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Kapitalismus im Galopp

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Angela Ingenito muss warten. Seit Jahren hat sie auf diesen Moment hingearbeitet, sie hat für 80000 Dollar gutes Sperma besorgt, die richtige Mutter gefunden. Sie hat die Stute während der Schwangerschaft betreut, ihren Bauch wachsen sehen, dann die Geburt. Sie hat das Fohlen großgezogen, lange dünne Beine, haselnussbraun, zwei weiße Hinterhufe, zwei dunkle Vorderhufe, weiße Blesse. Es ist gut gewachsen, seine Hüfte ist stark, die Muskeln zeichnen sich unter dem Fell ab. Heute ist der Tag, um Abschied zu nehmen. „Ich bin sehr, sehr, sehr nervös“, sagt Ingenito. „Es ist aufregend und tut immer auch weh, die Pferde gehen zu lassen.“



Die gezüchteten Hochleistungs-Schimmel kommen dann bei Pferderennen - wie hier in Iffezheim - zum Einsatz

Die Züchterin ist aus Florida die ganze Ostküste hinauf nach Saratoga Springs gefahren. Jeden Sommer trifft sich die Pferderenngemeinde im Sommersitz der Reichen in den Bergen zwei Stunden nördlich von New York. Seit 1863 kommen die Menschen hierher zum Pferderennen. Und dieses Jahr, zum 94. Mal, gibt es wenige Meter neben der Rennstrecke die berühmteste und elitärste Auktion des Landes für Rennpferde. Pferdenarren aus der ganzen Welt sind in den Kurort gereist, um das eine Pferd zu finden, das die großen Derbys gewinnen kann. Es geht um Millionen.

„Nach Saratoga Springs komme ich überhaupt nur, wenn ich ein ganz besonderes Tier im Angebot habe“, sagt Ingenito. Ihr besonderes Tier hat heute die Nummer 82 bekommen. Namen zählen nicht, nur Stammbäume. Nummer 82 bedeutet, dass Ingenitos Pferd das letzte ist, das an diesem Abend unter den Hammer kommt. Sie notiert mit zittriger Hand die Preise, die die anderen Fohlen erzielen. „Eine halbe Million sollte bei uns schon drin sein“, hofft sie. „Das klingt vielleicht viel. Aber man muss sich an diese Summen gewöhnen, wenn man nach Saratoga kommt.“

Im Auktionssaal ist jeder Platz belegt. Am Rand stehen Hunderte Zuschauer. Der Auktionator in Smoking und Fliege bewirbt den Körperbau der Tiere, die Rennrekorde ihrer Eltern. Dann werden die Pferde hineingeführt. Muskeln, Rippen und glänzendes Fell, frisch gestriegelt und gekämmt. „Es ist nicht leicht für die jungen Tiere mit dem Geräuschpegel und all der Energie hier drin“, sagt der Auktionator, als sich Fohlen Nummer 19 aufbäumt.

Der Auktionator ruft Zahlen ins Publikum. „100000, gib mir mehr, wie wäre es mit 150000. Gleich 200000 Dollar. Gib mir mehr, gib mir mehr, gib mir mehr. 300000 Dollar. Da geht noch was.“ Schwer zu sagen, ob er singt oder spricht, Amerikaner nennen das den „Auction Chant“. Dann ein Schlag mit dem Hämmerchen. Sold. 285000 Dollar, 400000 Dollar, 675000 Dollar. Als Fohlen Nummer 69, eine Tochter des Renn-Champions Tapit, zum ersten Mal am Abend die Millionengrenze knackt, geht Applaus durch den Saal. Als ein Tier nur wenig Interesse findet, ruft ein kleines Mädchen mit Zopf und Mittelscheitel: „95000 Dollar ist doch gar nicht viel Geld!“ Angela Ingenito, die Züchterin aus Florida, wird immer nervöser. Noch zwölf Pferde bis zu ihrer Nummer 82.

