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"Auch ich wollte sie hassen"

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jetzt.de: Was hat dich an den Reichen so fasziniert, dass du ein Buch über sie schreiben wolltest?
Dennis Gastmann: Na ja, Geld hat mich schon immer interessiert. Aber im Ernst: Auf meinen Reisen als Reporter habe ich so viele Menschen getroffen, die nach großem Wohlstand strebten und von Palästen, Prinzessinnen und Königreichen träumten. Ich habe mich schon immer gefragt, wie man sich eigentlich fühlt, wenn man das alles besitzt. Welche Rolle Geld spielt, wenn Geld keine Rolle mehr spielt. Was Reichtum mit dem Kopf und mit dem Herzen macht.



Bevor Dennis Gastmann für sein Buch auf Reichtumsrecherche ging, studierte er Politik und Journalistik und war Autor und Reporter der Satiresendung "extra3".

Ab wann ist man eigentlich reich?
Ein Unternehmensberater, dessen Vermögen auf eine halbe Milliarde geschätzt wird, erklärte es – wenig romantisch – so: Man sei reich, wenn man von den Zinsen seiner Zinsen leben könne. Dann rechnete er und kam auf ein Nettoeinkommen von ungefähr 100 000 Euro im Jahr. Jochen Schweizer, der Erlebnispapst, spricht eher von einer Zufriedenheitsgrenze. Das Glück beginne, wenn ein Mensch das Haus abbezahlt habe, schuldenfrei sei und 50 000 Euro auf dem Konto habe. Bei fünf Millionen würde das Glück enden, zuviel Geld sei schädlich. Für ihn selbst gilt diese Theorie übrigens nicht, wie er immer betont, er brauche „etwas mehr Cash.“

Hast du herausgefunden, wie man den Sprung in die geschlossene Gesellschaft der Reichen schafft – mal angenommen, das Geld stimmt?
Bei mir hat es auf die naive Tour funktioniert. Ich schrieb einer bekannten Jetset-Prinzessin und fragte sie, was wahrer Luxus sei. Daraufhin lud sie mich spontan zu einer mondänen Aids-Gala nach Marbella ein und stellte mich ihren Freunden vor: zum Beispiel Gunilla von Bismarck, der Ur-Enkelin unseres Reichskanzlers. Auch ein Immobilienlöwe und die Ex-Frau von Dolph Lundgren saßen in unserer Runde. Das war meine Eintrittskarte in die High Society.

Über Geld spricht man bekanntlich nicht. Wie offen war denn die geschlossene Gesellschaft für deine Fragen?
Alle Journalisten wollen an die Reichen ran. Deshalb scheiterten die meisten meiner Anfragen per Mail oder Brief. Ich habe meine Worte an die Hautevolee wirklich mit Kirschen und Sahne dekoriert, trotzdem gab es zu 98 Prozent Absagen. Bill Gates? Keine Antwort. Warren Buffett? Keine Zeit. Paris Hilton? Freute sich angeblich über meine Nachricht, aber nein: keine Chance. Leichter ist es natürlich bei den Reichen, die sich vor jede Kamera stellen. Ein Treffen mit Rolf Eden war zum Beispiel gar kein Problem. Er hält jeden Tag ohne Presseberichte über sich für einen verschenkten Tag. Bei allen anderen hilft die Gonzo-Methode.

Also selbst so tief wie möglich involviert sein und Teil des Geschehens werden.
Ja genau. Ich verabschiedete mich von der journalistischen Objektivität und berichtete gnadenlos subjektiv. Weg mit der Distanz, rein in den Smoking. Ich habe Charity-Abende im Pinguinoutfit besucht und trieb mich in roter Hose und hautengem weißblauen Hemd auf einem Sylter Poloturnier herum. Ein Freund schmuggelte mich sogar in eine schlagende Verbindung. Natürlich habe ich kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich Journalist bin, aber mein Tarnzeug half mir, das Vertrauen der Leute zu gewinnen. Manchmal ging es auch darum, ihnen etwas Respekt entgegen zu bringen, indem ich im Anzug erschien. Und schließlich brauchte es Geduld. Ich habe mit meinen Interviewpartnern viel Zeit verbracht, ihnen Geschichten von meinen Reisen und meiner Familie erzählt. Es war ein Austausch.

Wie schwer war der Spagat zwischen den Welten?
Für meine Recherche schlüpfe ich in eine Rolle und hinterfrage nicht jeden Schritt. So kann ich auch mit Immobilienbetrügern Bruderschaft trinken. Das würde der echte Dennis nie machen.

Geht dabei denn nicht der kritische Blick verloren?
Die kritische Distanz kehrt automatisch am Schreibtisch zurück, wenn ich meine Notizen durchschaue. Dann bin ich manchmal schockiert und bewerte meine Erlebnisse neu.

Führte die Nähe auch zu Neid?
Ich wollte kein Neidbuch schreiben, das mit denen da oben abrechnet. So etwas finde ich billig. Trotzdem habe ich viele Protagonisten beneidet. Mit ihnen tauschen möchte ich aber nicht, weil einige von ihnen schwere Schicksalsschläge erlitten haben. Es gab auffällig häufige Autounfälle und Selbstmorde in ihren Familien. Außerdem führt Reichtum manchmal zu ganz entsetzlichen Geschmacksverirrungen.

Inwiefern?
In der Ukraine habe ich einen Oligarchen in seinem Palast mit Blattgold an den Wänden besucht. Im Atrium saß ein Falke, und die Wände des riesigen Poolhauses waren in Regenbogenfarben gestrichen, so als hätte der Maler Ecstasy geschluckt. Ich könnte in dieser Umgebung nicht wohnen.

