Du bist Mitbegründer der Salaam-Schalom-Initiative, die sich seit Dezember 2013 für ein friedliches Miteinander von Juden und Muslimen in Berlin einsetzt. Wie kam es dazu?
Im Sommer 2012 wurde der Rabbi Daniel Alter in Berlin Friedenau angegriffen und geschlagen. Er hat dann mehrmals öffentlich gesagt, dass Berlin-Wedding und Neukölln wegen ihrer hohen Anzahl an Muslimen „No-go-areas“ für Juden wären. Ich wohnte zu diesem Zeitpunkt bereits in Neukölln und war von der Aussage ziemlich überrascht. Ich liebe das Stadtviertel und treffe dort jeden Tag Muslime auf der Straße, mein Friseur ist Muslim, mein Mitbewohner ist Muslim und die Menschen im Supermarkt sind es auch. Ich habe hier nie schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb habe ich mich mit anderen Juden und Muslimen aus dem Viertel zusammengeschlossen und wir haben Videos gedreht, warum wir gerne in Neukölln leben. Die Juden haben gesagt, dass die Aussage des Rabbis provokant und gefährlich wäre, die Muslime haben sich beleidigt gefühlt. Ich weiß, dass der Rabbi nicht islamophob ist, aber solche Aussagen bieten natürlich Nährboden für Vorurteile und das wollen wir nicht. Wir wollen zusammen leben!
Wie waren die Reaktionen auf diese Videos?
Ich habe von jüdischer und muslimischer Seite nur positive Rückmeldungen bekommen. Wir wurden sogar in die Sehitlik-Moschee, die größte Moschee Berlins, eingeladen, um uns der Gemeinde vorzustellen. Dort haben wir dann auch noch mal Videos gemacht. Natürlich gab es auch skeptische Kommentare, aber keine offene Kritik.
Nun steht Berlin momentan im Zentrum einer Antisemitismus-Debatte. Bei einer Pro-Gaza-Demonstration am vergangenen Samstag haben arabische Demonstranten „Jude, Jude, feiges Schwein“ gerufen, die Polizei hat nicht eingegriffen. Wie erlebst du diese Diskussion?
Bei dieser Demonstration waren auch israelische Freunde von mir dabei, die sich gegen die Besatzung von Gaza engagieren. Das Bild, das momentan von dieser Demonstration gezeichnet wird, ist sehr verzerrt. Dort waren nicht nur Leute, die „Judenschweine“ brüllten, sondern auch Menschen, die ihr Mitgefühl mit Gaza ausdrücken wollten. In den Medienberichten geht es allerdings nur um die sehr laute Minderheit, die antisemitische Parolen gerufen hat. Die Freunde, die von mir dabei waren, sind aber mit Sicherheit keine Antisemiten und auch die Veranstalter hatten das nicht beabsichtigt. Auf Englisch nennt man das „hiljacking“ (Anm. d. Red.: „Gewaltsame Übernahme“), was die Antisemiten dort gemacht haben – sie haben mit ihrer Minderheiten-Meinung die ganze Demonstration gestört.
Wie sehen das deine Freunde, die bei der Demonstration zum Teil ja dabei waren?
Eine Freundin von mir hat kurz überlegt, ob sie nach diesen Parolen die Demonstration verlassen soll. Aber dann war es ihr doch wichtiger, sich gegen den Konflikt in Gaza zu engagieren, als sich von antisemitischen Parolen einschüchtern zu lassen. Sie ist dann dageblieben. Natürlich ist das keine einfache Entscheidung, das kann ich nachvollziehen. Aber es gibt fünf Millionen Muslime in Deutschland und wenn 50 von denen antisemitische Parolen verwenden, ist das einfach nicht repräsentativ. Vermutlich würde man auch 50 Juden finden, die schlecht über Muslime reden. Deshalb sollte man der ganzen Debatte nicht so viel Gewicht geben.
Armin (vordere Reihe links) und seine Freunde von der Salaam-Schalom-Initiative. Der 23-jährige angehende Rabbiner wuchs in Ungarn auf und lebt seit mehreren Jahren in Berlin-Neukölln.
Trotzdem bleibt die Kritik, dass man ausgerechnet in Deutschland nicht gegen Antisemitismus vorgegangen ist, ja bestehen. Wie fühlst du dich damit?
Ich komme aus Ungarn, dort habe ich schon sehr viele schlimmere Sachen gehört. Das, was in Berlin passiert, ist nicht angenehm. Aber mich persönlich beunruhigt es nicht, wenn 50 Leute solche Parolen rufen. Die Situation für Juden ist in Deutschland mehr als gut. Die deutsche Öffentlichkeit ist bei dem Thema sehr sensibel, was nicht schlecht ist. Aber ich würde mich noch mehr freuen, wenn sie nicht nur gegenüber Juden, sondern gegenüber allen Minderheiten so sensibel wäre. Natürlich ist die besondere Situation der Juden in Deutschland historisch begründet und das verstehe ich. Aber manchmal würde ich mir wünschen, nicht immer wie eine heilige Kuh behandelt zu werden.
