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Primania in Deutschland

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Berlin – Es ist kurz vor neun Uhr morgens, die Sonne knallt auf die zubetonierte Alexanderplatz-Wüste, und Jessica steht mit ihrer Freundin vor dem Eingang der Primark-Filiale. Drei Stunden werden die beiden 13-jährigen Mädchen ausharren. Seit Wochen fiebern sie der Eröffnung von Deutschlands 13. Primark-Filiale entgegen. Müssten sie nicht in der Schule sein? „Für Primark schwänzen wir“, sagt Jessica. 100 Euro hat sie dabei

– und ein kleines schlechtes Gewissen: „Ja, klar, die Kleider von Primark werden bestimmt alle von Kindern genäht, aber ich kann mir kein T-Shirt für 30 Euro leisten.“ Beim irischen Discounter kosten T-Shirts 2,50 Euro. Die meisten verlieren schon nach einer Wäsche die Fassung. Jessica findet das: „Egal. Bei zwei Euro für ein T-Shirt schmeiße ich es eben weg, wenn es nicht mehr passt.“



Der Primark in Berlin kurz vor der Eröffnung und dem großen Ansturm.

Drinnen steht Breege O’Donoghue, die Primark-Chefin. Gerade wartet sie, dass Irlands Premierminister Enda Kenny, der später noch die Bundeskanzlerin treffen wird, zur Shop-Einweihung eintrifft. O’Donoghue ist 70 Jahre alt, sie kommt zu jeder Eröffnung. Mit ihrem Alter (und ihrem Vorstandsgehalt) ist sie ziemlich weit entfernt von ihrer Zielgruppe. Spricht man sie darauf an, sagt sie: „Alles, was ich trage, ist von Primark und hat nur 42 Euro gekostet“. Das goldglänzende Armband auch? „Of course not“, sagt sie.

Primarks Erfolgsrezept sei, „dass wir so preiswert sind“. Vermutlich aber auch, dass die Kette in Ländern herstellen lässt, in denen der Monatslohn 70 Euro beträgt? Ihre Lippen werden schmal. „Wir betreiben ethischen Handel“, sagt sie. Abrupt wendet sie sich ab. Sie müsse ihre Rede noch mal überfliegen.

Es gibt inzwischen schon ein Wort für den Wahnsinn, der sich abspielt, wenn Primark eine neue Filiale eröffnet: „Primania“. Auf der Internetseite von Primark können Kunden unter diesem Stichwort seit ein paar Monaten Fotos hochladen, die sie in Primark-Klamotten zeigen. Der Wahnsinn ist, dass die Kunden das tatsächlich machen. Primark ist eine Geldmaschine, die vor allem deshalb schwarze Zahlen schreibt, weil sie auf Werbung und Online-Versand verzichtet und auf etwas setzt, was Deutsche gerne praktizieren: Geiz.

Bei der Gier nach Schnäppchen setzt oft das Gewissen aus. Vielleicht sollte man für einen Moment einfach mal diese Zahlen für sich sprechen lassen: Gibt man bei Google die Wörter „Primark“ und „Arbeitsbedingungen“ ein, erhält man 150000 Suchergebnisse. Wer „Primark“ und „Shopping“ eintippt, bekommt 5,5 Millionen Ergebnisse. Darunter auch sehr viele Youtube-Videos, auf denen Mädchen ihre Primark-Tüten auspacken und die Ausbeute vorführen. Eine bessere Werbung kann sich der Konzern gar nicht wünschen – sie kostet ihn nichts und kapitalisiert die Lust junger Mädchen, sich in sozialen Netzwerken zur Schau zu stellen.

Manche dieser Videos sind schon über eine Million Mal angeklickt worden. Youtube platziert auf ihnen Werbung. Auch das ist wohl eine Art Volks-Wirtschaft: Ein Konzern schaltet keine Anzeigen, weil seine Kunden die besten Werbeträger sind. Die Kunden filmen sich in Primark-Bikinis und Primark-Blusen und bekommen von Youtube Geld, weil der Dienst ihre Videos mit Werbung zupflastert. Mit dem Youtube-Lohn finanzieren die Primark-Kunden ihre Shoppingtouren. In diesem geschlossenen System sind alle glücklich, bis auf die, die keine acht Euro besitzen für Jeans: Die Primark-Näher.

