In der Öffentlichkeit steht man unter Beobachtung. Das weiß man, deshalb bohrt man da nicht in der Nase, kratzt sich nicht untenrum und passt auch sonst sehr stark auf, dass man nicht durch irgendwelche Kleinigkeiten als „Bürger out of control“ auffällt. Das kriegt man normalerweise ganz gut hin. Bis einem passiert, was jedem mal passieren kann: ein unvorhergesehenes Missgeschick.
Man stolpert zum Beispiel über die Bordsteinkante, fährt mit dem Fahrrad aus Versehen gegen einen Mülleimer, verschluckt sich in der dichtgedrängten U-Bahn an der eigenen Spucke oder erschrickt sich vor der einsetzenden Krankenwagensirene. Es gibt aberhunderte solcher schlimmer Momente. Das Gute ist: Sie passieren einem nicht nur selbst. Sie passieren auch anderen, täglich und überall. Das ist aber auch das Schlimme daran. Zeuge davon zu werden, wie anderen etwas peinlich ist, tut mindestens genauso weh, wie wenn einem selbst etwas peinlich ist.
"Peng". Und dann "Knack".
Man sieht, wie jemand energischen Schrittes gegen eine Glastür rennt. Oder im Laden gegen eine Spiegelwand. Man bekommt mit, wie in einem Geschäft jemand glaubt, zu seinem Begleiter zu sprechen, aber erst nach einer ganzen Weile merkt, dass die Person neben ihm nicht sein Begleiter, sondern ein Fremder ist, der schon ganz betreten auf ein bestimmtes Produkt guckt, um nicht sagen zu müssen: „Du, ich bin’s gar nicht.“
Nach so einem kleinen Schock reagiert man leider nie cool, hat nie sofort einen lustigen Spruch auf den Lippen oder lacht ehrlichen Herzens über sich selbst. Das geht immer erst später, wenn man unter Freunden ist. In dem Moment, in dem einem die eigentliche Peinlichkeit passiert, ist man mit sich allein und hat niemanden, an dessen Schulter man seinen Kopf hauen und „Peinlich, peinlich“ rufen und mit dem man drüber lachen kann. Man muss die Scham dann mit sich selbst ausmachen und am besten geht das, denkt man, indem man so tut, als wäre gar nichts gewesen. Man will schnell zurück ins Kostüm der Unantastbarkeit und versucht, so entspannt und gleichgültig wie möglich auszusehen, während es in einem natürlich nur so gärt vor schlimmer Pein. Und weil gerade in solchen Momenten unter sich ansonsten gänzlich fremden Menschen noch die Telepathie funktioniert, hören die anderen Menschen dieses Gären. Sie hören, wie es aus dem Herzen des Betroffenen laut und bestürzt „Ohneinnohgottbittenichtwiepeinlichhoffentlichhatmichkeinergesehen“ heraus schallt, während er einen auf cool macht, aber leider gar nicht mehr cool wirkt.
Was tut man also? Natürlich weggucken. Man will ihn ja entlasten. Man weiß ja, wie weh das tut, sich allein zu schämen. Nur ist der Telepathie-Kanal unter den Anwesenden noch immer eingeschaltet, das heißt: Der Betroffene weiß, dass alle nur weggucken, um ihn zu entlasten. Und jetzt potenziert sich die große Scham über ein so unwichtiges, nichtiges, eigentlich doch sogar sympathisches kleines Missgeschick auf allen Seiten ins Unermessliche.
In solchen Momenten wird mir klar, dass wir Menschen ein Haufen kleiner Trottelchen sind, die jeden Tag aufs Neue sehr angestrengt versuchen, supersouverän durch unsere Leben zu gehen, es aber nie ganz schaffen und uns dann immer wieder aufs Neue dafür schämen. Als wüssten wir gar nicht, dass wir mit dieser Scham und Fehlbarkeit doch überhaupt nicht allein sind. Und am liebsten würde ich, um mit diesem Muster zu brechen, dann einfach immer hingehen zu einer von einem blöden Zufall gedemütigten Person und ihr lässig und ha-haaaa-mäßig auf den Rücken schlagen und sagen: Ach du, ist alles überhaupt kein Problem, mir passiert das daaauuuernd, und sogar noch viel schlimmer!
