Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207

Kurz nach dem Ur-Ball

$
0
0
Was würde passieren, wenn man versucht, einen Baseball zu treffen, der mit Beinahe-Lichtgeschwindigkeit heranfliegt? Man stirbt. Denn der Ball rast so schnell durch die Luft, dass er sie zerteilt und dadurch eine Kernfusion auslöst. Binnen 30 Nanosekunden wird alles im Radius von einer Meile weggewalzt. Übrig bleibt ein Feuersturm.

Das sagt zumindest Randall Munroe, der die Einzelheiten ausgerechnet und aufgeschrieben hat. „Ich mag Fragen, die realistisch genug sind, dass man sie wissenschaftlich beantworten kann“, sagt er, „aber verrückt genug, dass es noch niemand versucht hat.“



Was würde passieren, wenn der Ball in Beinahe-Lichtgeschwindigkeit heranfliegt?

Munroe, 30, ist Comic-Autor und einer der Menschen, für die das Wort „Nerd“ erfunden wurde. In einem seiner Comics ist er auf den Boden gestürzt, um ihn herum liegen Bücher und Menschen beschimpfen ihn. Seine Antwort an die Menschen: „Ihr macht Witze über mich, aber eines Tages werde ich mich im Internet über euch lustig machen.“ Dieser eine Tag kam vor acht Jahren. Und das Lustigmachen läuft so gut, dass der studierte Physiker dafür eine Karriere bei der Nasa aufgegeben hat.

Die Comics von Munroe sind zu finden auf der Seite „xkcd.com“ – der Titel hat keine Bedeutung – sie gehören zum Besten, was das Internet zu bieten hat. Es gibt jedoch eine Einschränkung, die sich darin zeigt, dass Munroe kürzlich den Hugo-Award gewonnen hat, einen renommierten Science-Fiction-Preis. Oder dass ein Asteroid nach ihm benannt ist. Um seine Witze zu verstehen, muss man ein Minimal-Interesse an Technik haben. Denn das ist die Ausgangsbasis für viele Situationen, die Munroe für seine Pointen nutzt.

Wie viele Leser Munroe hat, weiß er nicht. Er sagt, das sei ihm egal: „Der Systemadministrator weiß Bescheid, glaube ich.“ 2008 hatte er schon 80 Millionen Seitenabrufe pro Monat. Dass Munroe noch mehr Leser gewinnen könnte, wurde ihm klar, als er einen Kurs an der Elite-Universität MIT gehalten hat. „Ich wollte mit den Studenten über Energie reden. Das hat sie gelangweilt. Erst als ich erklärt habe, wie viel Energie man aufbringen müsste, um ein Flugzeug aus der ‚Star Wars‘-Reihe zu bewegen, haben sie mitgemacht.“

Aus dieser Frage ist eine eigene Seite entstanden, sie heißt „What if?“. Die Besucher stellen so viele Fragen, dass Munroe Mitarbeiter braucht, um sich die interessantesten herauszupicken. Die Frage mit dem Baseball ist eine davon. Eine andere ist: Was würde passieren, wenn alle Menschen sich gleichzeitig an einem Ort der Welt treffen und springen würden? Die Antwort: Nichts – aber danach beginnt das Massensterben, weil es ein infrastrukturelles Desaster ist, alle Menschen der Welt wieder nach Hause bringen zu wollen. Anfang September wird eine Auswahl dieser Fragen unter dem Titel „What If? Was wäre wenn?“ als Buch erscheinen.

Munroes Erfolg liegt darin begründet, dass er alle Voraussetzungen erfüllt, die für eine erfolgreiche digitale Kommunikation nötig sind: Er macht Witze. Zusammen mit lustigen Videos gehören Witze zu den Inhalten, die am schnellsten viral verbreitet werden. Da er Nerd-Witze macht, wird er von einem Publikum wahrgenommen, das selber netzaffin ist. Also von Menschen, die wissen, wie man digitale Mundpropaganda macht. Das erhöht seine Sichtbarkeit. Es entsteht ein Geschäftsmodell. Wenn Munroe redet, hören ihm mittlerweile eine Million Menschen zu; so oft wurde das Video seiner Rede auf der TED-Konferenz aufgerufen. Spätestens dort wurde klar, dass auch Google ein Fan von ihm ist. Eine der Fragen, die Munroe beantworten wollte, lautete: Wenn alle digitalen Informationen der Welt auf Lochkarten gespeichert würden, wie groß wären die Rechenzentren von Google? Die Antwort von Munroe: Das gesamte Gebiet von Neuengland im Nordosten der USA wäre bedeckt, und das fünf Kilometer hoch.

Die Reaktion von Google kam dann per Post: Es war eine altertümlich anmutende Lochkarte. Munroe liest sie aus und entdeckt, dass ihn die Mitarbeiter vor Rätsel stellen. Löst Munroe eins, kommt das nächste. Bis irgendwann das typische Statement von Google zu lesen ist: Kein Kommentar.

Munroe beantwortet eine Frage pro Woche. Pro Antwort benötigt er etwa 24 Stunden. Auch Leser schicken ihm ihre Antworten. Für Munroe sind solche Rückmeldungen wichtig, da er so erfährt, ob er mit seiner eigenen Antwort richtig lag. In der Baseball-Frage lag er daneben. Das erfuhr er, weil Teilchenphysiker seine Rechnung gesehen und den Baseballflug auf ihren Computer simuliert haben. Das Ergebnis war zwar falsch, aber der Fehler dann auch wieder vernachlässigbar. Der Unterschied betrug lediglich Nanosekunden.
Aus Randall Munroes Buch „What if? Was wäre wenn?“, das in Kürze erscheint, bringt das SZ-Magazin am 29. August einen mehrseitigen Vorabdruck

Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207