Organisator des Ganzen ist Fasig-Tipton, das älteste Pferde-Auktionshaus Amerikas, inzwischen gehört es einem Investor aus Dubai. Seit William Fasig und Edward Tipton das Unternehmen 1898 in New York gründeten, kaufen die Superreichen hier ein. Ein normales einjähriges Vollblut-Rennpferd bringe bei anderen Auktionen im Schnitt 40000 Dollar, erklärt Fasig-Tiptons Verkaufsmanager Evan Ferraro. In Saratoga Springs bringt ein Tier im Schnitt rund 250000 Dollar. Fasig-Tipton-Experten reisen durch das Land auf der Suche nach Fohlen, die athletisch und reinrassig genug sind, um bei ihrer Edel-Auktion versteigert zu werden. In Saratoga Springs verkauft zu werden, ist ein Gütesiegel. In den vergangenen zwölf Monaten haben sechs Saratoga-Tiere Grade-One-Turniere gewonnen, die wichtigste Rennklasse. Wer Glück hat, kann die Millionenausgaben für das edle Tier wieder zurückgewinnen. Wer besonders viel Glück hat, kann reich werden – oder noch reicher als ohnehin schon.

„Hierher kommt Geld aus der ganzen Welt, der Großteil der Käufer sind Amerikaner, aber wir haben auch viele Kunden aus dem Nahen Osten und Südamerika“, sagt Ferraro. „Es ist altes Geld und neues Geld, aber in jedem Fall viel Geld.“ Die Erbin des Suppen-Imperiums Campbell ist Jahr für Jahr hier, die Scheichs aus Dubai und Katar schicken ihre Agenten. Zwei Japaner machen Notizen in einem dicken Ordner. Alte amerikanische Pärchen heben so dezent den Finger, dass man kaum sieht, dass sie ein Gebot abgeben. Männer in Anzügen lehnen an der Wand und tippen auf ihren Handys herum oder telefonieren hinter vorgehaltener Hand – sie sind die Agenten der Pferdenarren aus dem Nahen Osten, sie geben die höchsten Gebote ab. Der Parkplatz vor dem Auktionshaus steht voll mit Porsches, Ferraris, Jeeps und BMWs.
Die Wirtschaftskrise war eine harte Zeit für Pferdezüchter, Fasig-Tipton hat nur halb so viele Gebote bekommen wie in normalen Jahren. Inzwischen hat sich das Geschäft einigermaßen erholt. Weniger Züchter haben seit der Krise Fohlen großgezogen, das Angebot ist gesunken, die Nachfrage steigt wieder. „Das muss man ehrlich sagen, die Pferde sind sogar für die Reichen ein Luxus, den sie sich in harten Zeiten sparen“, sagt Ferraro. „Aber dieses Jahr wird wieder fast so gut wie vor der Krise.“

Dann ist Nummer 81 an der Reihe, ein Schimmel wie aus dem Märchen, ebenfalls eine Tochter des Champions Tapit. Sie bringt 1150000 Dollar, die bislang höchste Summe des Abends. Dann ist das letzte Pferd an der Reihe, Ingenitos Nummer 82. Die Züchterin hat Platz genommen direkt vor dem Auktionator, rückt ihre Brille zurecht, die Miene regungslos. Ihr Pferd glänzt, tänzelt ein wenig, blickt in die Menge, als würde es seinen Käufer suchen. Der Auktionator beginnt seinen Gesang. „75000, gib mir mehr, 150000. Ja, ja, da geht noch was. 350000. Das hier ist eine Schönheit. 525000. Gib mir mehr.“ Ingenito fängt zu lächeln an. „600000 Dollar. Da geht noch mehr.“ Dann der Schlag mit dem Hammer. Fohlen Nummer 82 bringt 700000 Dollar. „Ich bin glücklich“, sagt Ingenito. „Wir gehen jetzt feiern.“

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