In welche Villa wärst du denn eingezogen?
Rolf Sachs, der älteste Sohn von Playboy Gunter Sachs, hat das ehemalige Olympiazentrum in St. Moritz gekauft, renoviert und umgebaut. Er wohnt in der ehemaligen Tribüne: Ein ultraflaches Gebäude mit Turm, viel Holz und Panoramafenstern, die auf die Berge und ein Tal blicken. Eine sehr inspirierende Gegend. Dort würde ich gerne leben.

Klingt alles, als gäbe es große Unterschiede zwischen den Reichen.
Ich habe wie ein Naturforscher nach unterschiedlichen Arten der Reichen Ausschau gehalten. Es gibt die Selfmade-Milliardäre wie Wolfgang Grupp, den Trigema-Chef. Sie haben sich alles selbst erarbeitet und können nichts aus der Hand geben. Sie hören nie auf zu arbeiten und zu kontrollieren. Das Verantwortungsgefühl für ihr Lebenswerk ist sehr groß. Dann gibt es die Erben. Die sind sehr unterschiedlich. Rolf Sachs zum Beispiel ist sehr bodenständig und geht sehr gewissenhaft mit seinem Erbe um. Er bezeichnet seinen Reichtum als magischen Goldtopf, der ihm Freiheit für die Kunst gibt. Anderseits fühlt er sich diesem Vermögen verpflichtet. Er will es nicht verspielen, sondern an seine Kinder weitergeben. Dann gibt es natürlich noch den Adel, die Jetsetter, die Neureichen und einige Scharlatane.

Welche dieser Gruppen hat dich am schnellsten in ihr Leben gelassen?
Für die Stars und Sternchen der High Society ist Publicity eine Art Geschäftsmodell. Schwerreiche Unternehmer sind eher scheu. Sie konzentrieren sich auf ihr Geschäft und reden nicht unbedingt über Geld.

Mit Reichtums-Voyeurismus werden täglich Magazine und TV-Sendungen gefüllt. Worin liegt der Reiz und woher kommt er?
Das ist eine komplexe Frage. Es geht vor allem um den Wunsch nach sozialem Aufstieg. Während der Recherche habe ich viele Märchen gelesen, die folgen demselben Prinzip, auch hier geht es oft um Reichtum und die Helden werden mit Prinzessinnen und halben Königreichen belohnt. Zur Bewunderung gesellt sich natürlich eine große Portion Missgunst. Der Neidische wünscht sich, dass es den Reichen schlecht geht. Das erklärt auch die diebische Freude über die Steuerskandale von Uli Hoeneß und Alice Schwarzer.

Ist Neid überhaupt angebracht? In deinen Beschreibungen wirken einige Vermögende doch arg gelangweilt, zum Teil fast schon unglücklich.
Das ist tatsächlich eine Beobachtung, die ich sehr häufig gemacht habe. Auf einer Gala, die ich selbst wahnsinnig beeindruckend fand, bezeichneten meine Tischnachbarn die Veranstaltung schnell als langweilig und verschwanden einfach. An eine Szene erinnere ich mich besonders: An meinem Tisch gewann eine Dame eine Handtasche für 2000 Euro. „Was soll ich denn damit?“, fragte sie und eine andere antwortete: „Ja gib sie halt der Haushälterin, die freut sich über so was.“

Aber viel Geld macht trotzdem auch glücklich, oder?
Natürlich. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die mit ihren Millionen auf dem Konto überaus glücklich waren. Viele von ihnen hatten für sich eine sinnvolle Beschäftigung gefunden und ruhten innerlich. Geld nimmt viele Sorgen. Außerdem kann man mit viel Geld viel Gutes tun.

Was überwiegt nach dem Schreiben des Buches? Sympathie für die Reichen? Oder Abneigung?
Mir waren viele Interviewpartner sympathisch, auch wenn ich ihre dunklen Seiten gesehen und darüber geschrieben habe. Einige Reiche haben mich unheimlich inspiriert, zum Beispiel der sogenannte Schraubenkönig Reinhold Würth, Milliardär und einer der reichsten Deutschen. Der hat aus einem Schraubenhandel mit zwei Mitarbeitern einen Global Player mit 65000 Angestellten geformt. Selbst Betrügern konnte ich manchmal etwas abgewinnen. Wie souverän sie sich durch den Saal bewegten! Wie sie sich kleideten, wie sie ansatzlos von Deutsch auf Englisch auf Französisch auf Spanisch wechselten. Das war große Klasse.

Was nimmst du persönlich aus der Recherche mit? Sind Kontakte geblieben?
Mein Konto ist leider nicht angeschwollen. Insgeheim hatte ich gehofft, dass mal einer sagt: „Sie wollen wissen, wie es ist, reich zu sein? Ich mache Sie reich!“ (lacht). Die Kontakte beschränken sich auf Brieffreundschaften. Werner Kieser, der Chef der gleichnamigen Fitness-Kette, schickt mir noch regelmäßig Bilder seiner Rottweiler. Die wichtigste Erkenntnis: Ich mag die Reichen mehr als vorher. Ich hatte meine Klischees, ich hatte meine Vorurteile. Auch ich wollte sie hassen. Aber am Ende hat sich meine Meinung geändert.

Dennis Gastmann: Geschlossene Gesellschaft – ein Reichtumsbericht. Rowohlt, Berlin 2014. 304 Seiten, 19,95 Euro.

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