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Bildung mit Dachschaden

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Von Luxus spricht niemand, hat auch in der Vergangenheit nie jemand gesprochen. Von jeher ist die Studentenbude ein Sinnbild für Einfachheit, man denkt an wild durcheinander möblierte Kemenaten – halb Ikea, halb Sperrmüll –, an schmutzige Kaffeebecher, ungesaugte Teppichböden, Wände mit Postern über dem Gelbstich, vielleicht an knarrende Böden, zugige Fenster. An Enge ohnehin. Der Schriftsteller Georg Hermann schilderte vor gut hundert Jahren eine der „unsagbaren Studentenbuden, die nach Kohl und Kindern roch, eingekeilt zwischen den Behausungen zweier Skalen übender Musikhochschülerinnen lag und nach einem Hof herausschaute, auf dem von morgens um sieben bis abends um neun Teppiche geklopft wurden“. Natürlich wohnt ein jeder anders, natürlich gibt es auch einen gehobenen Markt für zahlungskräftigere Studenten, nicht selten von Beruf Sohn und Tochter. Der Grundsatz aber gilt bis heute: Schlichtheit reicht meistens. Nur: In vielen Hochschulstädten gibt es überhaupt kein richtiges Mietangebot mehr.

In diesen Wochen gehen die Zulassungsbescheide für das Wintersemester raus, die Studienanfänger strömen in die Städte und suchen Unterkünfte, verzweifelt und mitunter vergeblich. Die Vorbereitungen für Matratzenlager in Turnhallen zum Semesterstart laufen an, sie werden allmählich Routine. Bürgermeister flehen ihre Bürger an, leer stehende Kammern, Dachböden und ungenutzte Ferienwohnungen auf den Mietmarkt zu werfen. Zählte man 1993 nur 279000 Studienanfänger, waren es 2003 schon 370000, seit 2011 sind es nun jährlich gut eine halbe Million. Ein ähnlich hohes Niveau hält laut Prognosen noch bis 2020 oder 2025 an. In einer Allensbach-Umfrage berichten 72 Prozent der Studenten von Problemen bei der Suche. In einer anderen Studie zeigte sich: Jeder dritte Studienanfänger sucht einen Monat oder länger, jeder zehnte länger als ein Vierteljahr.



Es gibt immer mehr Studierende, aber die Wohnungsnot bleibt.

Das Wohnungsproblem eskaliert jedes Jahr wieder – weil die Politik es zu lange ignoriert hat. Es geht nicht nur um die Existenz von Wohnraum. Sondern es geht um bezahlbaren Wohnraum. Die jüngste Sozialerhebung, vom Bundesbildungsministerium herausgegeben, veranschlagt für einen durchschnittlichen Studenten 298 Euro Mietkosten im Monat, am höchsten waren die Werte in Köln und München mit je 360 Euro. Hier fließen aber auch preisgünstige Wohnheime in den Durchschnitt ein.

Gerade die Preise für WG-Zimmer sind laut einer Analyse von Wohnungsanzeigen dagegen vielerorts rasant gestiegen. Eine Auswertung, die der Online-Anbieter Immobilienscout24 auf Basis von 200000 Annoncen veröffentlich hat, zeigt: In München müssen Studenten aktuell im Schnitt 501 Euro Warmmiete für ein Zimmer zahlen, in Frankfurt am Main 428 Euro. Mit sehr hohen Preisen müssen Studenten demnach auch in Stuttgart (396 Euro), Konstanz (388 Euro), Heidelberg (383 Euro) und Düsseldorf (371 Euro) rechnen. Günstiger ist es teils in den neuen Bundesländern, mit Ausnahme Berlins. Doch auch aus Leipzig, Jena, Erfurt, Greifswald oder Dresden häufen sich die Beschwerden wohnungssuchender Studenten.

Nun lässt sich argumentieren: Die Mietmärkte in Städten sind nun mal angespannt – nicht nur für Studenten. So wird auf politischer Ebene darüber debattiert, Mieter will die große Koalition mit einer Mietpreisbremse schützen. Doch für Hochschüler müsste es separate Bemühungen geben: Denn die hohe Zahl der Studenten kommt ja nicht aus dem Nichts. Über Jahre hat die Politik in Bund und Ländern den Ausbau der Studienplatzkapazitäten forciert, um bei den Akademikerquoten nicht mehr international hinterherzuhinken, man hat die jungen Leute systematisch in die Hochschulstädte getrieben.

