Teresa Fries fragte am Mittwoch an, ob ich bei der Kolumne einspringen kann, weil ihr kurzfristig jemand abgesprungen sei. Kann ich und kann passieren, geht mir gerade genauso bei den hier initiierten Mix-Tape-Täuschen. Das ist immer dann ärgerlich, wenn die oder der Betroffene dann nichts sagt. Das ist hiermit gerügt. Ich liebe Musik ohnehin, wie hoffentlich jeder Mensch. Die Woche war bisher nicht so arbeitsintensiv und die Vorbereitungen auf ein Interview über das Prager Judentum, das sich kurzfristig verschiebt (hier ist auch gerade Urlaubssaison), treten erst einmal in den Hintergrund. Als Erstes stelle ich fest, dass Musik, seit ich am Anfang des Jahres mein Rolling-Stone-Abo gekündigt habe, nicht mehr die Priorität genießt, die sie mal hatte. Aber dazu später, spulen wir erst mal zurück.
https://www.youtube.com/watch?v=UgTxrae7IZ4
Montag:
"Montags bin ich Praktikant" wird der alternative Reiseführer heißen, den ich vielleicht noch in der mir verbleibenden Zeit hier schreiben werde. "Hier" ist das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren. Ich arbeite nebenher zwar noch für zwei weitere Adressen, aber montags eben immer hier. Was auch heißt, ich schreibe das für einen Germanistischen Literaturwissenschaftler, der sich ein Leonardo-da-Vinci-EU-Stipendium direkt nach dem Ende seines Studiums gekrallt hat. Irgendwie habe ich doch gerade ein irres Glück und das erklärt auch, warum Musik derzeit etwas weniger präsent ist. So spielt sie heute zum Beispiel gar keine Rolle: das Arbeiten geht auch ohne leicht von der Hand, da die Chefs nicht da sind, von einer Freundin habe ich gutes Material für die Autorenbiografie, die ich für den Bibliothekskatalog schreiben soll, bekommen und alle freuen sich schon auf die Lesung unserer Stipendiatin morgen. Am Abend gehe ich noch mit einer Praktikantin der deutschen Botschaft in eine Ausstellungseröffnung. Der dort herrschende, selbstreferentiellen Lärm des Publikums ist demjenigen nicht unähnlich, den ich von der hiesigen Kunstakademie schon gewohnt bin: Man kennt sich untereinander, immer dieselben Leute, wie eine gepflegt-piefige Schulhofclique – nur hier dann eben in alt. Ich lerne: Fotos zu zerschreddern und das dann wieder zu fotografieren, ist auch Kunst.
http://www.youtube.com/watch?v=s-ULvJeqDdU
Dienstag:
Der Chef goutiert mein in der Andy-Warhol-Ausstellung am Altstadtplatz eigens (!) siebgedrucktes The-Velvet Underground-Bananen-T-Shirt. Und überrascht mich damit wieder. Den Satz des Tages aber höre ich bei besagter Lesung im Literaturhaus: „… oder das maße ich mir einfach so an.“ Punkt.
Teresa Präauer spricht zuerst über die Zweifel an sexuellen Identitätszuschreibungen, auch ihrer eigenen, um im nächsten Satz zu erklären, sie könne sich sowohl in alte Männer, die Großväter sind, als auch junge Japanerinnen reindenken. Und haut damit die These meiner 102-Seiten-Philo-Magisterarbeit einfach mal über den Haufen. Die Autorin resolut, ich im Publikum sprachlos: Das kann man also auch. Spricht ja eigentlich nichts dagegen. Aber andererseits – den privilegierten Zugang zum Innenleben seiner Figuren hat ja letztlich und zunächst der Autor. Aber das ist, glaube ich, was das literarische Spiel mit der Möglichkeit interessant macht.
