das in Augen und Nase beißt.
Was da geschieht, ist nicht so einfach zu erklären. Erst küssen junge türkische Soldaten respektvoll die Hand einer kurdischen Greisin, die sich gerade durch das steinige Niemandsland in die Türkei geschleppt hat. Im nächsten Moment aber nebeln Uniformierte ganze Kurdengruppen ein, die sich aus Suruç auf den Weg an die Grenze gemacht haben, um ihre syrischen Nachbarn zu empfangen, oder um zu protestieren, weil die Grenze immer wieder geschlossen wird. Es fliegen Steine, die Polizei schießt mit Plastikmunition.
Dies ist ein Machtkampf. Im Südosten der Türkei gibt es längst Gebiete, in denen praktisch nur noch die kurdisch beherrschten Rathäuser das Sagen haben. Diese Art von Quasi-Autonomie passt der türkischen Regierung nicht. Der kurdische Zustrom verschärft den Konflikt um die Entscheidungsgewalt offensichtlich.
Zumal die immer noch als Terrororganisation verbotene Kurden-Guerilla PKK nun alle Kurden, die eine Waffe halten können, aufgerufen hat, Kobane gegen die Dschihadisten zu verteidigen. Am Montag stürmten schon ein paar Hundert Männer nach Syrien, durch den Zaun, darunter viele, die zuvor ihre Familien auf die türkische Seite in Sicherheit gebracht hatten.
„Ich würde gern kämpfen“, sagt Hasin. Aber er darf nicht, seine Familie lässt den 14-Jährigen nicht gehen. Hasins Bruder ist 16. „Der ist bei der YPG“, sagt Hasin stolz. YPG nennen die syrischen Kurden ihre Volksmiliz. „Die hat nur leichte Waffen, Kalaschnikows. Die Dschihadisten haben Panzer und Granatwerfer.“ Der Junge redet wie ein Alter, der zu viel gesehen hat.
Es gibt auch das Drama im Drama. Die Schulen im Kriegsgebiet sind geschlossen. „Schon seit drei Jahren“, sagt Fatma, eine von Meha Mustafas Töchtern. Die Mutter erzählt, dass sie erst kürzlich in Rakka, der syrischen Hochburg des IS, auf Verwandtenbesuch war. „Ich habe abgeschnittene, aufgespießte Köpfe auf der Straße gesehen.“ Die Frauen in Rakka müssten sich voll verschleiern, „nur die Augen darf man sehen“. Die IS-Männer aber nähmen sich das Recht heraus, „jeder Frau unter den Schleier zu schauen, und gefällt ihnen ein Mädchen, nehmen sie es mit“. Dass die USA am Dienstag erstmals IS-Stellungen bei Rakka bombardiert haben, findet die Kurdin gut. „Sie sollen sie schlagen, alle vernichten“, sagt sie.
Auch dem Elektriker Ahmed Bekra gefällt das. „Aber die Schläge kommen zu spät“, sagt Bekra, der 31 ist, aber wie ein 50-jähriger aussieht. Bekra und die Männer, die zwischen all den Frauen und Kindern einen kleinen Kreis bilden, tragen Fünf-Tage-Bart, Zigarettenpäckchen in der Hemdbrusttasche und wollen alle zurück nach Syrien, in den Kampf. In Turnschuhen und Sandalen. „Die Dschihadisten haben Kreuze an unsere Häuser gemalt, sie haben uns Ungläubige genannt“, erzählt ein Bauer. Dass die Kurden Sunniten sind wie die Angreifer, hat ihnen nichts genutzt. „Ihr seid Amerikaner, keine Muslime, haben sie uns gesagt.“
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fürchtet, dass aus Kobane noch mehrere 100000 Menschen in die Türkei strömen könnten. Wenn aber stimmt, was viele der Geflüchteten erzählen, dann ist Kobane bereits eine Geisterstadt. „Da sind vielleicht noch 1000 Menschen, einschließlich der YPG“, sagt Yashar Ali, ein kurdischer Politiker, der am Montag noch dort war. Aber auch wenn keine Massen mehr kämen: Die Lage in Suruç ist schon schwierig genug. Die Menschen lagern in Moscheen, Hochzeitssalons und Beerdigungshäusern. Die türkischen Kurden tragen zusammen, was sie auftreiben können: Decken, Lebensmittel, Babywindeln. Und doch fehlt es an allem. Der türkische Staat hat zwar versprochen, alle Flüchtlinge „ohne Rücksicht auf Religion oder Ethnie“ zu versorgen. Aber zuvor sollen sich alle registrieren lassen und dann in neue staatliche Lager begeben. Die müssen erst gebaut werden. Viele Kurden haben jedoch außer ihrem nackten Leben auch eine Art Urangst vor der Türkei mitgebracht. Und in diesem Gefühl werden sie von den türkischen Kurden noch bestärkt. Funktionäre der türkischen Kurdenpartei BDP in Suruç verbreiten das Gerücht, der Türkei sei es ganz recht, wenn die syrisch-kurdischen Dörfer entvölkert würden, weil sie sich vor grenzüberschreitenden kurdischen Autonomiewünschen fürchte. Der Türkei sei der IS als Nachbar gar lieber als die Kurden. Am Mittwoch fahren deshalb Hunderte Kurden an die Grenze. Sie wollen „Wache“ halten, damit kein IS-Kämpfer durch den Stacheldraht schlüpft.