In den Hochschulpakt für zusätzliche Studienplätze, den Bund und Länder gemeinsam tragen, sind seit 2007 schon viele Milliarden Euro geflossen und noch viele Milliarden Euro für die kommenden Jahre sind verplant. Die Hochschulen haben sich auf die Abiturientenströme eingestellt, vielerorts wurde und wird gebaut – neue Hörsäle, Seminarräume, Bibliotheken. Dass zum Studium nicht nur ein Dach während der Vorlesung gehört, sondern auch eines außerhalb des Hörsaals – das wurde vergessen. Seltsam ist das freilich nicht. Vielmehr passt es dazu, wie akademische Bildung mittlerweile aufgefasst wird.

Hochschulen werden immer mehr zu reinen Wissen-und-Zertifikate-Verteilungseinrichtungen. Der regelmäßig beschworene „Rohstoff Bildung“ soll in die Köpfe der Studenten hinein, schnell und effizient. Die Bologna-Reform, die mit den Abschlüssen Bachelor und Master das Studium an den Arbeitsmarkt angepasst und es über Leistungspunkte exakt messbar gemacht hat, kommt hinzu. Es geht hier nicht um eine Romantisierung vergangener Zeiten, nicht um einen Aufruf zum Bummelantentum. Die Bologna-Reform bringt auch Vorteile: mehr Verbindlichkeit, eine frühzeitige Rückmeldung, wenn man das falsche Fach gewählt hat. Dass aber ein Studium mehr ist, als einen jungen Menschen zum Arbeitnehmer oder Arbeitgeber heranzuzüchten, rückt in der Logik der Politik und auch der Gesellschaft zunehmend an den Rand. Und deswegen hat man die Bildungsexpansion nur halbherzig geplant – mit viel Elan, wenn es um die Studienkapazitäten geht. Ohne sonderlichen Eifer mit Blick auf die soziale Infrastruktur.

Vor anderthalb Jahren hat sich der damalige Bundesbauminister Peter Ramsauer öffentlichkeitswirksam der Sache angenommen – der CSU-Politiker lud zu einem runden Tisch in Berlin. Ergebnis: keines. Ohnehin, so hieß es, sei das ja alles Ländersache. In gut der Hälfte der Länder ist mittlerweile etwas geschehen, Wohnheimbau durch gemeinnützige Träger wird bezuschusst oder über Darlehen gefördert, zu nennen ist vor allem Bayern. Ob das reicht? 81 Prozent der Studenten in der Allensbach-Umfrage sagten, dass es in ihrer Stadt zu wenig Wohnheime gibt.

Die Datensätze des Deutschen Studentenwerks zeigen, wie unterschiedlich stark der Bau vorangetrieben wurde. Frankfurt an der Oder zum Beispiel hat bei der Versorgung der örtlichen Studenten mit Wohnheimplätzen eine Quote von fast 20 Prozent; in Frankfurt am Main sind es weniger als drei Prozent. Aus dem Bundesbauministerium sind auch aktuell keine Signale zu vernehmen, dass sich der Bund in der Sache zentral engagieren will.

Dabei wäre genau das nötig: eine strategische Aktion von Bund und Ländern. Verfassungsrechtliche Zweifel gelten nicht. Wenn man will, geht auch was. Siehe Hochschulpakt zum Ausbau der Studienplätze. Ein sozialer Hochschulpakt hätte gleichermaßen Berechtigung gehabt, hat sie immer noch. Denn womöglich hält der Andrang an den Hochschulen noch länger an als bis Mitte der 2020er-Jahre – wenn die Abiturquoten weiter ansteigen, wenn der Zugang zum Studium ohne Hochschulreife ausgebaut wird. Beides wird stets als Ziel der Bildungspolitik genannt, mit Verweis auf den Wohlstand der ganzen Republik. Es wird Zeit zu begreifen, dass Studenten nicht nur lernen, sondern auch leben müssen. Und es darf dabei nicht noch mehr Zeit verloren gehen.

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