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Ja oder Nein?

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Bei Hausnummer 19 öffnet eine junge Frau, schwarz gefärbte Haare mit roten Spitzen, Wangenpiercing. James Robertson stellt die Standardfrage: „Stimmen Sie beim Referendum für die Unabhängigkeit oder für den Verbleib in Großbritannien?“ Sie sei unentschlossen, antwortet die Schottin. Daraufhin startet Unabhängigkeitsgegner Robertson sein wohl-erprobtes Referat über die schlimmen wirtschaftlichen Folgen einer Abspaltung, über Firmen, die Schottland verlassen würden, über Jahre voller Unsicherheit.

Robertson gehört zu einem Dutzend Unabhängigkeitsgegnern, die an einem windigen Nachmittag durch die Straßen Harthills ziehen, einer Bergarbeitersiedlung in der Mitte zwischen Edinburgh und Glasgow. Sie klopfen an Türen und versuchen, Unentschlossene zu überzeugen, an diesem Donnerstag beim Referendum über Schottlands Unabhängigkeit gegen eine Scheidung zu stimmen. Umfragen sagen ein ganz knappes Rennen voraus, und beide Lager – Separatisten wie Unions-Freunde – bemühen vor allem wirtschaftliche Argumente für ihre Sache. Die einen malen ein Schreckensszenario für den Fall einer Trennung aus, die anderen prophezeien paradiesische Zustände.



Wird Schottland ein unabhängiger Staat?

Aber wie sieht sie denn nun aus, die ökonomische Zukunft eines unabhängigen Schottlands? Könnte der Staat alleine überleben? Eine Antwort in fünf Teilen:

Größe
Bei einem Vergleich mit anderen Staaten schneidet Schottland nicht schlecht ab. Mit 5,3 Millionen Einwohnern wäre das Land größer als Irland oder Kroatien, und von der Wirtschaftsleistung pro Kopf läge Schottland auf einem ähnlichen Niveau wie Finnland – ärmer als Deutschland, reicher als Frankreich. Das zeigen Berechnungen der Organisation OECD. Überleben könnte Schottland also in jedem Fall, würde der Staat wie von den Separatisten angestrebt im März 2016 unabhängig.

Öl
Die Wohlstands-Statistik unterstellt aber, dass auf Schottland gut 90 Prozent der britischen Öl- und Gasreserven in der Nordsee entfallen. Nach einem Sieg im Referendum müsste die schottische Regionalregierung mit London darüber verhandeln, wie Staatsschulden, Staatseigentum und Seegebiete aufgeteilt werden. In der Nordsee würde wohl wie im Seerecht üblich eine sogenannte Medianlinie schottische und britische Gewässer trennen – und dann wären eben gut 90 Prozent der Ölreserven schottisch. Seit dem Start der Förderung 1975 wurden mehr als 40 Milliarden Barrel aus der See hochgeholt, wobei ein Barrel 159 Litern entspricht. Etwa 12 bis 24 Milliarden Barrel liegen noch im Meeresboden, der Großteil wurde also gefördert.

Seit 1999 sinkt die Fördermenge – im Durchschnitt um acht Prozent im Jahr –, und die am einfachsten zugänglichen Reserven sind erschöpft. Das macht das Fördern teurer für die Konzerne und verringert die Steuereinnahmen, die der Schatz in der Nordsee bringt. Das Office for Budget Responsibility in London, eine Behörde, die Wirtschaftsprognosen erstellt, schätzt, dass Nordsee-Öl und -Gas dem Fiskus 2018 nur 3,5 Milliarden Pfund, also 4,4 Milliarden Euro, Steuern bescheren wird. Vor zwei Jahren flossen noch 6,1 Milliarden Pfund an den Finanzminister.

Da die Einnahmen auch vom Ölpreis und dem Dollar-Wechselkurs abhängen, schwanken sie stark – keine gute Basis, um damit verlässlich für die Staatsfinanzen zu planen. Die schottischen Separatisten um Alex Salmond, den Chef der Regionalregierung, ficht das nicht an. Sie kalkulieren mit deutlich optimistischeren Prognosen, hoffen auf neue Ölfunde und wollen mit den Einnahmen einen Fonds speisen, der ähnlich wie der norwegische Pensionsfonds zukünftigen Generationen zugutekommt. Außerdem soll das Geld dabei helfen, großzügigere Sozialleistungen zu finanzieren.