Die Sterne – Aber andererseits:
Mittwoch:
Prag ist tendenziell und komischerweise eher rechts, also im vulgär-liberalistischen Sinne, Kommunist fast ein Schimpfwort und Kinderkrippen verpönt. Meine Mitbewohnerin und ich sind folglich froh, ansonsten zwischen Berlin und Leipzig leben zu können. Wo man links und Atheist sein kann und das soziale Netz schätzt, auch wenn man noch keine Kinder vorzuweisen hat. Außerdem: Je moc horký. Es ist sehr heiß und erstaunlich, wie wenig Tschechisch wir nach fast drei Monaten sprechen können. Aber man lernt ja nicht aus. Zumindest meine Englischkenntnisse profitieren stätig: Weil Kino hier günstig ist und meist im Original erklingt. Was einem aber auch nicht hilft, wenn die Affen am Anfang vom Film sich per Gebärdensprache unterhalten und das dann eben nur Tschechisch untertitelt wiedergegeben wird.
http://www.youtube.com/watch?v=GmIiEbVhdTA
Küchennebenfakt am Rande: Auch der Autor von „Das Känguru-Manifest“, das wir beim gemeinsamen Kochen auf den WG-internen Boxen hören, ist, wie Teresa Präauer übrigens auch, immer noch älter als wir. Aber es wird enger.
Donnerstag:
Das Wochenende hat nicht nur ein Zerwürfnis mit einer langjährigen Freundin mitgebracht, die ich über die Leidenschaft zur Musik kennengelernt hatte, sondern auch die Ankündigung meiner Schwester, mich morgen dann doch mal besuchen zu kommen. Putzen wäre eigentlich die Gelegenheit gewesen, nebenbei Musik zu hören. Erst da fällt mir auf, dass diese gerade eben nicht mehr so wichtig ist. Man streitet letztlich über – eigentlich indiskutablen – Nonsens wie Fußball, oder ist von den Leuten aus dem Oasis-Fan-Forum ausgerechnet noch mit den Blur-Fans in Kontakt. Oder mit einer langjährigen Freundin in Dublin, die mir die Serie „My Mad Fat Diary“ empfiehlt, die mich angenehm an eine Mischung aus „Skins“, „Freaks and Geeks“ und „In Treatment“ erinnert – in einem 1996er-Setting. Der Plot ist mitunter zwar teenagerbanal, aber die Zeitreise zusammen mit dem kongenial eingesetzten Soundtrack reißt das raus: Die benutzen noch Kassetten! „Disco 2000“ ist noch Zukunft! Musik plus irre Menschen coming of age. Kann man nie genug von haben.
http://www.youtube.com/watch?v=yBKBl_s0NsQ
Freitag:
Sightseeing – en famille – v Praze. Es ist immer noch sehr heiß, was die Bewegungsfreudigkeit merklich einschränkt, aber das öffentliche Verkehrssystem ist hier ein sehr gutes und meine Ortskenntnis – entgegen anderslautender Darstellungen – gar nicht mal so schlecht. Diesmal finde ich die John-Lennon-Wall auf Anhieb. Auch wenn sie derzeit nicht gerade ein postkartenmustergültiges Format aufweist: Zu viele Nichtkünstler haben eben ihr mangelndes Talent und ihre bloße Existenz an ihr bewiesen. Dafür verschollen bleibt mein Schlüssel, und zwar seit gestern Abend, an dem ich noch ein – wie ich gelernt habe – nonverbales Theaterstück (Tanz) gesehen habe mit direkt daran anschließendem Konzert der beteiligten Liedermacherin. Auf dem Schiff und über der Vltava. Können wir demnach alles in einem Abwasch abhaken. Mit Dank an Mitbewohnerin #2 von 3, die uns für lau reingeschmuggelt hat.
„Jana Vébrová works magic with her voice, her accordion, her personality.”
Samstag:
Der Besuch fährt am Nachmittag. Der Schlüssel bleibt vorerst verschollen. Das frisch aufgeräumte Zimmer gleicht nach dem Suchen schon wieder einem Schlachtfeld. Dafür habe ich gestern Kaffee hinterm Kühlschrank gefunden, den jemand dorthin verschüttet, aber nicht weggemacht hatte. „Ich versteh’s nicht.“, sage ich meiner Mitbewohnerin, die die Betreffende nicht denunzieren will, aber ich höre aus dem Nichtgesagten auch genug heraus und lerne aus dem zeitweiligen WG-Zusammenleben, dass ich dann doch nicht so eine große Drecksau bin, wie ich dachte.
http://www.youtube.com/watch?v=IMXGJ5g_zRM
Sonntag:
Den verschwundenen Schlüssel habe ich gefunden. Im Koffer, den ich das erste Mal seit ca. drei Monaten in der Hand hatte, um dahinter zu fegen und anschließend zu wischen. Obwohl es hier kein Ladenschlussgesetz gibt, das einen verkaufsfreien Sonntag vorschreibt, reicht mir das an Betriebsamkeit und Erfolgserleben für heute.
http://www.youtube.com/watch?v=xXZF9W6uCTo
Auf der nächsten Seite findest du den ausgefüllten Musikfragebogen von schwindlicht
[seitenumbruch]„Gute Musik“ – Was ist das für dich?
