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Trinken für eine bessere Welt

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Nach dem Konzert des Rappers Materia in der Münchner Tonhalle ist der Boden übersät von leeren Plastikbechern. Ein Haufen Geld: Zwei Euro Pfand gibt das pro Becher, wenn man die zugehörige Marke hat. Doch noch während des Konzerts laufen eine Handvoll „Viva-con-Agua“-Mitarbeiter durch das Publikum und rasseln mit Sparbüchsen. Statt Spenden in Münzform bitten sie um die Pfandmarken der Besucher. Eine ganze Menge Geld kommt da zusammen, die „Viva-con-Agua“ in Brunnen- und Trinkwasserprojekte in Entwicklungsländern steckt, während das Publikum sein gutes Gewissen behält, weil die eigene Faulheit, sich nicht nach dem Konzert auch noch an der Bar anzustellen zu müssen, um die Pfandbecher loszuwerden, in einen guten Zweck verwandelt wird. Auch auf Tollwood ist „Viva con Agua“ aktiv. Bei den Max-Herre-Konzerten wurden die Becher eingesammelt, und bei dem am heutigen Donnerstag stattfindenden Reggae-Abend mit dem Kölner Gentleman wird das wieder der Fall sein.



Auch Hopfen für den guten Zweck: Auf einigen Pop-Events werden nun Spenden gesammelt

Der deutschlandweit agierende Verein hat das Potenzial erkannt, aus dem Hedonismus der Feier- und Konzertkultur Spenden zu ziehen. 2006 in Hamburg gegründet, wird dort, ähnlich der in den Achtzigerjahren groß gewordenen „Live-8-Konzerte“, die Masse des Pop-Publikums genutzt. Doch statt der obligaten Benefizkonzerte sind die kleinen Pfandaktionen unkompliziert und schneller umsetzbar als groß angelegte Gutmenschen-Events. Auch in München erscheinen derzeit immer mehr Gruppen, die aus dem schlichten Konzert- und Partyleben der Stadt ein Weltverbesserer-Potenzial schöpfen wollen.

Die Initiative „Club-Mob München“ verkündet etwa auf ihrer Webseite: „Das Substanz kennt ein Morgen“. Feiern und Ausgehen am Wochenende dient eigentlich dazu, sich über den nächsten Morgen keine allzu ausgiebigen Gedanken zu machen. Ziel der wochenendlichen Party ist es doch, für einen Abend weniger Verantwortung zu übernehmen und sich in der – hoffentlich recht lange andauernden Nacht – treiben zu lassen. Doch hier liegt die Crux: Selbst für die größten Hedonisten unter den Partygängern ist es vielleicht am schönsten, wenn die eigene Verantwortungsaufgabe ohne viel Anstrengung von anderen in eine Verantwortungsübernahme umgewandelt wird.

Noch einfacher als bei den Pfandsammelaktionen von „Viva con Agua“ muss der Partybesucher bei den „Club-Mob“-Veranstaltungen rein gar nichts an seinem normalen Ausgehverhalten ändern. Möglichst viel trinken soll er und möglichst lange bleiben. Denn: „Der ,Club-Mob’ München empfiehlt den Genuss von 260 Bier für eine Dämmung im Kühlhaus“, verkünden Plakate, die die Veranstalter bei ihrer ersten Party in der Münchner Traditionskneipe Substanz aufgehängt hatten. Energieeffizienz ist das Anliegen der Münchner Gruppe, die nach einem Berliner Vorbild von dem Verein Rehab Republic und der Jugendgruppe des Bund Naturschutzes Bayern 2012 ins Leben gerufen wurde. „Es ist oft gar nicht so einfach, die richtigen Ansprechpartner der Clubs und Kneipen zu finden“, sagt Initiator Markus Mitterer von Rehab Republic.

Sie würden auf die Clubs zugehen und ihr Konzept vorschlagen, doch oft brauche es lange, bis die Entscheidung falle, ob man sich auf das Konzept einlasse. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: „Club Mob“ kümmert sich um einen Energieberater, mit dem wird dann die Lokalität besichtigt und besprochen, was und zu welchen Kosten energieeffizient umgebaut werden könne. Anschließend wird eine Party organisiert, bei der die Gruppe um „Club Mob“ ordentlich die Werbetrommel rührt. So sollen die Besucherzahlen die im normalen Betrieb zu erwartenden massiv übersteigen. Das erwirtschaftete Plus wird anschließend in den Umbau, etwa in eine CO₂-sparende Lichttechnik oder Kühlung gesteckt.

„Im Substanz hat das erstaunlich gut funktioniert“, sagt Mitterer, es könnte sogar sein, dass sie finanzielle Mittel für mehr Umbauten hätten, als ursprünglich geplant war. An einem Donnerstag im vergangenen Sommer haben dort um die 200 Leute ausgiebig gefeiert. „Und das war ein richtig warmer Sommertag“, fügt Mitterer stolz an. Eine Voraussetzung, bei der sonst mit einer wesentlich geringeren Besucherzahl gerechnet werden würde. „Wir brauchen noch ein wenig mehr positive Beispiele, damit auch andere Clubs mitziehen“, sagt Markus Mitterer, „das ist ja letztlich auch für die Clubs ein finanzieller Vorteil, wenn sie auf Dauer geringere Stromkosten haben“.

Mehr an den sozialen Aspekten des Kulturlebens ist hingegen der „Kulturraum München“ interessiert: Kulturveranstaltungen sind teuer, und daher nicht für jeden zugänglich. Ähnlich dem Prinzip der Münchner Tafel stellt der gemeinnützige Verein, der 2011 gegründet wurde, kostenlose Eintrittskarten zu diversen Kulturveranstaltungen zur Verfügung. „Unsere Gäste müssen die gleichen Nachweise erbringen wie für den München-Pass“, sagt die Mitarbeiterin Anne-Isabelle Zils, also ein geringes Einkommen haben oder einen Sozialhilfebescheid vorlegen. Der Verein tritt dann an die Konzert- und Kulturveranstalter heran und bittet sie um Freikarten. Bei Veranstaltungen, die nicht ausverkauft sind, sei das meist überhaupt kein Problem, doch mittlerweile würden auch einige Partner gratis Plätze zu den gefragteren Veranstaltungen abgeben, um das Projekt zu unterstützen. Um die 5000 Münchner seien bei ihnen angemeldet, die Veranstaltungen von den 160 sogenannten „Kulturpartnern“ besuchen können. Spartenübergreifend reichen die von der Bayerischen Staatsoper über die Pop-Konzertveranstalter „Club Zwei“ bis zum Haus der Kunst.

Ob nun die sozialen Barrieren und Zugänge zu kulturellen Veranstaltungen aufgebrochen werden, die Feierlust der westlichen Welt den weltweiten Zugang zu Trinkwasser schaffen soll, oder schlicht das Ausgehen wenigstens einen Blick auf Energieeffizienz und Nachhaltigkeit werfen soll, zeugt davon, dass Verantwortung und Bewusstsein schick geworden sind: Weltverbesserung ohne am normalen Habitus etwas verändern zu müssen, das funktioniert in dieser Gesellschaft wohl am besten. Etwas, dass sich diese Gruppen nun geschickt zu Nutze machen.

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