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Die Hobbyisten kommen

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Warum nur wollen so viele Politiker im Wahlkampf mit den Bürgern kickern, grillen, gärtnern?

In ihrer letzten Pressekonferenz vor der Sommerpause wurde Angela Merkel gefragt, wie sie sich im Urlaub zu erholen gedenke. Sie sagte: "Mit der Erholung bei der Bundeskanzlerin ist es so, dass der sicherste Weg ist, sich bei der Arbeit zu erholen." Das klang nur im ersten Moment erstaunlich, tatsächlich ist diese Antwort so banal wie zwingend. Wer in seinem Beruf so umfassend beansprucht wird wie die Bundeskanzlerin, der ist gut beraten, ein paar Fasern Freizeit in das Korsett seiner Verpflichtungen einzuweben. Anders gesagt: Wann, bitte, sollte sich ein Mensch mit so viel Arbeitszeit erholen, wenn nicht während derselben?



Jürgen Trittin fiel vergangene Woche bei einer Paddeltour ins Wasser.

Mit Erholung ist hier natürlich nicht der Minutenschlaf auf der Jahreskonferenz der Landfrauenjugend gemeint oder eine schnelle Partie Sudoku während der Parlamentsdebatte. Es geht vielmehr um die Gestaltung von Freizeit, echter oder beruflicher. Für Politiker ist das nicht ungefährlich, als Beleg dafür sei exemplarisch die Krankenakte von David McAllister herangezogen. Als der noch Ministerpräsident Niedersachsens war, besuchte er die Kinderspielscheune Ottendorf, um dort mit seinem eigenen Nachwuchs zu rutschen. Die Folge: ein schwerer Bruch in seinem Lebenslauf, nämlich der des Steißbeins. In Hedemünden, ebenfalls Niedersachsen, hat es vorvergangene Woche Jürgen Trittin erwischt. Er hatte seinen Protest gegen Salzeinleitungen in die Werra mit einer Paddelbootsfahrt verbildlichen wollen - und wurde infolge eines mäßigen Anlegemanövers letztlich selbst in die Werra eingeleitet. Verletzt wurde niemand.

In Zeiten des Wahlkampfs häufen sich solche Einsätze. Glaubt man den vielen Plakaten, die jetzt wieder mit "Vorname Nachname kommt!"-Rufen für Veranstaltungen werben, ist in diesem Sommer noch mit einer besonders hohen Zahl an politischen Hobbyeinsätzen zu rechnen. Da lohnt eine Betrachtung aus zwei Perspektiven, der des Politikers wie der des Bürgers.

Hemd und Haar von Trittin sind kaum getrocknet, da muss er schon wieder zum Tischfußball antreten. "Wir kickern mit Jürgen!", kündigen die Grünen einen als Freizeit verpackten Termin im Backstage in München an. Darüber wundert sich nur, wer bei einem Einsatz Trittins als "DJ Dosenpfand" noch nicht das gemacht hat, was Claudia Roth vermutlich abhotten nennen würde. Jedenfalls soll mit dem Kicker-Termin die "Likeability" Trittins erhöht werden. Adäquat lässt sich dieser Begriff nicht übersetzen, er beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, gemocht werden zu können. Um wenig anderes geht es Politikern bei ihren Besuchen in der Hobbythek, und dagegen ist erst mal gar nichts zu sagen. Manchmal funktioniert der Transport einer politischen Idee über eine bildstarke Aktion ja ganz gut, wie zum Beispiel bei Michelle Obama, als sie im Garten des Weißen Hauses ein Gemüsebeet anlegte. Manchmal ist es aber auch so, dass Renate Künast zum Stadtgärtnern in die Zschochersche Str. 12 in Leipzig lädt.

Für den Bürger jedenfalls bieten sich da recht viele Möglichkeiten zur Teilhabe. Im Bundestagswahlkampf 2002 konnte er mit Joschka Fischer joggen gehen, in diesem August ergibt sich immerhin die Möglichkeit eines Spaziergangs mit Gabriele Weishäupl. Ob Frank-Walter Steinmeier irgendwo noch den Grill anwerfen wird? Es ist mit allem zu rechnen.

Aber die eigentliche Frage ist natürlich, ob man als Wähler an solchen Veranstaltungen überhaupt teilnehmen will. Ob es ein Ausdruck von Bürgernähe ist, wenn Politiker zu Hobbyisten in eigener Sache werden. Oder ob es ein erkennbares Heranwanzen bleibt, für das man als Kandidat zwar Aufmerksamkeit bekommt, aber sicherlich keinen Respekt. Die Antwort, wahrscheinlich: mal so, mal so.

Leichter, weil hypothetisch ist es, sich zu überlegen, mit welchen Terminen in den kommenden Wahl- und Superwahljahren noch zu rechnen sein wird. Gemeinsam abhängen mit Wolfgang Kubicki bei einem lauschigen Kriegsfilmabend? Ein schmissiger Spieleabend mit Thomas de Maizière, um beim "Mensch-ärgere-Dich-nicht" mal wieder so richtig die Sau rauszulassen? Am größten ist der Spielraum vermutlich bei den Grünen. Veganes Topfschlagen oder Wettfahrten mit dem E-Bike - da geht noch was.

Der Pirat Christopher Lauer hat einmal gesagt, das sei eben Politik: "Man muss Dinge tun." Die Aussage lässt sich problemlos auf die kleinen Zirkusnummern übertragen, die Politiker im Wahlkampf veranstalten. Wenn aber die Folklore jeden politischen Inhalt überdeckt, dann sollte man die Freizeit-Revuen wenigstens andersherum aufziehen. Alle Gewalt geht vom Volke aus, dazu zählt dann ja auch ein Vorschlagsrecht für Wahlkampftermine. Als Testkandidatin dafür bietet sich die SPD an, die bis zur Bundestagswahl an fünf Millionen Haustüren geklingelt haben will. Müll rausbringen mit Peer Steinbrück. Waschmaschine reparieren mit Sigmar Gabriel. Die Hecke verschneiden mit Andrea Nahles. Oder mal kurz auf das Baby aufpassen mit Olaf Scholz, während man Tante Ilse zum Bahnhof bringt. Versuchen kann man das ja.

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