Ich zitiere den großen Jan Wigger, aus sinnigerweise einer Rezension zu Bruce Springsteen, weil der das so schön knapp zusammengefasst hat, es sich nicht treffender sagen lässt und einen zudem nicht erst in die (sprach-)philosophischen Untiefen der Bedeutung des Wortes „gut“ als solchem entführt: „Erst am Donnerstag wurde ich gefragt, was ich an der neuen LP von Ja, Panik ‚denn schon wieder so genial‘ fände. Es seien doch sicher ‚der politische und geisteswissenschaftliche Überbau‘, ‚die mehrsprachigen Texte‘ und ‚die vielen Anspielungen und Zitate‘, die mich magisch anzögen. Ich sagte, dass ich noch nie über die Texte von Ja, Panik nachgedacht hätte, dass Lieder wie ‚Radio Libertatia‘ und ‚Antananarivo‘ mir einfach nur gefielen und mich berührten, weil Wörter und Musik schön klängen und ich ahnte, dass sie etwas mit meinem Leben und Sterben zu tun haben könnten. […]“
Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?
Mit meinen Ohren. Der Rest ist eigentlich egal. In, bitte, wenn möglich, irgend passabler Qualität und von irgendeinem Datenträger. Von Streaming-Diensten bin ich nicht gern abhängig und Telefone sind zum Telefonieren da.
Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?
Meist zuhause, unter den Kopfhörern, am Laptop; früher auch unterwegs, während des Pendelns vom Studien- zum Wohnort etwa. Der Ort ist da ziemlich egal. Was ich schlicht nicht mag, nicht kann und nicht will, ist nur nebenbei Musik zu hören, nur peripher zu hören. Musik, die auch da (oder gerade da) funktioniert, kann man sich schenken. Das ist Fahrstuhl- und Supermarktkost. Wenn ich lesen will, will ich nur das, und wenn ich im Straßenverkehr unterwegs bin, bin ich da unterwegs – und das braucht die Aufmerksamkeit, die man eben auch Musik schuldet, wenn man sie hört.
Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst? http://www.youtube.com/watch?v=jLYsIESNtUc Mein linker Oberarm sagt, dass ich ein ziemlicher Libertines-Fan bin. Und er hat immer noch Recht damit. Daneben: Pulp, Dylan und The Velvet Underground. Für die Ramones gäb es auch noch genügend Platz.
Pulp – I'm A Man
Welche Musik magst du gar nicht, und warum?
Elektronisches mag ich meist nicht. Stumpfe, sich repetierende Rhythmen. Und vor allem ohne Texte. Wobei ich auch viele deutsche Sachen nicht mag, weil die Texte haben und ich die dann nur zu gut verstehe. Ansonsten: Jazz ist meist nicht meins wie auch Klassische Musik, Opern, Operetten, Musicals und anderes, noch schlimmeres pseudovölkisches Gedöns.
http://www.youtube.com/watch?v=_mTRvJ9fugM
(Ausnahmen bestätigen jede Regel.)
Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?
Das war vermutlich eine David-Hasselhoff-Kassette in den Nachwendewirren. Dann wurde es erst mal nicht besser: Eurodance-Singles, Phil-Collins- und deutsche Sprechgesang-CDs dokumentieren das hinlänglich. Mit Ende der Schulzeit und dem Beginn des Zivildiensts änderte sich das dann, da lief "Almost Famous" von Cameron Crowe an, ich kaufte den ersten Rolling Stone, lese dort bis heute die Singles- und Vinyl-Rubrik von Wolfgang Doebeling (und die Filmkritiken) gern, ich holte Britpop etwas verspätet nach, war in Fan-Foren aktiv, besuchte die ersten Konzerte in meinem Leben und kaufte auch meine ersten, dann bis heute gültigen Platten: Die The Modern Age EP, White Blood Cells und eine von Bernard Butler eine Doppel-A-Seite als britische Antwort auf diese.
Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?