Finanzen
Ein paar neue Quellen in der Nordsee wären tatsächlich hilfreich, um die Finanzen ins Lot zu bringen. Pro Kopf sind die Staatsausgaben nördlich der innerbritischen Grenze höher als im Durchschnitt des Königreichs – entsprechend ist das Haushaltsdefizit größer. Wenn die Öl-Einnahmen nicht überraschend zulegen, würde Schottland 2016, im ersten Jahr der Unabhängigkeit, auf ein Defizit von 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zusteuern, prophezeien die Ökonomen vom Londoner Institute for Fiscal Studies. Das würde der Staat senken müssen, damit Gläubiger ihm zu akzeptablen Zinssätzen Kredit gewähren. Zumal Schottland nicht ohne Schulden in die Freiheit entlassen würde; einen fairen Anteil der britischen Verbindlichkeiten wird Edinburgh übernehmen müssen.

Ursache der höheren Ausgaben pro Kopf: In Großbritannien verteilen sich alle Ausgaben bislang auf 64 Millionen Menschen, im unabhängigen Schottland hingegen müssten 5,3 Millionen Bürger alleine den Staatsapparat, Straßen, Hochschulen und eine Armee finanzieren. Außerdem hat Schottland viele dünn besiedelte Gegenden und mehr Rentner als im britischen Durchschnitt – das treibt die Kosten weiter. Die Ausgaben zu kappen, wäre einfach, denn die Regionalregierung gewährt ein gebührenfreies Studium und üppigere Sozialleistungen als der Rest des Königreichs. Das muss nicht so bleiben.

Allerdings versprechen die Separatisten ja gerade, dass die Unabhängigkeit dabei helfen soll, diese sozialen Errungenschaften zu erhalten. Zudem wollen sie die Steuern für Unternehmen verringern. Gespart werden soll aber beim Militär: Im Vergleich zu heute soll eine halbe Milliarde Euro weniger schottisches Steuerzahlergeld in die Verteidigung fließen. Das und die Hoffnung auf hohe Öl-Einnahmen und kräftiges Wirtschaftswachstum sind die finanzielle Wunderformel der Abspalter.

Währung
Ob die Wirtschaft wirklich wächst oder ob die Unabhängigkeit Schottland gar in eine Krise stürzt, hängt entscheidend von der Währungsfrage ab. Der Rest von Großbritannien ist größter Handelspartner für schottische Firmen, Schotten zahlen Hypotheken bei englischen Banken ab – deswegen wollen die Separatisten unbedingt das Pfund behalten. Sie möchten eine Währungsunion mit dem verbleibenden Königreich eingehen, die Bank of England in London wäre dann wie die Europäische Zentralbank für mehr als ein Land zuständig. Die Finanzkonzerne in Edinburgh könnten sicher sein, dass die Bank of England sie bei einer neuen Krise flüssig hält.

Doch die Parteien in London lehnen nach den Erfahrungen in der Euro-Zone eine Währungsunion einmütig ab. Die Separatisten kündigten an, das Pfund im Zweifel einfach ohne Währungsunion weiterzunutzen. Dafür gibt es Vorbilder, so verwendet Panama den US-Dollar, aber schottische Banken und Versicherer würden in der Folge sehr wahrscheinlich nach London ziehen, um weiter die Bank of England als Retter in der Not hinter sich zu wissen.

Unsicherheit über die Zukunft der Währung könnte nach einem Ja im Referendum sogar Panik schüren: Sparer und Investoren könnten am Freitag im großen Stil Geld von schottischen Banken zu englischen Instituten überweisen – einfach um kein Risiko einzugehen. Die Bank of England erklärt, sie habe einen Notfallplan in der Schublade.

EU-Mitgliedschaft
Unsicher ist auch, ob Schottland im März 2016 nahtlos EU-Mitglied werden könnte – das wäre wichtig für die Exportindustrie. Als sehr unwahrscheinlich gilt, dass die Abspalter in den Genuss des Britenrabatts kämen, einer Sonderregel, die Großbritanniens Zahlungen an die EU verringert.

Sicher ist also vor allem die Unsicherheit. Schottland wäre ein kleiner, recht reicher Staat, aber ob es den Bürgern nach der Unabhängigkeit besser oder schlechter ginge, hängt von vielen Verhandlungen und dem wirtschaftspolitischen Geschick zukünftiger Regierungen ab.

Im Bergarbeiterdorf Harthill haben James Robertson und die anderen Unabhängigkeitsgegner an den meisten Haustüren Menschen getroffen, welche die Versprechen der Separatisten skeptisch sehen. Nach anderthalb Stunden lautet ihre Bilanz: gesprochen mit 90 Wählern, 72 davon sind gegen und nur zehn für die Unabhängigkeit. Acht sind unentschlossen – trotz eingehender Debatten an der Tür.

An Harthill würde es also nicht liegen, zerbräche am Donnerstag eine 307 Jahre währende Union zwischen zwei Völkern.

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