Das Misstrauen speist sich aus Geschichten wie dieser: Am Dienstag gab es Fotos von einem bei den Kämpfen um Kobane schwer verletzten IS-Mann mit Namen Ammar Alo, der angeblich in einem staatlichen türkischen Krankenhaus in Şanliurfa behandelt wurde. Inzwischen ist Alo nicht mehr in der Klinik. Nachdem das Foto mit dem Mann mit dem blutverschmierten Kopfverband im Internet auftauchte, soll er eilends verlegt worden sein. Taxifahrer in Şanliurfa erzählen zudem von „auffällig vielen gut gebauten jungen Männern“, die sich vom Flughafen zu den Stadthotels fahren lassen. „Die gehen dann irgendwo über die Grenze“, vermutet ein Fahrer. Es gibt türkische Twitterer, die offen für den Dschihad werben, Islamisten-Vereine rekrutieren Kämpfer. Die Regierung hat dem Treiben auffällig lange zugeschaut.
Nun wird es offenbar auch den Politikern in Ankara unheimlich, angesichts des Gefechtslärms aus Kobane, den man auch auf der türkischen Seite der Grenze immer wieder hört. Oder der enorme Druck aus Washington hat gewirkt. Jedenfalls hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan – direkt nach den ersten amerikanischen Luftschlägen in Syrien – in New York am Rand der UN-Vollversammlung angedeutet, sein Land denke über eine Beteiligung an der Koalition der westlichen und arabischen Staaten gegen den IS nach. Es dauert danach nur wenige Stunden, bis in der Nacht zum Mittwoch Kampfflugzeuge IS-Nachschubwege nur 30 Kilometer entfernt von Kobane bombardieren. Das melden Augenzeugen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London. Die Aktivisten geben an, die Jets seien aus dem türkischen Luftraum gekommen. Letzteres wird aus Ankara dann dementiert.
Erdoğan hat sich in New York auch darüber beschwert, dass sein Land kaum Hilfe bekomme für die Versorgung von 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen, zu denen seit letzter Woche nun 140000 dazukamen. Ankara habe dafür in drei Jahren 3,5 Milliarden US-Dollar ausgegeben, aber nur 150 Millionen Dollar erhalten.
In Suruç sagt Selin Ünal, die Vertreterin des UNHCR in schlammbespritzen Jeans, man werde in den nächsten Tagen Lebensmittel und Decken aus UN-Depots in Dubai und Kopenhagen nach Şanliurfa fliegen. „Der Bedarf ist riesig.“ Aber nur 21 Prozent des Türkei-Budgets des Hilfswerks für 2014 seien bislang von der internationalen Gemeinschaft finanziert.
Wer hat eigentlich den Suppeneimer vor das Rathaus von Suruç gestellt? Keiner weiß es. Irgendeine gute Seele gewiss.
Meha Mustafa sitzt auf einem Plastikstuhl. Nicht mal der gehört ihr. „Wir sind losgelaufen, nur mit unseren Kleidern am Leib“, sagt die 40-jährige Kurdin. „Von unserem Dorf haben die Dschihadisten nichts übrig gelassen. Sogar die Türen der Häuser haben sie herausgerissen und auf ihre Wagen geladen.“ Die Plünderungen waren nicht das Schlimmste. „Das sind keine Muslime, sie töten die Menschen sogar beim Gebet“, sagt die Bäuerin über die Terroristen des „Islamischen Staats“, des IS, die auf der syrischen Seite der Grenze erst die Dörfer um die Stadt Ain al-Arab zerstört haben und dann bis auf wenige Kilometer an die Stadt selbst herangerückt sind, die die Kurden Kobane nennen.
