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Unendliche Geschichten

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Am Schluss stehen sie einträchtig zusammen vor der „Wurstbraterei“ am Rheinufer. Das Ende der meisten Köln-Tatorte bedeutet: Alles ist wieder einmal gut gegangen, und beim nächsten Mal ist dann wieder alles beim Alten. Ballauf und Schenk, mehr oder weniger gut aufeinander zu sprechen – Mord, Ermittlung, Aufklärung, Currywurst. Trotzdem ist, anders als übellaunige Kommentatoren in sozialen Netzwerken beanstanden mögen, die Geschichte eine andere. Als „Dialektik der Wiederholung und Varianz“ bezeichnet Serienforscher Daniel Stein dieses Grundkonzept serieller Erzählung.



Wotan Wilke Moehring und Petra Schmidt-Schaller aus "Kaltstart": Ein neuer Tatort mit altbekanntem Erzählmuster.

Auf Einladung der Deutschen Forschungsgemeinschaft sprach Stein in der vergangenen Woche über „Tatort, Simpsons & Co. – Serielles Erzählen in der Populärkultur“. In die Bayerische Staatsbibliothek in München kamen vor allem Studenten und Senioren – Fans der Simpsons und des Tatorts also gleichermaßen.
Daniel Stein, der an der Freien Universität Berlin zu „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ forscht, kommt direkt zur Sache, „schließlich stehen mir nicht mehrere Folgen Vortrag zur Verfügung“, sagt er, „sondern nur diese eine“.

In seiner Forschung konzentriert sich der Amerikanist auf Serien als popkulturelles Phänomen. Deren Geschichte reicht, ruft er in Erinnerung, sehr viel weiter zurück als die der TV-Serie. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Zeitungen erstmals massenproduziert werden, entstehen mit französischen Feuilleton-Romanen wie Eugène Sues „Les Mystères de Paris“ erste breitenwirksame Romanserien. Zum ersten Mal können Leser gemeinsam über den Fortgang einer Geschichte spekulieren – wie später auch bei Nat Pinkerton, Perry Rhodan, Superman und in der Lindenstraße. Die Serie ist anpassungsfähig: Läuft sie gut, kann sie unendlich fortgesponnen werden. Floppt sie, wird sie eilig zu Ende erzählt.

Grundsätzlich differenziert Stein zwischen „Serials“ und „Series“. Erstere, wie GZSZ oder Game of Thrones, erzählen episodenübergreifend; Letztere, wie Scrubs oder Desperate Housewives, in weitgehend geschlossenen Episoden. Der Tatort ist für Stein ein Sonderfall: streng genommen eine „Reihe“, deren Episoden nur in sehr geringem Maße aufeinander aufbauen. Aufgrund seiner gleichbleibenden Erzählstruktur trage er aber die Züge einer Serie. Den Versuch eines Bruchs mit dem altbewährten Schema beobachtet Stein in Dortmund: Die Flashbacks des depressiven Kommissars Faber enthüllen erst Episode für Episode die Umstände des Unfalltods seiner Frau.

Für Stein schafft der Tatort, wie schon früher das Lesen der Feuilleton-Romane, ein Gefühl von Gemeinschaftlichkeit. Das Wissen, dass viele andere auch den Mörder jagen, auch über den neuesten Fall von Lindholm, Murot oder Tschiller richten, mache ihn zu einem Erlebnis „kollektiver Gleichzeitigkeit“.

Erst am Ende kommt Stein auf Die Simpsons zu sprechen: Wie kaum eine andere Serie verstehe diese es, Erzählkonventionen zu unterwandern. So parodiere etwa die einzige zweiteilige Folge „Wer erschoss Mr. Burns?“ den Serial-typischen Cliffhanger: Nachdem Burns einem heimtückischen Attentat zum Opfer fällt, enthüllt erst Episode zwei den Täter. Hierzulande seien Selbstreflexion und erzählerische Innovation dagegen noch selten. Das gelte besonders für den typisch deutschen Tatort. Immerhin: Auch er leistete sich in „Am Ende des Flurs “ den ersten Cliffhanger seiner Geschichte – und ruderte nach Beschwerden eilig zurück. Beschwichtigend verkündete der BR: Der verletzte Münchner Ermittler Leitmayr wird leben. Noch ist man zu ängstlich, um Pionier zu sein. To be continued.

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