Ja, ich gehe gern auf Konzerte, wobei ich eher kleine Clubs mag und größere Hallen oder Festivals eher meide. Zuletzt habe ich hier in der Stadt Bob Dylan auf der Never Ending Tour zum insgesamt dritten Mal gesehen, mit einem für meinem Geschmack sehr tollen Set und einer absurd vollen Metro nach dem Konzert. Davor ein Spontankonzert mit lokalen Bands und davor die Black Lips, nach Ja, Panik und Die Heiterkeit, die ich noch in Leipzig gesehen habe.#
http://vimeo.com/97035885
Wie entdeckst du neue Musik, und was ist deine neueste Entdeckung?
Vor allem Plattenkritiken (Rolling Stone, das taz-Popblog Monarchie und Alltag oder auch Abgehört auf SPON), Musikblogs oder was einem Youtube manchmal so vorschlägt. Gute Soundtracks, Plattenläden und Freunde und Bekannte stupsen einen ja auch ab und an auf (für einen dann) Neues. http://www.youtube.com/watch?v=-I5QWGul4Kk Hier vor Ort habe ich Sarah MacDougall "entdeckt", eine Kanadierin, die, als wir WM im The Globe Bookstore & Café gucken wollten, direkt davor ein Konzert ebenda gegeben hat. Auch hier "entdeckt", aber eher seiner Lesung im Literaturhaus geschuldet, Jaroslav Rudiš‘ und Jaromír 99s Kafka Band und deren Album "Das Schloss".
http://www.youtube.com/watch?v=fymn_pdIXW8
Verrate uns einen guten Song zum...
Aufwachen:
Pulp – Sunrise - Original Mix
oder
http://www.youtube.com/watch?v=4WqiGUnhUIk
Tanzen:
(Ich tanze nicht, aber:)
http://www.youtube.com/watch?v=9vdCfCxTjjY&feature=youtu.be&t=1h7m16s
oder
http://www.youtube.com/watch?v=YlWxvlQ8Zy4
oder
http://www.youtube.com/watch?v=lrNSjItTfes
traurig Sein:
http://www.youtube.com/watch?v=7aus27_c0DI
oder
http://www.youtube.com/watch?v=f4it9vK6G7o
Sport Treiben:
Siehe oben. Ich bin gern bei der Sache und genieße z. B. gerade die Stille beim Schwimmen.
Als nächsten Kosmoshörer wünsche ich mir:
asphaltfruehling in Sommerlaune.
Alle Kosmoshörer findet ihr wie immer gesammelt hier:
Kosmoshörer
Möchtest du auch Kosmoshörer werden und deine Musik-Gewohnheiten dokumentieren? Dann schreib eine jetzt-Botschaft an teresa-fries oder eine Mail an teresa.fries@sueddeutsche.de
https://www.youtube.com/watch?v=UgTxrae7IZ4
Montag:
"Montags bin ich Praktikant" wird der alternative Reiseführer heißen, den ich vielleicht noch in der mir verbleibenden Zeit hier schreiben werde. "Hier" ist das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren. Ich arbeite nebenher zwar noch für zwei weitere Adressen, aber montags eben immer hier. Was auch heißt, ich schreibe das für einen Germanistischen Literaturwissenschaftler, der sich ein Leonardo-da-Vinci-EU-Stipendium direkt nach dem Ende seines Studiums gekrallt hat. Irgendwie habe ich doch gerade ein irres Glück und das erklärt auch, warum Musik derzeit etwas weniger präsent ist. So spielt sie heute zum Beispiel gar keine Rolle: das Arbeiten geht auch ohne leicht von der Hand, da die Chefs nicht da sind, von einer Freundin habe ich gutes Material für die Autorenbiografie, die ich für den Bibliothekskatalog schreiben soll, bekommen und alle freuen sich schon auf die Lesung unserer Stipendiatin morgen. Am Abend gehe ich noch mit einer Praktikantin der deutschen Botschaft in eine Ausstellungseröffnung. Der dort herrschende, selbstreferentiellen Lärm des Publikums ist demjenigen nicht unähnlich, den ich von der hiesigen Kunstakademie schon gewohnt bin: Man kennt sich untereinander, immer dieselben Leute, wie eine gepflegt-piefige Schulhofclique – nur hier dann eben in alt. Ich lerne: Fotos zu zerschreddern und das dann wieder zu fotografieren, ist auch Kunst.
http://www.youtube.com/watch?v=s-ULvJeqDdU
Dienstag:
Der Chef goutiert mein in der Andy-Warhol-Ausstellung am Altstadtplatz eigens (!) siebgedrucktes The-Velvet Underground-Bananen-T-Shirt. Und überrascht mich damit wieder. Den Satz des Tages aber höre ich bei besagter Lesung im Literaturhaus: „… oder das maße ich mir einfach so an.“ Punkt.
