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Geld statt Bildung

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Das Betreuungsgeld der großen Koalition ist nicht nur umstritten, es ist noch schlechter als sein Ruf. Das geht aus einer großen Umfrage des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der Universität Dortmund hervor, bei der weit mehr als 100000 Paare mit Kindern unter drei Jahren befragt wurden. Nach der Studie motiviert das Betreuungsgeld insbesondere sozial benachteiligte Familien, Eltern mit Hauptschulabschluss oder einer Einwanderungsgeschichte, kleine Kinder daheim zu betreuen – also auf Angebote frühkindlicher Bildung und Sprachförderung zu verzichten. „Bezogen auf Fragen der Chancengerechtigkeit“, so die Autoren, „kristallisiert sich damit das Betreuungsgeld als kontraindiziert heraus.“



In den Krippen und Kitas fehlen oftmals die Kinder der sozial Benachteiligten und Migrantenfamilien

Das Betreuungsgeld, das auf Druck der CSU eingeführt wurde, garantiert Eltern, die für ihre Kinder keinen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, derzeit monatlich 100 Euro. Schon vor der Einführung war die Maßnahme höchst umstritten. Kritiker befürchteten, dass falsche Anreize gesetzt und ausgerechnet diejenigen um staatliche Förderung und frühe Sprachschulung gebracht würden, die diese am nötigsten hätten.

Exakt das zeichnet sich nun in der Studie des DJI und der Uni Dortmund ab, deren Ergebnisse der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Demnach ist die Neigung, Betreuungsgeld zu beantragen, umso größer, je niedriger das Bildungsniveau ist. Unter den befragten Eltern, die keine Berufsausbildung oder einen Hauptschulabschluss haben, sagten 54 Prozent, das Betreuungsgeld sei der Grund dafür, dass sie ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken. Bei Eltern mit mittlerer Reife sank der Anteil auf 14 Prozent, bei Akademikern auf acht Prozent. In jeder vierten Einwandererfamilie, die auf staatliche Betreuung für ihre Kleinkinder verzichtet, gaben die Eltern an, die Prämie sei die Ursache dafür. Bei deutschstämmigen Familien lag der Anteil nur bei 13 Prozent.

„Betreuungsgeld erweist sich für Familien besonders attraktiv, die eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, durch eine gewisse Bildungsferne gekennzeichnet sind und einen Migrationshintergrund haben“, heißt es in der Studie. Nun ist es offenbar aber nicht so, dass Eltern nicht-deutscher Herkunft die Bedeutung frühkindlicher Erziehung in Kitas nicht zu schätzen wissen. Im Westen Deutschlands, wo die große Mehrheit der Zuwanderer lebt, wünschen sich Eltern mit Migrationshintergrund häufiger einen Kita-Platz als deutschstämmige. Am Ende aber, wenn die Plätze vergeben sind, besuchen Einwandererkinder seltener eine Kita als Kinder deutscher Eltern. Ob Zuwandererkinder weniger gern genommen, also diskriminiert werden, oder ob ihre Eltern sich im Gerangel um einen Kita-Platz nicht durchsetzen können, lässt die Studie offen.

Und noch einen weiteren Aspekt beleuchtet die Untersuchung. Je geringer das Einkommen des Partners der Mutter ist, desto größer der Wunsch, Betreuungsgeld zu beantragen. Offenbar wird so die Haushaltskasse aufgebessert. Umgekehrt sinkt der Anreiz des Betreuungsgeldes, wenn die Mutter nach der Geburt eines Kindes vorhat, früh wieder in den Beruf zurückzukehren. Aber nicht nur Bildung und Einkommen, auch die Mentalität der Eltern ist entscheidend. So neigen Eltern in ländlichen Regionen eher dazu, Kleinkinder zu Hause zu erziehen, als in den Städten.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sieht sich in ihrer Skepsis bestätigt. Das Betreuungsgeld sei eine „Erfindung“ der schwarz-gelben Vorgängerregierung, sagte eine Sprecherin am Sonntag. Im Übrigen sei das letzte Wort noch nicht gesprochen: „Über die Zukunft des Betreuungsgeldes entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“ Die Hansestadt Hamburg klagt derzeit gegen diese Familienleistung. Mit einer Entscheidung wird im kommenden Jahr gerechnet.

In der Bundesregierung hat die Klage unterdessen Zwist ausgelöst. Als die Ressorts kürzlich zu einer Beurteilung aufgefordert wurden, empfahl Schwesigs Familienministerium Zustimmung. Aus dem Bundesinnenministerium aber soll Widerstand gekommen sein. Dort stieß offenbar eine Passage auf Kritik, wonach das Betreuungsgeld alte Geschlechterstereotype bestärke. „Da haben wir uns nicht durchsetzen können“, sagte Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Familienministerium. Er hofft nun auf Karlsruhe. „Sollte das Bundesverfassungsgericht zu der Erkenntnis kommen, dass durch das Betreuungsgeld Kinder von Bildung ferngehalten werden, derer sie bedürfen, verstößt das möglicherweise gegen Grundrechte“, sagte er.

Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) betrachtet die Ergebnisse der DJI-Studie mit Sorge: „Gerade bei der Sprachförderung zeigt sich, wie wertvoll die Betreuung und Bildung in einer Kita ist.“ Unbeeindruckt zeigte sich die Chefin der bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer (CSU): „Bei Ein- und Zweijährigen eine Besser-schlechter-Diskussion zwischen Elternzuwendung und Kita anzuzetteln, ist ein ideologischer Tiefschlag gegen alle Eltern von Kleinkindern.“

Auch Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) spricht von einer „Erfolgsgeschichte“. Die Einführung sei „goldrichtig“ gewesen. In Bayern werde das Betreuungsgeld „von allen Einkommensschichten bezogen und gleichermaßen von Eltern mit und ohne deutschen Pass“. Spitzenreiter ist das ländliche Niederbayern. Hier haben 84 Prozent aller Eltern mit Kindern im entsprechenden Alter die Prämie beantragt. Im gesamten Freistaat sind es 73 Prozent. Dass alle anderen Bundesländer weit hinten liegen, hat aber auch einen ganz praktischen Grund: In Bayern verschickt das zuständige Zentrum für Familie und Soziales die Antragsformulare an berechtigte Eltern automatisch – bereits ausgefüllt.

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