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Fast schon ein Körperteil

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In der Filmkomödie „Der Gott des Gemetzels“ aus dem Jahr 2011 ist Nancy so genervt von ihrem dauertelefonierenden Ehemann Alan, dass sie ihm mitten im Gespräch das Smartphone aus der Hand reißt und in eine Tulpenvase wirft. „Hast du den Verstand verloren?“, ruft Alan, gespielt von Christoph Waltz. „Mein ganzes Leben war da drin.“



Das Handy gehört jetzt auch in den USA zur besonders geschützten Privatsphäre. Polizisten brauchen zur Durchsuchung einen Gerichtsbeschluss. 

Was im Film bloß eine böse Pointe war, beschreibt seit Mitte der Woche die neue Rechtslage in den Vereinigten Staaten. Das oberste Gericht, der Supreme Court in Washington, hat Mobiltelefone und besonders deren Dateninhalt in einem historischen Urteil für besonders schützenswert erklärt. Die Polizei darf, wenn sie einen Verdächtigen festnimmt, nicht mehr ohne Weiteres dessen Handy auswerten – künftig benötigt sie dafür einen gerichtlichen Durchsuchungsbefehl. In Deutschland ist dies seit Jahren geltendes Recht.

In den USA gilt das Urteil als Großerfolg für den Datenschutz im digitalen und mobilen Zeitalter. Der Richterspruch ist in jeder Hinsicht deutlich: Anders als sonst entschieden die neun höchsten Juristen einstimmig; der Vorsitzende John Roberts spannte in seiner Begründung einen Bogen von den Gründungstagen der USA bis in die Gegenwart, um die Bedeutung von Mobiltelefonen für den modernen Menschen hervorzuheben. Die Geräte seien „ein solch beherrschender und vereinnahmender Teil des täglichen Lebens, dass der sprichwörtliche Besucher vom Mars sie für ein wichtiges Merkmal der menschlichen Anatomie halten könnte“, schrieb Roberts.

Amerikas oberste Richter, im Schnitt ziemlich betagt, gelten zwar als nicht besonders technikaffin, aber sie begründeten ihr Urteil detailliert mit den beinahe unbeschränkten Möglichkeiten moderner Mobiltelefone, nicht zuletzt ihrer enormen Speicherkapazität. Der Begriff Telefon sei irreführend, schrieb Roberts, „man könnte sie auch Videokameras nennen oder Adressbücher, Kalender, Aufnahmegeräte, Büchereien, Tagebücher, Fotoalben, Fernseher, Landkarten oder Zeitungen“. Sie enthielten „eine digitale Aufzeichnung von beinahe jedem Aspekt des täglichen Lebens, vom Banalen bis zum Intimen“. 90 Prozent der Amerikaner seien im Besitz eines Mobiltelefons. Drei Viertel aller Smartphone-Nutzer erklärten, sich meist in unmittelbarer Nähe ihrer Geräte aufzuhalten, und zwölf Prozent räumten ein, ihr Telefon sogar in der Dusche zu benutzen.

Eine der Grundlagen für das Urteil ist der Fall „Riley v. California“. Im Jahr 2009 hatte die Polizei in San Diego den Autofahrer David Riley angehalten, weil sein Nummernschild abgelaufen war. Dann führte eins zum anderen: In seinem Kofferraum fanden die Beamten Waffen, daraufhin werteten sie – ohne ein Gericht um Erlaubnis zu fragen – sein Mobiltelefon aus, fanden Hinweise auf eine Gang und eine frühere Schießerei. Am Ende verurteilte ihn die Justiz in Kalifornien wegen versuchten Mordes zu 15 Jahren Haft.

Für künftige Fälle dieser Art gab der oberste Richter Roberts der Polizei die Anweisung: „Get awarrant“, sich also einen Durchsuchungsbefehl zu besorgen. „Dass es die Technik jedem Einzelnen nun erlaubt, all diese Informationen bei sich zu haben, macht diese Informationen nicht weniger schützenswert“, schrieb Roberts. Er erinnerte an die treibenden Kräfte der amerikanischen Revolution gegen die britischen Kolonialherren. Eine davon war die Abscheu vor „allgemeinen Ermächtigungen“; diese erlaubten es britischen Offizieren, ohne jeden Anfangsverdacht in Häuser einzudringen und nach Beweisen für kriminelles Verhalten zu suchen.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2005 entschieden, dass die Polizei ein Handy nicht ohne Weiteres durchforsten darf. Im damaligen Fall waren Beamte ohne Durchsuchungsbefehl in die Wohnung eines mutmaßlichen Autodiebs eingedrungen und hatten auf dessen Handy nach den Spuren verdächtiger Telefonate gesucht. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe rügten diese „erzwungene Offenbarung von Verbindungsdaten“. Diese sei nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung möglich, und ein Richter müsse sie anordnen; bei Gefahr im Verzug wenigstens der Staatsanwalt (Az.: 2 BvR 308/04). Heute verrät ein Mobiltelefon noch viel mehr als damals: Nicht etwa nur gewählte Telefonnummern, sondern auch Schlagworte aus Google-Suchen oder die Listen besuchter Webseiten.

Im Jahr 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht außerdem sogenannte Online-Durchsuchungen für zulässig erklärt, also den Zugriff des Staates auf Rechner aus der Ferne. Dies sei in engen Grenzen zulässig. Es gebe zwar ein „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“, urteilte das Gericht, dieses sei allerdings „nicht schrankenlos“.

Der Supreme Court hat sich zu diesen neuen Ermittlungsmethoden im Internet nicht geäußert, auch nicht zu den Sammelgewohnheiten des Auslandsgeheimdienstes National Security Agency (NSA). Eine Fußnote im Urteilstext deutet an, dass sich das Gericht dazu ein separates Grundsatzurteil vorbehält. Der aktuelle Fall widmet sich eher der ganz altmodischen Festnahme. Allerdings gelten die klaren Worte der obersten Richter als möglicher Wendepunkt für den Schutz der Privatsphäre in der digitalen Zeit. Bisher hatten amerikanische Gerichte nach den Festnahmen verdächtiger Personen relativ weitgehende Durchsuchungen zugelassen, selbst wenn dafür kein richterlicher Beschluss vorlag. Dies sei notwendig, hieß es immer wieder, um die Polizei zu schützen und das Vernichten von Beweismitteln zu verhindern. Ähnlich hatte im strittigen Fall auch die US-Regierung argumentiert.

Der Supreme Court hat solch weitreichende Befugnisse der Polizei jetzt verneint. Die Beamten dürften zum Selbstschutz zwar ein Smartphone öffnen und überprüfen, ob sich darin etwa eine Rasierklinge befinde. Die im Telefon gespeicherten Daten aber könnten niemanden gefährden. Auch könne die Polizei verhindern, dass Beweise vernichtet würden, indem sie die Batterie entferne, das Telefon abschalte oder in eine Aluminiumfolie packe, damit ein Hacker aus der Ferne keine Daten löschen könne.

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