Hast du du hier denn schon einmal Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht?
Nein, noch nicht. Natürlich gibt es auch hier Antisemiten, die gibt es überall. Ich lese auch in Foren und kenne die antisemitischen Kommentare dort. In Ungarn nennen wir diese Leute "Sesselnazis" - von denen geht nicht wirklich eine Gefahr aus. Aber mir oder meinem direktem Umfeld ist so etwas noch nicht passiert.
Wie ich eure Initiative verstehe, wollt ihr doch hauptsächlich, dass Muslime und Juden nicht nur übereinander, sondern auch miteinander reden, oder?
Nicht nur reden – auch tanzen! Wir haben vor einem Monat eine interreligiöse Party organisiert. Dort gab es israelische, kurdische, palästinensische, türkische und persische Bands und DJs. Es kamen über 300 Leute, von dem Geld wollen wir nun eine Plakatkampagne gegen Islamfeindlichkeit finanzieren. Außerdem arbeiten wir an einem Handbuch für Neueinwanderer in verschiedenen Sprachen, das einem bei der deutschen Bürokratie helfen soll.
Verändert der eskalierende Nahostkonflikt die Zusammenarbeit in eurer Gruppe?
Als Gruppe geben wir zu dem Thema kein Statement ab, unser Hauptaufgabenfeld ist ja auch Berlin. Privat diskutieren wir natürlich schon viel darüber und haben auch kleine Meinungsverschiedenheiten.
Aber wenn manche von euch bei einer „Solidarität für Gaza“-Demonstration waren – sorgt das nicht für Diskussionen?
Natürlich, aber bei dem ganzen Nahostthema ist ja nie jemand einer Meinung. Wir haben auch Israelis, die untereinander darüber streiten, was der richtige Weg wäre. Allerdings organisieren jetzt zwei Leute aus unserer Gruppe – eine Israelin und ein Palästinenser – zusammen eine Demonstration gegen den Konflikt. Das ganze Thema kann man einfach nicht schwarz-weiß betrachten.
Du bist seit einem Jahr in der Rabbi-Ausbildung– ist dort Antisemitismus ein Thema?
Ja, schon. Dort kommen wir oft zu dem Schluss, dass das Thema ein wenig überrepräsentiert ist. Ich denke, die Mehrheit dort fühlt sich so wie ich sehr sicher. Allerdings habe ich auch eine Kommilitonin, die nie nach Neukölln fahren würde, weil sie Angst vor Arabern hat. Die hätte dir vermutlich jetzt ganz andere Antworten gegeben, als ich.
Im Sommer 2012 wurde der Rabbi Daniel Alter in Berlin Friedenau angegriffen und geschlagen. Er hat dann mehrmals öffentlich gesagt, dass Berlin-Wedding und Neukölln wegen ihrer hohen Anzahl an Muslimen „No-go-areas“ für Juden wären. Ich wohnte zu diesem Zeitpunkt bereits in Neukölln und war von der Aussage ziemlich überrascht. Ich liebe das Stadtviertel und treffe dort jeden Tag Muslime auf der Straße, mein Friseur ist Muslim, mein Mitbewohner ist Muslim und die Menschen im Supermarkt sind es auch. Ich habe hier nie schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb habe ich mich mit anderen Juden und Muslimen aus dem Viertel zusammengeschlossen und wir haben Videos gedreht, warum wir gerne in Neukölln leben. Die Juden haben gesagt, dass die Aussage des Rabbis provokant und gefährlich wäre, die Muslime haben sich beleidigt gefühlt. Ich weiß, dass der Rabbi nicht islamophob ist, aber solche Aussagen bieten natürlich Nährboden für Vorurteile und das wollen wir nicht. Wir wollen zusammen leben!
Wie waren die Reaktionen auf diese Videos?
Ich habe von jüdischer und muslimischer Seite nur positive Rückmeldungen bekommen. Wir wurden sogar in die Sehitlik-Moschee, die größte Moschee Berlins, eingeladen, um uns der Gemeinde vorzustellen. Dort haben wir dann auch noch mal Videos gemacht. Natürlich gab es auch skeptische Kommentare, aber keine offene Kritik.
Nun steht Berlin momentan im Zentrum einer Antisemitismus-Debatte. Bei einer Pro-Gaza-Demonstration am vergangenen Samstag haben arabische Demonstranten „Jude, Jude, feiges Schwein“ gerufen, die Polizei hat nicht eingegriffen. Wie erlebst du diese Diskussion?
Bei dieser Demonstration waren auch israelische Freunde von mir dabei, die sich gegen die Besatzung von Gaza engagieren. Das Bild, das momentan von dieser Demonstration gezeichnet wird, ist sehr verzerrt. Dort waren nicht nur Leute, die „Judenschweine“ brüllten, sondern auch Menschen, die ihr Mitgefühl mit Gaza ausdrücken wollten. In den Medienberichten geht es allerdings nur um die sehr laute Minderheit, die antisemitische Parolen gerufen hat. Die Freunde, die von mir dabei waren, sind aber mit Sicherheit keine Antisemiten und auch die Veranstalter hatten das nicht beabsichtigt. Auf Englisch nennt man das „hiljacking“ (Anm. d. Red.: „Gewaltsame Übernahme“), was die Antisemiten dort gemacht haben – sie haben mit ihrer Minderheiten-Meinung die ganze Demonstration gestört.