Teresa Präauer spricht zuerst über die Zweifel an sexuellen Identitätszuschreibungen, auch ihrer eigenen, um im nächsten Satz zu erklären, sie könne sich sowohl in alte Männer, die Großväter sind, als auch junge Japanerinnen reindenken. Und haut damit die These meiner 102-Seiten-Philo-Magisterarbeit einfach mal über den Haufen. Die Autorin resolut, ich im Publikum sprachlos: Das kann man also auch. Spricht ja eigentlich nichts dagegen. Aber andererseits – den privilegierten Zugang zum Innenleben seiner Figuren hat ja letztlich und zunächst der Autor. Aber das ist, glaube ich, was das literarische Spiel mit der Möglichkeit interessant macht.
Die Sterne – Aber andererseits:
Mittwoch:
Prag ist tendenziell und komischerweise eher rechts, also im vulgär-liberalistischen Sinne, Kommunist fast ein Schimpfwort und Kinderkrippen verpönt. Meine Mitbewohnerin und ich sind folglich froh, ansonsten zwischen Berlin und Leipzig leben zu können. Wo man links und Atheist sein kann und das soziale Netz schätzt, auch wenn man noch keine Kinder vorzuweisen hat. Außerdem: Je moc horký. Es ist sehr heiß und erstaunlich, wie wenig Tschechisch wir nach fast drei Monaten sprechen können. Aber man lernt ja nicht aus. Zumindest meine Englischkenntnisse profitieren stätig: Weil Kino hier günstig ist und meist im Original erklingt. Was einem aber auch nicht hilft, wenn die Affen am Anfang vom Film sich per Gebärdensprache unterhalten und das dann eben nur Tschechisch untertitelt wiedergegeben wird.
http://www.youtube.com/watch?v=GmIiEbVhdTA
Küchennebenfakt am Rande: Auch der Autor von „Das Känguru-Manifest“, das wir beim gemeinsamen Kochen auf den WG-internen Boxen hören, ist, wie Teresa Präauer übrigens auch, immer noch älter als wir. Aber es wird enger.
Donnerstag:
Das Wochenende hat nicht nur ein Zerwürfnis mit einer langjährigen Freundin mitgebracht, die ich über die Leidenschaft zur Musik kennengelernt hatte, sondern auch die Ankündigung meiner Schwester, mich morgen dann doch mal besuchen zu kommen. Putzen wäre eigentlich die Gelegenheit gewesen, nebenbei Musik zu hören. Erst da fällt mir auf, dass diese gerade eben nicht mehr so wichtig ist. Man streitet letztlich über – eigentlich indiskutablen – Nonsens wie Fußball, oder ist von den Leuten aus dem Oasis-Fan-Forum ausgerechnet noch mit den Blur-Fans in Kontakt. Oder mit einer langjährigen Freundin in Dublin, die mir die Serie „My Mad Fat Diary“ empfiehlt, die mich angenehm an eine Mischung aus „Skins“, „Freaks and Geeks“ und „In Treatment“ erinnert – in einem 1996er-Setting. Der Plot ist mitunter zwar teenagerbanal, aber die Zeitreise zusammen mit dem kongenial eingesetzten Soundtrack reißt das raus: Die benutzen noch Kassetten! „Disco 2000“ ist noch Zukunft! Musik plus irre Menschen coming of age. Kann man nie genug von haben.
http://www.youtube.com/watch?v=yBKBl_s0NsQ
Freitag:
Sightseeing – en famille – v Praze. Es ist immer noch sehr heiß, was die Bewegungsfreudigkeit merklich einschränkt, aber das öffentliche Verkehrssystem ist hier ein sehr gutes und meine Ortskenntnis – entgegen anderslautender Darstellungen – gar nicht mal so schlecht. Diesmal finde ich die John-Lennon-Wall auf Anhieb. Auch wenn sie derzeit nicht gerade ein postkartenmustergültiges Format aufweist: Zu viele Nichtkünstler haben eben ihr mangelndes Talent und ihre bloße Existenz an ihr bewiesen. Dafür verschollen bleibt mein Schlüssel, und zwar seit gestern Abend, an dem ich noch ein – wie ich gelernt habe – nonverbales Theaterstück (Tanz) gesehen habe mit direkt daran anschließendem Konzert der beteiligten Liedermacherin. Auf dem Schiff und über der Vltava. Können wir demnach alles in einem Abwasch abhaken. Mit Dank an Mitbewohnerin #2 von 3, die uns für lau reingeschmuggelt hat.
