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Mindestens zweifelhaft

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Es geht um eine historische Entscheidung: Wenn am Donnerstag der Bundestag wie geplant den gesetzlichen Mindestlohn auf den Weg bringen wird, bekommt Deutschland vom Jahr 2015 an als 21. EU-Land einen gesetzlichen Mindestlohn. Die große Mehrheit der Deutschen ist dafür, doch solange das Bundesarbeitsministerium und die Abgeordneten im Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestags noch an den letzten Details des Gesetzes arbeiten, reißt die Kritik nicht ab.



Verdi-Chef Frank Bsirske sagt von den geplanten Mindestlohn-Ausnahmen, sie seien "grobe Wählertäuschung". 

An diesem Montag dürfen Experten bei einer Anhörung im Bundestag ihre Bedenken vortragen. Sachverständige und Verbände haben mehr als 200 Seiten an Stellungnahmen eingereicht, von der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger bis zum Bundesverband Schnellgastronomie und Imbissbetriebe. Und alle wollen in letzter Minute noch schnell etwas ändern.

Viel Neues dürfte es aber nicht mehr geben. Auch die Ende vergangener Woche beschlossenen Ausnahmen dürften bleiben, selbst wenn Verdi-Chef Frank Bsirske der SPD in der Bild am Sonntagsogar „grobe Wählertäuschung“ vorwirft. So bleiben Schnupper-Praktika während der Ausbildung oder des Studiums für drei Monate und nicht für sechs Wochen vom Mindestlohn ausgenommen. Landwirte und Obstbauern können bei den mehr als 300000 Erntehelfern Kosten für Unterkunft und Verpflegung auf die 8,50 Euro anrechnen. Und für die 160000 Zeitungsausträger soll eine zweijährige Übergangszeit gelten, bis ihre Arbeitgeber die 8,50 Euro zahlen müssen. Ebenfalls könnte es noch in einigen Branchen neue bundesweite Tarifverträge geben, die es erlauben, die 8,50 Euro Ende 2016 zu unterschreiten. An diesem Montag kommen deshalb ebenfalls die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und der Hotel- und Gaststättenverband zusammen. Sie verhandeln über eine Lohnuntergrenze, die etwa für Küchenhilfskräfte, Hotelpagen oder Kellner gelten könnte.

Einigen Beobachtern geht es aber längst nicht mehr allein um die Ausnahmen. Sie fragen sich, wer, wie den Mindestlohn in Zukunft anpassen soll, und ob er überhaupt bezahlt wird.

Die Einhaltung des Mindestlohns soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls überwachen. Deren Mitarbeiter sind in der Zoll- und Finanzgewerkschaft organisiert, und die fordert in ihrer Stellungnahme nicht nur bis zu 2500 neue Beschäftigte in der FKS, um eine „hinreichende Prüfquote“ erreichen zu können.
Die Gewerkschaft warnt auch davor, dass der Mindestlohn „in Kernbereichen“ unterlaufen werden könnte.

Dazu zählt sie Branchen wie die Landwirtschaft, Sortier- und Verpackungsbetriebe, Callcenter und das Taxigewerbe, also Wirtschaftszweige, in denen die Arbeitgeber häufig Akkord- oder Stücklöhne zahlen, die von den geernteten Kilogramm, erzieltem Umsatz oder geleisteten Einheiten abhängen. Ohne klare Rechtslage sei es hier schwierig, Abrechnungsbetrug überhaupt aufzudecken, heißt es bei der Gewerkschaft.

Die Zollbeamten rechnen außerdem mit einem „erheblichen Anstieg der Scheinselbständigkeit“. Gerade bei kleinen Unternehmen sei zu befürchten, dass Beschäftigte entlassen „und als Scheinselbständige, also mit Werkverträgen, wieder beschäftigt werden“.

Auch die Kritik an der Mindestlohnkommission nimmt zu. Kürzlich war der Arbeitsausschuss in Großbritannien, um von den Briten zu lernen. Dort wurde die Lohnuntergrenze bereits 1999 eingeführt. Seitdem gilt das Mutterland des Kapitalismus als Musterland des Mindestlohns. Derzeit beläuft er sich dort auf umgerechnet etwa 7,90 Euro für mindestens 21-Jährige. Mehr als eine Million Briten profitieren davon.

Selbst die Arbeitgeber, die einst einen Stellenkahlschlag befürchteten, halten den Mindestlohn für eine Erfolgsgeschichte. Bei der Arbeit am deutschen Gesetzestext war daher viel vom britischen Vorbild die Rede. Nur: Was ist davon geblieben?

Auf der Insel entscheidet die Low Pay Commission über die Höhe der Lohnuntergrenze. Der Runde gehören je drei Vertreter der Arbeitgeber und drei Gewerkschafter sowie drei unabhängige Wissenschaftler an, alle gleichberechtigt mit Stimmrecht. Ihre bislang stets einstimmigen Empfehlungen sind nicht verbindlich, in der Regel setzt die jeweilige Regierung die Vorschläge aber um. Die Kommission, die ein eigenes Budget für die Forschung hat, prüft auch regelmäßig, ob durch den Mindestlohn die Arbeitslosigkeit steigt.

Anders sieht es nach dem Gesetzesentwurf des Arbeitsministeriums in Deutschland aus: Zwei Wissenschaftler können lediglich beraten. Abstimmen dürfen nur die drei Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften plus der Vorsitzende. Außerdem soll die Mindestlohn-Kommission sich bei ihren Beschlüssen „nachlaufend an der Tarifentwicklung“ orientieren. Maßgeblich soll dabei der Tarifindex des Statistischen Bundesamtes sein, der die Entwicklung der tariflichen Monatsverdienste widerspiegelt. Darauf haben die Arbeitgeberverbände und der DGB gepocht, um zu verhindern, dass die Kommission die Lohnfindung bei Tarifgesprächen beeinflusst.

Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, hält beides für falsch: „Die Bundesregierung will die Wissenschaft an den Katzentisch der Kommission verbannen. Das ist ein schwerer Fehler, denn insbesondere die Beteiligung der Wissenschaft hat in England zur breiten Akzeptanz des Mindestlohns geführt“, sagt sie. Auch sollte die Kommission bei ihren Vorschlägen nicht dem Tarifindex folgen müssen. „Damit wäre sie völlig überflüssig, denn dies könnten auch zwei Sachbearbeiter des Statistischen Bundesamtes übernehmen“, kritisiert Pothmer. Auch wäre so der jeweils neue Mindestlohn stets nach hinten gerichtet. „Eine nachlaufende Anpassung birgt die Gefahr, dass sich der Mindestlohn losgelöst von der jeweiligen Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage entwickelt“, sagt die Grünen-Politikerin.

Auch in der Union wachsen die Widerstände gegen die Kopplung an den Lohnindex. Matthias Zimmer, Vizechef der Arbeitnehmergruppe in der Unions-Fraktion, warnt davor, die 8,50 Euro per Index im Gesetz „politisch fortzuschreiben“. Welche Funktion solle die Kommission dann noch haben, fragt sich der CDU-Politiker.

Die Grünen-Frau Pothmer ist sich jedenfalls sicher: Reisen wie die des Ausschusses nach Großbritannien bilden.

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