Wie sehen das deine Freunde, die bei der Demonstration zum Teil ja dabei waren?
Eine Freundin von mir hat kurz überlegt, ob sie nach diesen Parolen die Demonstration verlassen soll. Aber dann war es ihr doch wichtiger, sich gegen den Konflikt in Gaza zu engagieren, als sich von antisemitischen Parolen einschüchtern zu lassen. Sie ist dann dageblieben. Natürlich ist das keine einfache Entscheidung, das kann ich nachvollziehen. Aber es gibt fünf Millionen Muslime in Deutschland und wenn 50 von denen antisemitische Parolen verwenden, ist das einfach nicht repräsentativ. Vermutlich würde man auch 50 Juden finden, die schlecht über Muslime reden. Deshalb sollte man der ganzen Debatte nicht so viel Gewicht geben.
Armin (vordere Reihe links) und seine Freunde von der Salaam-Schalom-Initiative. Der 23-jährige angehende Rabbiner wuchs in Ungarn auf und lebt seit mehreren Jahren in Berlin-Neukölln.
Trotzdem bleibt die Kritik, dass man ausgerechnet in Deutschland nicht gegen Antisemitismus vorgegangen ist, ja bestehen. Wie fühlst du dich damit?
Ich komme aus Ungarn, dort habe ich schon sehr viele schlimmere Sachen gehört. Das, was in Berlin passiert, ist nicht angenehm. Aber mich persönlich beunruhigt es nicht, wenn 50 Leute solche Parolen rufen. Die Situation für Juden ist in Deutschland mehr als gut. Die deutsche Öffentlichkeit ist bei dem Thema sehr sensibel, was nicht schlecht ist. Aber ich würde mich noch mehr freuen, wenn sie nicht nur gegenüber Juden, sondern gegenüber allen Minderheiten so sensibel wäre. Natürlich ist die besondere Situation der Juden in Deutschland historisch begründet und das verstehe ich. Aber manchmal würde ich mir wünschen, nicht immer wie eine heilige Kuh behandelt zu werden.
Hast du du hier denn schon einmal Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht?
Nein, noch nicht. Natürlich gibt es auch hier Antisemiten, die gibt es überall. Ich lese auch in Foren und kenne die antisemitischen Kommentare dort. In Ungarn nennen wir diese Leute "Sesselnazis" - von denen geht nicht wirklich eine Gefahr aus. Aber mir oder meinem direktem Umfeld ist so etwas noch nicht passiert.
"Eine Kommilitonin von mir würde nie nach Neukölln fahren
Wie ich eure Initiative verstehe, wollt ihr doch hauptsächlich, dass Muslime und Juden nicht nur übereinander, sondern auch miteinander reden, oder?
Nicht nur reden – auch tanzen! Wir haben vor einem Monat eine interreligiöse Party organisiert. Dort gab es israelische, kurdische, palästinensische, türkische und persische Bands und DJs. Es kamen über 300 Leute, von dem Geld wollen wir nun eine Plakatkampagne gegen Islamfeindlichkeit finanzieren. Außerdem arbeiten wir an einem Handbuch für Neueinwanderer in verschiedenen Sprachen, das einem bei der deutschen Bürokratie helfen soll.
Verändert der eskalierende Nahostkonflikt die Zusammenarbeit in eurer Gruppe?
Als Gruppe geben wir zu dem Thema kein Statement ab, unser Hauptaufgabenfeld ist ja auch Berlin. Privat diskutieren wir natürlich schon viel darüber und haben auch kleine Meinungsverschiedenheiten.
Aber wenn manche von euch bei einer „Solidarität für Gaza“-Demonstration waren – sorgt das nicht für Diskussionen?
Natürlich, aber bei dem ganzen Nahostthema ist ja nie jemand einer Meinung. Wir haben auch Israelis, die untereinander darüber streiten, was der richtige Weg wäre. Allerdings organisieren jetzt zwei Leute aus unserer Gruppe – eine Israelin und ein Palästinenser – zusammen eine Demonstration gegen den Konflikt. Das ganze Thema kann man einfach nicht schwarz-weiß betrachten.
Du bist seit einem Jahr in der Rabbi-Ausbildung– ist dort Antisemitismus ein Thema?
Ja, schon. Dort kommen wir oft zu dem Schluss, dass das Thema ein wenig überrepräsentiert ist. Ich denke, die Mehrheit dort fühlt sich so wie ich sehr sicher. Allerdings habe ich auch eine Kommilitonin, die nie nach Neukölln fahren würde, weil sie Angst vor Arabern hat. Die hätte dir vermutlich jetzt ganz andere Antworten gegeben, als ich.