„Jana Vébrová works magic with her voice, her accordion, her personality.”
Samstag:
Der Besuch fährt am Nachmittag. Der Schlüssel bleibt vorerst verschollen. Das frisch aufgeräumte Zimmer gleicht nach dem Suchen schon wieder einem Schlachtfeld. Dafür habe ich gestern Kaffee hinterm Kühlschrank gefunden, den jemand dorthin verschüttet, aber nicht weggemacht hatte. „Ich versteh’s nicht.“, sage ich meiner Mitbewohnerin, die die Betreffende nicht denunzieren will, aber ich höre aus dem Nichtgesagten auch genug heraus und lerne aus dem zeitweiligen WG-Zusammenleben, dass ich dann doch nicht so eine große Drecksau bin, wie ich dachte.
http://www.youtube.com/watch?v=IMXGJ5g_zRM
Sonntag:
Den verschwundenen Schlüssel habe ich gefunden. Im Koffer, den ich das erste Mal seit ca. drei Monaten in der Hand hatte, um dahinter zu fegen und anschließend zu wischen. Obwohl es hier kein Ladenschlussgesetz gibt, das einen verkaufsfreien Sonntag vorschreibt, reicht mir das an Betriebsamkeit und Erfolgserleben für heute.
http://www.youtube.com/watch?v=xXZF9W6uCTo
Auf der nächsten Seite findest du den ausgefüllten Musikfragebogen von schwindlicht
[seitenumbruch]„Gute Musik“ – Was ist das für dich?
Ich zitiere den großen Jan Wigger, aus sinnigerweise einer Rezension zu Bruce Springsteen, weil der das so schön knapp zusammengefasst hat, es sich nicht treffender sagen lässt und einen zudem nicht erst in die (sprach-)philosophischen Untiefen der Bedeutung des Wortes „gut“ als solchem entführt: „Erst am Donnerstag wurde ich gefragt, was ich an der neuen LP von Ja, Panik ‚denn schon wieder so genial‘ fände. Es seien doch sicher ‚der politische und geisteswissenschaftliche Überbau‘, ‚die mehrsprachigen Texte‘ und ‚die vielen Anspielungen und Zitate‘, die mich magisch anzögen. Ich sagte, dass ich noch nie über die Texte von Ja, Panik nachgedacht hätte, dass Lieder wie ‚Radio Libertatia‘ und ‚Antananarivo‘ mir einfach nur gefielen und mich berührten, weil Wörter und Musik schön klängen und ich ahnte, dass sie etwas mit meinem Leben und Sterben zu tun haben könnten. […]“
Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?
Mit meinen Ohren. Der Rest ist eigentlich egal. In, bitte, wenn möglich, irgend passabler Qualität und von irgendeinem Datenträger. Von Streaming-Diensten bin ich nicht gern abhängig und Telefone sind zum Telefonieren da.
Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?
Meist zuhause, unter den Kopfhörern, am Laptop; früher auch unterwegs, während des Pendelns vom Studien- zum Wohnort etwa. Der Ort ist da ziemlich egal. Was ich schlicht nicht mag, nicht kann und nicht will, ist nur nebenbei Musik zu hören, nur peripher zu hören. Musik, die auch da (oder gerade da) funktioniert, kann man sich schenken. Das ist Fahrstuhl- und Supermarktkost. Wenn ich lesen will, will ich nur das, und wenn ich im Straßenverkehr unterwegs bin, bin ich da unterwegs – und das braucht die Aufmerksamkeit, die man eben auch Musik schuldet, wenn man sie hört.
Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst? http://www.youtube.com/watch?v=jLYsIESNtUc Mein linker Oberarm sagt, dass ich ein ziemlicher Libertines-Fan bin. Und er hat immer noch Recht damit. Daneben: Pulp, Dylan und The Velvet Underground. Für die Ramones gäb es auch noch genügend Platz.
