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Muss das wirklich alles gesagt werden?

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Es begann vor knapp 18 Monaten mit einem Treffen einer sehr kleinen Gruppe. Alle in dem Kreis waren frustriert, politisch frustriert. Sie waren ignoriert worden in Parteien wie der CDU, in der sie Mitglieder waren, oft seit Jahrzehnten. Und nun wurden sie belächelt. Was sie aufbrachte, war die Euro-Rettungspolitik. Viele Professoren gehörten zu dem Kreis, ihre Namen kannten nur wenige. Aber die neue Partei der nahezu Unbekannten wuchs so schnell wie keine andere zuvor, sie hatte nach ein paar Monaten schon weit mehr als 10000 Mitglieder. An diesem Wochenende nun wurde die Neugründung mit der eigenwilligen Buchstabenfolge, zwei große Lettern, dazwischen ein kleiner, endgültig zum Phänomen – mit zweistelligen Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Ratlos blicken die etablierten Parteien auf den Neuling, der – sieht man von den Grünen ab – bei allen Wähler abzieht.



AfD-Chef Lucke ist nach den Landtagswahlen vom Sonntag zufrieden.

In der Partei selbst hat man viele Erklärungen für den Erfolg. An diesem Montag erzählt der 73 Jahre alte Alexander Gauland dazu eine Geschichte. Es ist die Pressekonferenz der AfD in Berlin nach ihrem Triumph am Vorabend, Gauland ist einer der Gründer der Partei. Vor Jahrzehnten war er einmal Chef der Staatskanzlei in Hessen, für die CDU. Seit Jahren lebt er als Publizist in Potsdam. Zwei Frauen, so berichtet er aus dem Wahlkampf, seien an der Oder auf ihn zugekommen, als er Broschüren verteilte. „Nette Frauen“, sagt er. „Sie haben mir erzählt, dass sie 15 Jahre nicht mehr gewählt haben, aber diesmal würden sie die AfD wählen.“ Denn seine Partei, so hätten sie gesagt, spreche aus, was sie bewege.

Es gehe um Sorgen, über die alle anderen hinweg gingen, sagt Gauland und spricht von einer Schere im Kopf: Zu vieles, was die Menschen umtreibe, werde tabuisiert, mit falschen Rücksichten auf die politische Korrektheit. „Wir müssen uns dagegen wehren, dass der Meinungskorridor immer enger gezogen wird.“

Anderthalb Jahre nach der Gründung ist aus der vom Ökonomen Bernd Lucke angeführten Partei der Euro-Skeptiker die „Das-muss-doch-mal-gesagt-werden“Partei geworden. Der Euro ist höchstens Nebensache, und die AfD stolz darauf, auszusprechen und zu bündeln, was nach ihrer Meinung verschwiegen wird: In diesen Wahlkämpfen waren es vor allem Probleme bei der inneren Sicherheit und mit der Kriminalität an den Grenzen, und das Unbehagen von Bürgern über die Asylpolitik und den Zustrom von Flüchtlingen.

Zweistellig ist ihr Ergebnis in Brandenburg und Thüringen. Der nach Erfolgen oft besonders aufgekratzte Lucke freut sich an diesem Montag über die Rolle als Außenseiter, einem Außenseiter, der nach seinem Selbstverständnis freilich für die Mitte der Gesellschaft spricht: „Je mehr die Altparteien uns schneiden, desto besser schneiden wir ab.“ In Hochstimmung trägt Lucke vor, dass die Partei von überall her Stimmen geholt habe. Vor allem viele frühere Wähler der Linken, aber auch der CDU und der FDP zog die AfD an, zudem etliche bisherige Nichtwähler und eine beachtliche Zahl einstiger SPD-Wähler.

Da kann einer wie Lucke vor Freude nicht anders, als eine Aussage noch zu steigern, die ihm nach der Europawahl reichlich Spott einhandelte. Eine kleine Volkspartei sei die AfD, sagte er da, jetzt macht er sie sogar zu einer „mittelgroßen“. Aber wie soll er bei diesem Erfolg nicht in Euphorie verfallen: in Thüringen fast so stark wie die SPD, die FDP eliminiert, an der Grenze zu Polen in einem Wahlkreis sogar 21 Prozent erreicht. Also erklärt Lucke, gerade erst Europa-Parlamentarier geworden, dass er in den nächsten Bundestag will.

