Die Blätter fallen, die Bahn verspätet sich wegen Bäumen in der Oberleitung: Es ist Herbst! Unsere Garderobe muss also plötzlich einen Gang hochschalten, was Wärme und Wasserdichte angeht. Plötzlich tragen wir wieder Klamotten, die unsere Mütter „Übergangsjacken“ nennen würden. Und damit aus denen nicht oben die ganze Wärme kaminartig entpufft, brauchen wir: einen Schal. Nun hat diese ereignisreiche Woche neben vielen anderen auch eine besonders leidenschaftliche Diskussion über die Beschaffenheit eines solchen Männerschals hervorgebracht. Auf der Apple-Präsentation in Kalifornien trug ein vormals unbekannter Spieleentwickler einen auffallend voluminös-violetten Schal um die hageren Programmiererschultern. Während er ein Spiel präsentierte, wirkte es, als läge sein Kopf in einem ultragemütlich ausgekleideten Vogelnest. Das gesammelte Internet überhäufte ihn augenblicklich mit Komplimenten, Liebeserklärungen und diesem halbernsten Spott, den das Internet für seltsame, aber irgendwie coole Typen immer vorrätig hat. Und wenn man die Blogs in den letzten Tagen verfolgte, wirkte es fast, als hätte Apple gar keine Uhr, sondern einen Schal vorgestellt. Der „Scarf Guy“ ist ein Star. Und wir nehmen das und den draußen grassierenden Herbstbeginn zum Anlass, mal kurz Stopp! zu sagen und nachzufragen bei euch, die uns in solcherlei Dingen ja immer gute Leitplanken sind: Was müssen wir beachten bei der Qual der Wahl des Schals? Ist so ein Rund-Dings (Fachbegriff, haben wir gelernt: „Infinity Scarf“) grundsätzlich auch bei uns Jungs cool? (Wir hielten das ja bislang eher für so ein halblächerliches Accessoire von alerten Agenturchefs, die auch schwarze Rollkragenpullis tragen.) Materialmäßig: Ist Merinowolle am kratzigen Männerhals hot or not? Mustermäßig: Darf es ein Burberry-Karo sein? Und rein technisch: Welche Knotung empfiehlt ihr?
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Mir stellt sich während des Grübelns nach einer einigermaßen pauschal tauglichen Antwort zuerst noch eine andere Frage: Warum muss ich bei dem Wort „Scarf Guy“ eigentlich als erstes an Pharrell Williams und seinen Petterson-und-Findus-Hut auf den Grammy-Awards denken?
Vielleicht liegt ja hier schon ein Teil der Antwort begraben: Weil extravagante Accessoires und Männer trotz aller Gender-Fortschrittlichkeit noch nicht so richtig zusammen gehen. Frauen können sich jeden Scheiß an den Körper heften – sie gelten allenfalls als verspielt, mutig, etwas speziell. Männer hingegen gelten sofort als übers Ziel hinaus schießende Gecken. Also wenn sie nicht grad Thomas Gottschalk sind und die eigene Geckenhaftigkeit als total souveräne Haltung etabliert haben.
Jede Modespielerei, die über die Armbanduhr oder den klassischen Herrenhut (und auch der ist schon ein spezieller Grenzfall) hinaus geht, sieht bei einem Mann verkleidet aus. Der Scarf-Guy sah verkleidet aus, Pharrell Williams sah mit seinem Beulen-Hut verkleidet aus und oh, jetzt fällt mir noch eine ganz besonders verkleidet aussehende Spezies von Männern ein: Typen, die so überlange, ganz dünne Strickschals tragen, die ausschließlich eine Dekofunktion erfüllen, da sie ja nicht mehr vor der Kälte schützen als umgehängte Schnürsenkel es täten.
Und wenn jemand außerhalb des Faschings verkleidet aussieht, dann ist das eben leider gleichbedeutend mit Unsouveränität. Mangelnder Selbsteinschätzung. Und die ist unsexy. Uncool. Man ahnt: Der wäre gern jemand, der er nicht ist, und merkts nicht mal. Der kennt sich nicht, der überschätzt sich, der irrlichtert rum auf der Suche nach Anerkennung und wirkt dabei sehr unbeholfen. Man findet ihn dann leider, auch wenn es fies ist, etwas würstchenhaft.
Ich weiß, das war jetzt eher der Versuch einer Erklärung des Problems als eine Anleitung zum richtigen Schaltragen. Aber wenn ihr genau hinhorcht, werdet ihr feststellen, dass die Anleitung schon auch mit drin steckt. Sie ist ganz einfach. Sie lautet: Zieht an, was sich am Hals gut anfühlt, was unauffällig gut zum Rest eurer Winteruniform passt und was euch alles zwischen den Kältegraden -5 bis +10 Grad vom Leib hält. Alles drunter oder drüber sieht im Zweifel über- oder untertrieben aus. Burberry-Karo geht klar, muss jetzt aber zum Beispiel nicht unbedingt sein, wenn ihr dazu auch noch bunte Socken, Segelschuhe und Van-Laack-Hemd anzieht, weil dann seht ihr halt aus wie der Vorzeige-Popper aus Salem und das ist ja auch eine Form der verkleideten Würstchenhaftigkeit, wenn ihr mich fragt. Vielleicht ist und bleibt die beste Form des Schals für den Mann einfach der Bilderbuchschal. Dunkelrot, dunkelblau, schwarz, grau oder kamelfarben, möglichst weich und glatt, Kaschmir, Merino, Seide und Baumwolle kombiniert geht auch. Etwas mehr als eine Männerhand breit, etwas länger als beide ausgestreckten Arme zusammen und umwickeln, fertig. Das nimmt euch jeder ab. Man könnte auch sagen: Im Zweifel klassisch. Das geht immer.
martina-holzapfl