Pulp – I'm A Man
Welche Musik magst du gar nicht, und warum?
Elektronisches mag ich meist nicht. Stumpfe, sich repetierende Rhythmen. Und vor allem ohne Texte. Wobei ich auch viele deutsche Sachen nicht mag, weil die Texte haben und ich die dann nur zu gut verstehe. Ansonsten: Jazz ist meist nicht meins wie auch Klassische Musik, Opern, Operetten, Musicals und anderes, noch schlimmeres pseudovölkisches Gedöns.
http://www.youtube.com/watch?v=_mTRvJ9fugM
(Ausnahmen bestätigen jede Regel.)
Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?
Das war vermutlich eine David-Hasselhoff-Kassette in den Nachwendewirren. Dann wurde es erst mal nicht besser: Eurodance-Singles, Phil-Collins- und deutsche Sprechgesang-CDs dokumentieren das hinlänglich. Mit Ende der Schulzeit und dem Beginn des Zivildiensts änderte sich das dann, da lief "Almost Famous" von Cameron Crowe an, ich kaufte den ersten Rolling Stone, lese dort bis heute die Singles- und Vinyl-Rubrik von Wolfgang Doebeling (und die Filmkritiken) gern, ich holte Britpop etwas verspätet nach, war in Fan-Foren aktiv, besuchte die ersten Konzerte in meinem Leben und kaufte auch meine ersten, dann bis heute gültigen Platten: Die The Modern Age EP, White Blood Cells und eine von Bernard Butler eine Doppel-A-Seite als britische Antwort auf diese.
Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?
Ja, ich gehe gern auf Konzerte, wobei ich eher kleine Clubs mag und größere Hallen oder Festivals eher meide. Zuletzt habe ich hier in der Stadt Bob Dylan auf der Never Ending Tour zum insgesamt dritten Mal gesehen, mit einem für meinem Geschmack sehr tollen Set und einer absurd vollen Metro nach dem Konzert. Davor ein Spontankonzert mit lokalen Bands und davor die Black Lips, nach Ja, Panik und Die Heiterkeit, die ich noch in Leipzig gesehen habe.#
http://vimeo.com/97035885
Wie entdeckst du neue Musik, und was ist deine neueste Entdeckung?
Vor allem Plattenkritiken (Rolling Stone, das taz-Popblog Monarchie und Alltag oder auch Abgehört auf SPON), Musikblogs oder was einem Youtube manchmal so vorschlägt. Gute Soundtracks, Plattenläden und Freunde und Bekannte stupsen einen ja auch ab und an auf (für einen dann) Neues. http://www.youtube.com/watch?v=-I5QWGul4Kk Hier vor Ort habe ich Sarah MacDougall "entdeckt", eine Kanadierin, die, als wir WM im The Globe Bookstore & Café gucken wollten, direkt davor ein Konzert ebenda gegeben hat. Auch hier "entdeckt", aber eher seiner Lesung im Literaturhaus geschuldet, Jaroslav Rudiš‘ und Jaromír 99s Kafka Band und deren Album "Das Schloss".
http://www.youtube.com/watch?v=fymn_pdIXW8
Verrate uns einen guten Song zum...
Aufwachen:
Pulp – Sunrise - Original Mix
oder
http://www.youtube.com/watch?v=4WqiGUnhUIk
Tanzen:
(Ich tanze nicht, aber:)
http://www.youtube.com/watch?v=9vdCfCxTjjY&feature=youtu.be&t=1h7m16s
oder
http://www.youtube.com/watch?v=YlWxvlQ8Zy4
oder
http://www.youtube.com/watch?v=lrNSjItTfes
traurig Sein:
http://www.youtube.com/watch?v=7aus27_c0DI
oder
http://www.youtube.com/watch?v=f4it9vK6G7o
Sport Treiben:
Siehe oben. Ich bin gern bei der Sache und genieße z. B. gerade die Stille beim Schwimmen.
Als nächsten Kosmoshörer wünsche ich mir:
asphaltfruehling in Sommerlaune.
Alle Kosmoshörer findet ihr wie immer gesammelt hier:
Kosmoshörer
Möchtest du auch Kosmoshörer werden und deine Musik-Gewohnheiten dokumentieren? Dann schreib eine jetzt-Botschaft an teresa-fries oder eine Mail an teresa.fries@sueddeutsche.de