Der Auftritt der Parteispitze in Berlin offenbarte am Montag, wie sich die Gewichte verschoben haben. Vorbei sind die Zeiten, in denen Lucke lange Referate über die Gefahren der Euro-Rettung hielt. Nun erklären Lucke und Gauland, warum sie so intensiv auf die Asylpolitik setzten und damit Erfolg hatten. Dass es in Brandenburg oder Thüringen fast keine Ausländer gibt, spielt da keine Rolle. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Menschen in dieses Land bekommen, die nicht in dieses Land passen“, sagt Gauland. Viele Bürger hätten die Sorge, dass die Politik „mit dem Ansturm nicht fertig wird“. Er warnt: „Irgendwann wird das umkippen. Wir werden eine intolerante Gesellschaft bekommen.“ Das aber wolle die AfD nicht.

Auf Nachfrage bekennen sie sich - wie im Parteiprogramm - ausdrücklich zum Asylrecht. Der Parteivize Olaf Henkel– wie Lucke seit langem Mitglied bei Amnesty International – betont sogar, dass die AfD Asylbewerbern das Recht einräumen will, hierzulande zu arbeiten, während ihre Anträge geprüft werden. Nur sollen, so die AfD-Spitze, die Verfahren beschleunigt und abgelehnte Bewerber schneller abgeschoben werden. Den Menschen mache Angst, „welche Aufnahmebereitschaft von ihnen erwartet wird“, sagt Lucke. So ist das seit Wochen: Die AfD bestreitet vehement, dass sie mit ihren Themen und ihrem Duktus auf Ressentiments setzt. Aber man hat das beklemmende Gefühl, dass gerade dies das Spiel ihrer Wahlkämpfer im Osten war – und je mehr sie damit ankamen, desto größer wurde die Versuchung. Es ist ein Bruch gegenüber den Gründungsmonaten, als Lucke sich bemühte, auf keinen Fall populistisch zu erscheinen.

Nun genießt er, dass die inhaltliche Basis sich verbreitert. Wenn der AfD Grenzüberschreitungen vorgeworfen werden, passt das in ihr Konzept; sie lebt davon, Grenzen zu überschreiten, die sie als zu einengend sieht. Endlich müssten doch die Dinge mal gesagt werden dürfen: Dazu zählt nach Ansicht ihrer Wähler auch, dass es falsch ist, gegen Russland Sanktionen zu verhängen. Für diese in der AfD umstrittene Ansicht erfuhr Gauland in Ostdeutschland im Wahlkampf viel Zustimmung, nicht nur von Anhängern der Linken.

Dass sie aber gerade auch von den Linken Wähler holten, gefällt den AfD-Spitzen gut. Sie seien eben weder links noch rechts, sagt Lucke. Das Lagerdenken „passt bei uns nicht“. Der bekennende Konservative Gauland spottet, dass er „nun auch darauf verweisen kann, dass ich auch Linksextremist bin“. Mit Blick auf die nächsten Monate räumt Gauland ein, dass der Anfang in den Parlamenten schwer werden dürfte. Lucke und seine Fraktion haben im Europäischen Parlament einen unglücklichen Start hingelegt. In die Landtage zieht die AfD mit politisch Unerfahrenen, darunter sind – das bekennen AfD-Leute intern – manche Wirrköpfe, die ein peinliches Bild abgeben könnten. Aber im Moment erscheint es, als könnten das vorerst, wie es einst bei der PDS oder den Piraten der Fall war, der AfD nicht schaden.

Es behagt Lucke sichtlich, dass seine Gegner in dieser Situation ratlos wirken. Gelassen kommentiert er die Reaktionen der CDU, wo er selbst lange Mitglied war: Die Union sei keineswegs der natürliche Partner der AfD, auch mit der SPD könne er sich eine Zusammenarbeit vorstellen. Lucke schließt Koalitionen nicht aus und gibt sich amüsiert darüber, dass die CDU mühsam interne Debatten über Bündnisse mit der AfD zu unterbinden versuche. „Das ist das Problem der Union“, sagt er, es sei ein zäher Prozess: „Ich erwarte das Umdenken nicht für die nächsten Monate.“ Es ist die gönnerhafte Pose des Newcomers, der schon die nächste Wahl im Blick hat: in Hamburg, im Februar 2015.

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