Helfer bereiten sich an der Grenze auf die Ankunft der Flüchtlinge vor
Meha Mustafas fünf Kinder sitzen auf einem alten Teppich. Das abgewetzte Stück Stoff liegt auf der blanken Erde, in einem kleinen Park, im dem fast 1500 Flüchtlinge ausharren. Im Freien. Nur mit ein paar Decken für die Nacht. Trotz der vielen Menschen ist es still in diesem Garten eines kommunalen Kulturzentrums, bis einer den enormen Flachbildfernseher anknipst, den Bürger aus Suruç gebracht und an eine Hauswand gehängt haben. Ablenkung für die Geflüchteten.
So ist das Elend von Suruç auch ein eindrucksvoller Beweis dafür, was Solidarität unter Kurden vermag. Allerdings sorgt genau dies für Verwerfungen mit der türkischen Regierung. Auf der Hauptstraße von Suruç stehen ein halbes Dutzend Wasserwerfer mit laufenden Motoren, dazu Polizisten mit Tränengasgewehren im Anschlag. Ein paar Kilometer weiter, am Grenzzaun, wo die Landschaft nur noch ein staubiges Nichts ist, verschießen die Sicherheitskräfte jetzt täglich viele Salven Gas, das in Augen und Nase beißt.
Was da geschieht, ist nicht so einfach zu erklären. Erst küssen junge türkische Soldaten respektvoll die Hand einer kurdischen Greisin, die sich gerade durch das steinige Niemandsland in die Türkei geschleppt hat. Im nächsten Moment aber nebeln Uniformierte ganze Kurdengruppen ein, die sich aus Suruç auf den Weg an die Grenze gemacht haben, um ihre syrischen Nachbarn zu empfangen, oder um zu protestieren, weil die Grenze immer wieder geschlossen wird. Es fliegen Steine, die Polizei schießt mit Plastikmunition.
Dies ist ein Machtkampf. Im Südosten der Türkei gibt es längst Gebiete, in denen praktisch nur noch die kurdisch beherrschten Rathäuser das Sagen haben. Diese Art von Quasi-Autonomie passt der türkischen Regierung nicht. Der kurdische Zustrom verschärft den Konflikt um die Entscheidungsgewalt offensichtlich.
Zumal die immer noch als Terrororganisation verbotene Kurden-Guerilla PKK nun alle Kurden, die eine Waffe halten können, aufgerufen hat, Kobane gegen die Dschihadisten zu verteidigen. Am Montag stürmten schon ein paar Hundert Männer nach Syrien, durch den Zaun, darunter viele, die zuvor ihre Familien auf die türkische Seite in Sicherheit gebracht hatten.
„Ich würde gern kämpfen“, sagt Hasin. Aber er darf nicht, seine Familie lässt den 14-Jährigen nicht gehen. Hasins Bruder ist 16. „Der ist bei der YPG“, sagt Hasin stolz. YPG nennen die syrischen Kurden ihre Volksmiliz. „Die hat nur leichte Waffen, Kalaschnikows. Die Dschihadisten haben Panzer und Granatwerfer.“ Der Junge redet wie ein Alter, der zu viel gesehen hat.
Es gibt auch das Drama im Drama. Die Schulen im Kriegsgebiet sind geschlossen. „Schon seit drei Jahren“, sagt Fatma, eine von Meha Mustafas Töchtern. Die Mutter erzählt, dass sie erst kürzlich in Rakka, der syrischen Hochburg des IS, auf Verwandtenbesuch war. „Ich habe abgeschnittene, aufgespießte Köpfe auf der Straße gesehen.“ Die Frauen in Rakka müssten sich voll verschleiern, „nur die Augen darf man sehen“. Die IS-Männer aber nähmen sich das Recht heraus, „jeder Frau unter den Schleier zu schauen, und gefällt ihnen ein Mädchen, nehmen sie es mit“. Dass die USA am Dienstag erstmals IS-Stellungen bei Rakka bombardiert haben, findet die Kurdin gut. „Sie sollen sie schlagen, alle vernichten“, sagt sie.