Im vergangenen Jahr ist in Bangladesch ein neungeschossiges Gebäude eingestürzt, 1134 Menschen wurden damals getötet und 2438 verletzt. Im zweiten Stock hatten 580 Angestellte des Primark-Zulieferers „New Wave Bottoms“ Hosen und Hemden zusammengenäht – die meisten von ihnen haben den Einsturz nicht überlebt. Primark hat nach eigenen Angaben 12 Millionen US-Dollar Entschädigung an die Opfer und hinterbliebene Familienangehörige gezahlt. Ob der Konzern die Löhne in Bangladesch erhöht hat, darüber macht das Unternehmen keine Angaben.

Hubertus Thiermeyer ist Landesfachbereichsleiter für Handel der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Bayern. Er sagt: „Wer ein T-Shirt für zwei Euro kauft, muss wissen, dass jemand anderes den Preis dafür bezahlen muss.“ Primark gehört zum britischen Giga-Konzern Associated British Foods, der unter anderem Marken wie die Teefirma Twinings besitzt und das aus der Schweiz stammende Malzgetränk Ovomaltine. 276 Primark-Filialen gibt es in neun europäischen Ländern – der Umsatz ist so gigantisch, dass der Konzern jetzt in die USA expandieren wird.

Am Ende eines Tages gleichen Primark-Läden Schlachtfeldern. Horden von Mädchen, Frauen und jungen Männern probieren mitten im Laden an, weil die Schlangen vor den Umkleidekabinen endlos sind. Die Sachen, die sie nicht kaufen, lassen sie auf dem Boden liegen. Doch weder Wühltisch-Ambiente noch angebliche Hilferufe chinesischer Arbeiter können dem Label etwas anhaben. Vor wenigen Tagen waren in Primark-Kleidern Etiketten entdeckt worden, auf denen angeblich Arbeiter Hilferufe notiert hatten wie „bis zur Erschöpfung zum Arbeiten gezwungen“. Der Konzern ließ prüfen und kam zu dem Befund, dass es sich bei den Hilferufen um Fälschungen handele. In dem walisischen Ort Swansea, wo die beiden Primark-Kleider gekauft worden waren, habe Monate zuvor eine Kunstaktion mit solchen Etiketten stattgefunden, bei der Besucher ermutigt worden waren, solche Etiketten in Kleidung einzunähen. Inzwischen ist auch ein dritter „Fall“ bekannt geworden, bei dem eine Kundin in Belfast in einer Dreiviertel-Hose einen auf Chinesisch verfassten Hilferuf gefunden habe. Die örtliche Zeitung South Wales Evening Post berichtete nun, eine Kunststudentin habe für ein Projekt mit einer chinesischen Universität ähnliche Zettel hergestellt. Die Studentin habe auf Anfragen bisher nicht reagiert – und ihr Twitter- und Facebook-Profil gelöscht.

Drei Stunden nach der Eröffnung steht die Luft in Berlins zweiter Primark-Filiale am Alexanderplatz. Zwei junge Mädchen verteilen am Eingang Zettel, auf denen steht: „Ausbeutung ziehen wir nicht an.“ Ein 52 Jahre alter Mann kommt auf sie zu und sagt: „Ich hoffe, dass in Berlin noch mehr solche Läden aufmachen.“ Die Mädchen sind perplex. „Aber wissen Sie, wie die Arbeitsbedingungen bei Primark sind? Würden Sie 14 Stunden sechs Tage in der Woche in einer Fabrik nähen, ohne Krankenversicherung?“
Der Mann macht es kurz: „Ja, würde ich. Denn von Eurer Ideologie werde ich nicht satt. Ich sammele Pfandflaschen, um meine spärliche Rente aufzubessern.“

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