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Das Ende eines Rächers

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Sein Auto hatte Jürgen Hermann noch abgeschlossen, ein paar seiner Habseligkeiten fand ein Suchhund unweit davon im Gras am Ufer des Rheins: Schlüssel, Jacke, Führerschein, den Reisepass und einen Abschiedsbrief. „Lebt wohl meine Liebsten“, stand darin, „es war eine schöne Zeit mit Euch.“ Sein Geständnis hatte er in englischer Sprache in den Pass gekritzelt: „Ich habe ihn erschossen, so wie er es verdient hat. So ist das Leben.“ Jürgen Hermann selbst allerdings blieb verschwunden nach seinen tödlichen Schüssen auf den Liechtensteiner Bankier Jürgen Frick. Seither ging im Fürstentum die Angst vor seiner Rache um: Hatte Hermann seinen Selbstmord nur vorgetäuscht?



Leiche gefunden, Angst gestillt - hier ein Symbolbild

Gut vier Monate später hat man die Leiche des 59-Jährigen gefunden. Sie wurde vom Rhein in den Bodensee geschwemmt. Ein Fischer entdeckte den leblosen Körper am vorigen Donnerstag auf dem deutschen Teil des Binnensees. Die Leiche trug Kleidung, eine Halskette und einen Ring, die Hermann gehörten. Eine Obduktion und ein Zahnabgleich erbrachten die Gewissheit: Der Tote ist Jürgen Hermann, ehemaliger Fondsmanager und nach Überzeugung der Liechtensteiner Justiz Mörder des 48-jährigen Jürgen Frick.

Bilder einer Überwachungskamera zeigen Hermann, wie er den verheirateten Vater von drei Kindern und Bruder des ehemaligen Liechtensteiner Regierungschefs Mario Frick in der Tiefgarage der Frick-Bank erschossen hat. Mit drei Schüssen aus einer Pistole, deren Herkunft noch unklar ist. Ermittler prüfen noch, ob es dieselbe Waffe ist, mit der Hermann seinem Leben durch einen Kopfschuss ein Ende gesetzt hat.
„Mit dem Auffinden des toten Täters geht die viermonatige Zeit der relativen Ungewissheit zu Ende“, ließen die Bank und die Familie des Opfers Frick verlauten.

Bislang habe „gewisses Unbehagen“ darüber geherrscht, dass zwar von Anfang an vieles für einen Suizid sprach, aber eben keine Gewissheit herrschte. Die Stellungnahme drückt vorsichtig aus, was ein am Finanzplatz in der Hauptstadt Vaduz tätiger Anwalt noch drastischer formuliert: „Hier hatten sehr viele Leute ungeheuer Angst davor, dass Hermann noch lebt und zurückkommt.“ Viele Liechtensteiner fürchteten die Rache des gegen Ende seines Lebens immer zornigeren Mannes, der sich selbst den „Robin Hood im Kampf gegen die Finanzmafia in Liechtenstein“ nannte und im Ausland, vor allem in Deutschland, Unterstützer für seine „200-Millionen-Franken-Klage“ suchte.

Jürgen Hermann hat nach eigenen Angaben in 18 Jahren in den USA ein Vermögen verdient, unter anderem durch die Erfindung eines Tauchcomputers. Zurück in Liechtenstein, legte er zwei Fonds auf, die 2004 zusammenkrachten und liquidiert wurden. Er selbst verlor nach eigenen Angaben 30 Millionen Euro. Nach Hermanns Wahrnehmung war der Crash des Fonds Folge eines Komplotts von Neidern und Konkurrenten. Hauptsächlich die Bank Frick und die Finanzaufsicht des Fürstentums machte er dafür verantwortlich.

Über Jahre hinweg kämpfte Hermann um Reputation und Geld. Doch je häufiger er vor Gerichten scheiterte, die er abfällig „Monkey Courts“ nannte, desto aggressiver wurde sein Ton. Schließlich steigerte er sich hinein in einen Hass, der in der Tötung von Jürgen Frick am Morgen des 7. April gipfelte. Dass Hermann danach verschwand, beunruhigte die Liechtensteiner, Abschiedsbrief hin oder her. Die Polizei ging angesichts der Fundstücke am Rheinufer zwar von einem Freitod aus, doch sicher war auch sie sich nicht. „Solange der Leichnam nicht gefunden ist, besteht ein Restrisiko“, räumte Polizeichef Jules Hoch damals ein.

Im Fürstentum traute man Hermann allerhand zu. Er war nicht nur gegen Ende seines Lebens sprunghaft und aufbrausend, sondern galt auch als hochintelligent. Viele Menschen in dem 36 000-Einwohner-Land glaubten, dass die Hinweise auf eine Selbsttötung am Rheinufer nur inszeniert waren. Der auch in schwierigen Gewässern erfahrene Taucher habe sich abgesetzt, wurde gemutmaßt. Er wolle irgendwann zurückkehren und das tun, was er in E-Mails drei Tage vor dem Mord und seinem Verschwinden formuliert hatte: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“

Nach der Tat und Hermanns Verschwinden gingen etwa 60 Hinweise auf seinen Verbleib bei der Liechtensteiner Polizei ein. Diese mahnte etwa ein Dutzend Menschen, die als Hauptfeinde Hermanns identifiziert wurden, zu erhöhter Vorsicht. Die Sicherheitsvorkehrungen an öffentlichen Gebäuden wurden verstärkt, die Regierung ließ sich regelmäßig über den Stand der Ermittlungen unterrichten.

„Es gibt hier Menschen, die haben nach seinem Verschwinden ihre Häuser stärker sichern lassen“, sagt der Anwalt aus Vaduz, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Was damit zu tun hat, dass die Angst vor Hermanns Rückkehr und einem etwaigen Rachefeldzug nichts war, worüber man öffentlich gerne redete.

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