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„Das ist vom Grundgesetz nicht gedeckt“

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Eigentlich sollte sich der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags vor allem mit dem Treiben der amerikanischen und britischen Dienste befassen. Die Ausschussmitglieder sollten klären, ob und wie viele deutsche Bürger sie ausgespäht haben, wie die Bundeskanzlerin in ihr Visier geraten konnte und was sich seither getan hat. Seit der ersten Sitzung ist nun schon fast ein halbes Jahr vergangen und in die Kritik geraten ist neben den üblichen Verdächtigen NSA, CIA und GCHQ auch Deutschlands Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND). Sein Treiben verstoße zumindest in Teilen gegen das Grundgesetz, sagten mehrere Sachverständige im NSA-Untersuchungsausschuss. Einer von ihnen ist der 71-jährige Staatsrechtler und Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier.

SZ: Durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden hat die Welt gelernt, wie amerikanische und britische Geheimdienste Mails lesen, Telefonate abhören, Internet-Chats ausspähen. Auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND durchsucht im großen Stil Mails und Telefonate nach interessanten Informationen. Ist das zulässig?
Hans-Jürgen Papier: Das Grundrecht des Telekommunikationsgeheimnisses ist in Artikel 10 des Grundgesetzes verbrieft. Es bindet alle deutsche staatliche Gewalt und damit selbstredend auch den BND. Der Dienst darf Inländer wie Ausländer nicht ohne Weiteres überwachen.

Die Praxis sieht anders aus. Danach werden Deutsche und in Deutschland lebende Personen bei ihrer Auslandskommunikation nur unter bestimmten Voraussetzungen überwacht. Alle Ausländer, soweit sie nicht zufällig in Deutschland leben, sind dagegen regelrecht vogelfrei.
Das ist vom Grundgesetz nicht gedeckt. Das Grundrecht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses ist ein Menschenrecht, es schützt jedermann, Inländer wie Ausländer, unabhängig davon, wo sie sich aufhalten. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon vor 15 Jahren jedenfalls für die Fälle bestätigt, in denen Erfassung und Auswertung im Inland erfolgen.



Darf der BND beliebig Menschen in anderen Ländern abhören?

Sie haben damals als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts das Urteil verkündet ...
... in dem wir einige Regelungen der sogenannten strategischen Fernmeldeaufklärung des BND beanstandet haben, das Vorgehen aber im Grundsatz als mit dem Grundgesetz vereinbar gesehen haben. Das Grundrecht aus Artikel 10 ist jedenfalls für die Kommunikation im Ausland als maßgeblich herangezogen worden.

Das Urteil hat aber niemand so verstanden, schon gar nicht die Bundesregierung. Interpretieren Sie in Ihre Entscheidung mehr hinein, als drinsteht?
Nein, die Lesart, dass der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses nur gilt, wenn ein deutscher Staatsbürger oder ein Ausländer, der sich in Deutschland aufhält, beteiligt ist, halte ich für verfehlt. So steht es nicht in dem damaligen Urteil.

Warum ignorieren dann alle Bundesregierungen seit 15 Jahren Ihren Richterspruch?
Gefordert ist der Gesetzgeber. Dass er sich für befugt hielt, Einschränkung vorzusehen und seitdem beizubehalten, beruht wohl darauf, dass die damalige Entscheidung nur bestimmte Fallgestaltungen unmittelbar betraf.

Im G-10-Gesetz, das nach dem Urteilsspruch geändert wurde, wird die strategische Fernmeldeaufklärung dahingehend eingeschränkt, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, das Privateste vom Privaten, nicht tangiert werden darf. Einen Satz später heißt es, dass diese Einschränkung im Ausland nicht gelte, sofern kein Deutscher betroffen ist. Es wird also sehr wohl zwischen Deutschen und Ausländern unterschieden.
Das halte ich für verfassungsrechtlich problematisch. Das macht keinen Sinn und entspricht auch nicht dem Inhalt und der Intention des Grundgesetzes.

Das G-10-Gesetz müsste also reformiert werden?
Ja, in dieser Hinsicht sehe ich das so.

Verstößt der BND derzeit gegen das Grundgesetz, wenn er Terroristen in Pakistan abhört oder Russlands Präsident Putin belauscht, wie er mit Vertrauten seine Ukraine-Strategie bespricht?
Hier muss man differenzieren. Klassische Spionage ist nicht vom Schutz des Artikel 10 erfasst, wenn und soweit sie sich gegen ausländische Staaten und deren Organe richtet – die sind keine Grundrechtsträger.

Ein Telefonat von Hillary Clinton abzuhören mag also politisch unklug sein, ist aber juristisch zulässig?
Die politische Opportunität möchte ich nicht beurteilen. Abgesehen davon ist es nach deutschem Recht – jedenfalls sofern es um amtlichen Telekommunikationsverkehr geht – kein Grundrechtseingriff. Wenn Amtsträger eines fremden Staates ins Fadenkreuz des deutschen Geheimdienstes geraten, sind sie im Hinblick auf die Vertraulichkeit des amtlichen Verkehrs nicht Träger von Grundrechten. Die Bevölkerung auch des ausländischen Staates hingegen schon.