Aber man kann eben nicht zu jemand Fremdem hingehen, ihn streicheln und ihm ungefragt die Geschichten der eigenen Unsouveränität aufdrängen. Also guckt man lieber weg. Und der andere bleibt allein. So wie wir alle immer allein und untröstlich bleiben in unserer Scham. Und das bricht mir das Herz.
Man stolpert zum Beispiel über die Bordsteinkante, fährt mit dem Fahrrad aus Versehen gegen einen Mülleimer, verschluckt sich in der dichtgedrängten U-Bahn an der eigenen Spucke oder erschrickt sich vor der einsetzenden Krankenwagensirene. Es gibt aberhunderte solcher schlimmer Momente. Das Gute ist: Sie passieren einem nicht nur selbst. Sie passieren auch anderen, täglich und überall. Das ist aber auch das Schlimme daran. Zeuge davon zu werden, wie anderen etwas peinlich ist, tut mindestens genauso weh, wie wenn einem selbst etwas peinlich ist.
"Peng". Und dann "Knack".
Man sieht, wie jemand energischen Schrittes gegen eine Glastür rennt. Oder im Laden gegen eine Spiegelwand. Man bekommt mit, wie in einem Geschäft jemand glaubt, zu seinem Begleiter zu sprechen, aber erst nach einer ganzen Weile merkt, dass die Person neben ihm nicht sein Begleiter, sondern ein Fremder ist, der schon ganz betreten auf ein bestimmtes Produkt guckt, um nicht sagen zu müssen: „Du, ich bin’s gar nicht.“
Nach so einem kleinen Schock reagiert man leider nie cool, hat nie sofort einen lustigen Spruch auf den Lippen oder lacht ehrlichen Herzens über sich selbst. Das geht immer erst später, wenn man unter Freunden ist. In dem Moment, in dem einem die eigentliche Peinlichkeit passiert, ist man mit sich allein und hat niemanden, an dessen Schulter man seinen Kopf hauen und „Peinlich, peinlich“ rufen und mit dem man drüber lachen kann. Man muss die Scham dann mit sich selbst ausmachen und am besten geht das, denkt man, indem man so tut, als wäre gar nichts gewesen. Man will schnell zurück ins Kostüm der Unantastbarkeit und versucht, so entspannt und gleichgültig wie möglich auszusehen, während es in einem natürlich nur so gärt vor schlimmer Pein. Und weil gerade in solchen Momenten unter sich ansonsten gänzlich fremden Menschen noch die Telepathie funktioniert, hören die anderen Menschen dieses Gären. Sie hören, wie es aus dem Herzen des Betroffenen laut und bestürzt „Ohneinnohgottbittenichtwiepeinlichhoffentlichhatmichkeinergesehen“ heraus schallt, während er einen auf cool macht, aber leider gar nicht mehr cool wirkt.
Was tut man also? Natürlich weggucken. Man will ihn ja entlasten. Man weiß ja, wie weh das tut, sich allein zu schämen. Nur ist der Telepathie-Kanal unter den Anwesenden noch immer eingeschaltet, das heißt: Der Betroffene weiß, dass alle nur weggucken, um ihn zu entlasten. Und jetzt potenziert sich die große Scham über ein so unwichtiges, nichtiges, eigentlich doch sogar sympathisches kleines Missgeschick auf allen Seiten ins Unermessliche.
In solchen Momenten wird mir klar, dass wir Menschen ein Haufen kleiner Trottelchen sind, die jeden Tag aufs Neue sehr angestrengt versuchen, supersouverän durch unsere Leben zu gehen, es aber nie ganz schaffen und uns dann immer wieder aufs Neue dafür schämen. Als wüssten wir gar nicht, dass wir mit dieser Scham und Fehlbarkeit doch überhaupt nicht allein sind. Und am liebsten würde ich, um mit diesem Muster zu brechen, dann einfach immer hingehen zu einer von einem blöden Zufall gedemütigten Person und ihr lässig und ha-haaaa-mäßig auf den Rücken schlagen und sagen: Ach du, ist alles überhaupt kein Problem, mir passiert das daaauuuernd, und sogar noch viel schlimmer!
Aber man kann eben nicht zu jemand Fremdem hingehen, ihn streicheln und ihm ungefragt die Geschichten der eigenen Unsouveränität aufdrängen. Also guckt man lieber weg. Und der andere bleibt allein. So wie wir alle immer allein und untröstlich bleiben in unserer Scham. Und das bricht mir das Herz.