Auch dem Elektriker Ahmed Bekra gefällt das. „Aber die Schläge kommen zu spät“, sagt Bekra, der 31 ist, aber wie ein 50-jähriger aussieht. Bekra und die Männer, die zwischen all den Frauen und Kindern einen kleinen Kreis bilden, tragen Fünf-Tage-Bart, Zigarettenpäckchen in der Hemdbrusttasche und wollen alle zurück nach Syrien, in den Kampf. In Turnschuhen und Sandalen. „Die Dschihadisten haben Kreuze an unsere Häuser gemalt, sie haben uns Ungläubige genannt“, erzählt ein Bauer. Dass die Kurden Sunniten sind wie die Angreifer, hat ihnen nichts genutzt. „Ihr seid Amerikaner, keine Muslime, haben sie uns gesagt.“
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fürchtet, dass aus Kobane noch mehrere 100000 Menschen in die Türkei strömen könnten. Wenn aber stimmt, was viele der Geflüchteten erzählen, dann ist Kobane bereits eine Geisterstadt. „Da sind vielleicht noch 1000 Menschen, einschließlich der YPG“, sagt Yashar Ali, ein kurdischer Politiker, der am Montag noch dort war. Aber auch wenn keine Massen mehr kämen: Die Lage in Suruç ist schon schwierig genug. Die Menschen lagern in Moscheen, Hochzeitssalons und Beerdigungshäusern. Die türkischen Kurden tragen zusammen, was sie auftreiben können: Decken, Lebensmittel, Babywindeln. Und doch fehlt es an allem. Der türkische Staat hat zwar versprochen, alle Flüchtlinge „ohne Rücksicht auf Religion oder Ethnie“ zu versorgen. Aber zuvor sollen sich alle registrieren lassen und dann in neue staatliche Lager begeben. Die müssen erst gebaut werden. Viele Kurden haben jedoch außer ihrem nackten Leben auch eine Art Urangst vor der Türkei mitgebracht. Und in diesem Gefühl werden sie von den türkischen Kurden noch bestärkt. Funktionäre der türkischen Kurdenpartei BDP in Suruç verbreiten das Gerücht, der Türkei sei es ganz recht, wenn die syrisch-kurdischen Dörfer entvölkert würden, weil sie sich vor grenzüberschreitenden kurdischen Autonomiewünschen fürchte. Der Türkei sei der IS als Nachbar gar lieber als die Kurden. Am Mittwoch fahren deshalb Hunderte Kurden an die Grenze. Sie wollen „Wache“ halten, damit kein IS-Kämpfer durch den Stacheldraht schlüpft.
Das Misstrauen speist sich aus Geschichten wie dieser: Am Dienstag gab es Fotos von einem bei den Kämpfen um Kobane schwer verletzten IS-Mann mit Namen Ammar Alo, der angeblich in einem staatlichen türkischen Krankenhaus in Şanliurfa behandelt wurde. Inzwischen ist Alo nicht mehr in der Klinik. Nachdem das Foto mit dem Mann mit dem blutverschmierten Kopfverband im Internet auftauchte, soll er eilends verlegt worden sein. Taxifahrer in Şanliurfa erzählen zudem von „auffällig vielen gut gebauten jungen Männern“, die sich vom Flughafen zu den Stadthotels fahren lassen. „Die gehen dann irgendwo über die Grenze“, vermutet ein Fahrer. Es gibt türkische Twitterer, die offen für den Dschihad werben, Islamisten-Vereine rekrutieren Kämpfer. Die Regierung hat dem Treiben auffällig lange zugeschaut.
Nun wird es offenbar auch den Politikern in Ankara unheimlich, angesichts des Gefechtslärms aus Kobane, den man auch auf der türkischen Seite der Grenze immer wieder hört. Oder der enorme Druck aus Washington hat gewirkt. Jedenfalls hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan – direkt nach den ersten amerikanischen Luftschlägen in Syrien – in New York am Rand der UN-Vollversammlung angedeutet, sein Land denke über eine Beteiligung an der Koalition der westlichen und arabischen Staaten gegen den IS nach. Es dauert danach nur wenige Stunden, bis in der Nacht zum Mittwoch Kampfflugzeuge IS-Nachschubwege nur 30 Kilometer entfernt von Kobane bombardieren. Das melden Augenzeugen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London. Die Aktivisten geben an, die Jets seien aus dem türkischen Luftraum gekommen. Letzteres wird aus Ankara dann dementiert.
Erdoğan hat sich in New York auch darüber beschwert, dass sein Land kaum Hilfe bekomme für die Versorgung von 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen, zu denen seit letzter Woche nun 140000 dazukamen. Ankara habe dafür in drei Jahren 3,5 Milliarden US-Dollar ausgegeben, aber nur 150 Millionen Dollar erhalten.
In Suruç sagt Selin Ünal, die Vertreterin des UNHCR in schlammbespritzen Jeans, man werde in den nächsten Tagen Lebensmittel und Decken aus UN-Depots in Dubai und Kopenhagen nach Şanliurfa fliegen. „Der Bedarf ist riesig.“ Aber nur 21 Prozent des Türkei-Budgets des Hilfswerks für 2014 seien bislang von der internationalen Gemeinschaft finanziert.
Wer hat eigentlich den Suppeneimer vor das Rathaus von Suruç gestellt? Keiner weiß es. Irgendeine gute Seele gewiss.