Weltweit spionieren die Geheimdienste längst nicht mehr nur Politiker, Generäle und Wirtschaftsgrößen aus, sondern auch die Bevölkerung anderer Staaten. Ist das zulässig?
Gemessen am deutschen Grundgesetz würde ich sagen: nein. Die Spähprogramme von NSA und Co., die in den letzten Monaten bekannt geworden sind, ähneln schon sehr der in Deutschland und auf EU-Ebene diskutierten flächendeckenden, vorsorglichen, anlasslosen Erhebung und Speicherung aller Telekommunikationsverbindungen ...

... der sogenannten Vorratsdatenspeicherung ...
... die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Weite gegen deutsches Verfassungsrecht verstößt. Denn der Bürger darf nicht total erfasst und registriert werden. Dieses Verbot, so das Bundesverfassungsgericht, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland. Das bindet die staatlichen Organe Deutschlands unmittelbar. Fremde Mächte sind allerdings an deutsche Grundrechte nicht gebunden. Den deutschen Staat trifft aber eine Pflicht zum Schutz vor ausländischen Verletzungen.

Der BND hat in Afghanistan ausweislich der Snowden-Dokumente in einem einzigen Monat 500 Millionen Metadaten abgefangen. Das klingt nach einer sehr weit gehenden Überwachung. Ist das erlaubt?
Zur Praxis des BND kann ich aus eigener Kenntnis nichts sagen. Eine verdachtslose und flächendeckende Totalerfassung personenbezogener Daten wäre aber eindeutig nicht zulässig – dabei spielt es auch keine Rolle, ob es sich um Telekommunikationsinhalte oder um Metadaten, also Verbindungsdaten, handelt. Nur weil der BND im Ausland tätig ist, hat er damit noch lange keinen Freibrief, uneingeschränkt Grundrechte zu verletzen.
Zusammengefasst heißt das: Der BND darf andere Staaten ausspionieren, aber nicht ohne Weiteres deren Bevölkerung. Aber was ist mit der Sammlung von riesigen Mengen Telekommunikationsdaten im Ausland, um dann in diesen Daten nach Terroristen zu suchen?
Der BND darf keine Menschenrechtsverletzungen vornehmen. Im Übrigen hat er seine gesetzlichen Aufgaben und Pflichten zu erfüllen.

Der BND spioniert nicht allein. Er tauscht regelmäßig Informationen mit Partnerdiensten aus, etwa mit den amerikanischen und britischen Geheimdiensten. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich gilt der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses nicht nur für die Erhebung der Daten, sondern auch für deren Verwendung und Verarbeitung. Der BND ist also an das Grundgesetz gebunden, wenn er von Drittstaaten erlangte Informationen empfangen, speichern und verwenden will. Es gelten im Grundsatz die gleichen juristischen Anforderungen, wie wenn der Dienst die Informationen selbst erheben würde.

Nun gelangen die amerikanischen und britischen Dienste offenbar durch Massenausspähung an ihre Informationen. Darf der BND sie dennoch verwenden?
Ein Austausch persönlicher Daten mit ausländischen Diensten, die ihre Informationen weitgehend mit Methoden erlangen, die den Mindeststandards der deutschen und europäischen Grundrechte eindeutig nicht genügen, ist verfassungsrechtlich zweifelhaft.

Der BND müsste den Datenaustausch also stoppen?
Ja, wenn und soweit es um solche sensiblen Daten und um solche angreifbaren Methoden der Erhebung geht. Auch wenn das sicherlich nicht gerade zu einer Erleichterung der Zusammenarbeit mit den ausländischen Diensten führen dürfte.

Angeblich wurden in der Vergangenheit dank Hinweisen ausländischer Dienste Terroranschläge in Deutschland vereitelt, etwa im Fall der sogenannten Sauerland-Gruppe. Folgt man Ihrer Argumentation, hätten die deutschen Geheimdienste diese Informationen gar nicht verwenden dürfen ...
In einem solchen Fall, wo wichtigen Rechtsgütern eine konkrete Gefahr droht, würde ich sagen, darf man sich den Informationen nicht verschließen – auch wenn sie auf obskurem Weg gewonnen wurden.

Wo würden Sie dann die Grenze ziehen?
Wenn eine schwerwiegende Gefahr für Leib oder Leben, den Bestand oder die Sicherheit des Staates droht, muss man eine Ausnahme machen.

Wenn die deutschen Geheimdienste mit den ausländischen Diensten im Alltag keine Informationen austauschen, besteht aber auch die Gefahr, dass sie in einem solchen schwerwiegenden Fall nicht gewarnt werden.
Dieses Risiko muss man eingehen. Man kann immer sagen: wenn ich nicht umfassend persönliche Daten erfasse, entgeht mir möglicherweise irgendwann eine Information. Der Preis für dieses Vorgehen aber ist unverhältnismäßig hoch: Wenn sich in der Bevölkerung ein diffuses Gefühl des Beobachtetseins, der ständigen Überwachung, ja des Gegängeltseins und des Verfolgtseins breitmacht, dann ist das demokratiegefährdend. Das ist das Ende von Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit.

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