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Kosmoshörer (Folge 20)

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Montag
Nachdem ich am Abend zuvor Boyhood im Kino gesehen habe (sehr schön!), schwirrt mir den ganzen Bürotag lang pausenlos Musik aus den Neunzigern im Kopf herum, da die in diesem Film eine große Rolle spielt. Insbesondere "Soak up the Sun" von Sheryl Crow quält mich mit der Liedzeile: "My friend the communist / holds meetings in his office." Das mochte ich schon damals nicht und ich brauche mehr als einen Tag, um herauszufinden, dass das mal wieder einer meiner freudianischen Ohrwürmer ist. (Passiert das nur mir? Ich entdecke, dass mir schon seit einiger Zeit ein Liedfetzen im Kopf herumgeht, und dann merke ich, dass der Text zu einer Situation passt, die ich erlebt habe.)
Hier nun also: Einer meiner Kollegen wohnt in einer Kommune. Auch eine Art "communist"? Das denkt jedenfalls mein musikalisches Unterbewusstes. Ich verzichte drauf, diesen schrecklichen Ohrwurm weiterzugeben, und biete euch hier einen anderen Song aus Boyhood an, nämlich "Yellow" von Coldplay. Damals mit 16 habe ich das dazugehörige Album jedenfalls geliebt – naja, eigentlich alle Lieder außer "Yellow". http://www.youtube.com/watch?v=e5d373dp1ao

Dienstag
Mein Chef schickt mir eine derart feindselige Mail aus dem Urlaub, dass ich zum ersten Mal wirklich mit dem Gedanken an spontanes Kündigen spiele. In solchen Situationen hilft "Into the Sea" von Suede, das ich auf dem Heimweg beim Radeln vor mich hin denke (und an wenig befahrenen Stellen auch leise singe). Deshalb nämlich: "She can walk out any time / any time she wants to walk out".
http://www.youtube.com/watch?v=DyMx-4CSjnI



Auch diesen Tag verbringe ich hauptsächlich im Büro, das ich dementsprechend fotografiert habe (man verzeihe mir die Bildqualität, das ist das allererste Foto, das ich mit dem Handy gemacht habe – ich musste erstmal die Folie von der Linse entfernen!)

Mittwoch
Den Mittwoch verbringe ich sogar komplett im Büro, weil es sich nicht lohnt, vor dem Abendvortrag um 20 Uhr noch mal heimzufahren. Immerhin ist zwischendurch Zeit für etwas Netzlektüre, wozu auch der wunderbare Blog von pitz gehört, die über einen todessehnsüchtigen Nachbarn schreibt. Dem verdanke ich vermutlich meinen nächsten freudianischen Ohrwurm, Tori Amos' "Happy Phantom" mit der grandiosen Ankündigung: "And if I die today I'll be a happy phantom And I'll go chasin' the nuns out in the yard. And I'll run naked through the streets without my mask on. And I will never need umbrellas in the rain, I'll wake up in strawberry fields every day. And the atrocities of school I can forgive. The happy phantom has no right to bitch".
Der Vortrag behandelt dann das Thema Erschöpfung und auf dem Heimweg, durch das um 22 Uhr immer noch helle Hamburg radelnd, singe ich leise das gut dazu passende und hinreißend traurige "Country Feedback" von R.E.M. vor mich hin. Der Sänger sagte bei einem Konzert mal, das sei sein Lieblingslied aus dreißig Jahren Bandgeschichte, und ich finde, da hat er recht.
http://www.youtube.com/watch?v=59_9xii2nqY&feature=kp  

Donnerstag

Nach dem üblichen Tag im Büro folgt ein fauler Abend auf dem Sofa mit dem Liebsten, der netterweise sehr nahrhafte Currybratkartoffeln gemacht hat. Ich lese tapfer Wissenschaftliches, er schaut Fußball und die Damen im Pelz jagen Fliegen. Beim Abwasch fröne ich dann meinem derzeitigen Libanon-Faible – neben der ein wenig zu eingängigen Yasmine Hamdan haben es mir vor allem Mashrou' Leila angetan, eine Art studentisches Bandkollektiv. Mein Lieblingslied ist eigentlich "Imm el-Jacket", aber dieses hier hat das tollste Video und passt auch gut zur Küchenthematik:
http://www.youtube.com/watch?v=5vvr7KXAfck


Das Beweisfoto der aufgeräumten Küche, mit der hungrigen Sheila.

Freitag
Der Tag fängt extrem verknautscht an, obwohl wir immerhin mal bis viertel nach sieben schlafen konnten (sonst ist es eher sechs Uhr). Ich entdecke eine Menge kleiner Wehwehchen an mir: entzündetes Zahnfleisch, einen entzündeten Insektenbiss am Arm und einen vermutlich genau dagegen protestierenden schmerzenden Lymphknoten in der Achsel. Im freitäglich verwaisten Büro angekommen fällt mir dann auch noch auf, dass ich beim Duschen vergessen habe, mir die Haare zu waschen. Oh Mann. In zehn Tagen werde ich 31, vielleicht liegt's daran?
Da wir abends noch bei Bekannten zur Besichtigung des frischgeborenen Sohnes eingeladen sind, fahre ich heute ausnahmsweise mit der U-Bahn zur Arbeit. Der mp3-Player kommt zum Einsatz und serviert mir Natalie Merchant, deren tolle Vertonung von "Equestrienne" ein ernsthafter Kandidat für einen Hochzeitswalzer wäre. Mich erinnert dieses Lied allerdings vor allem an meinen Sprachkurs in St. Petersburg vor ziemlich genau vier Jahren – in der ersten, taghellen Nacht lag ich komplett wach, da mich diverse Stechmücken umschwirrten, und in meinem Kopf lief unaufhörlich "Equestrienne" und hielt mich erst recht vom Einschlafen ab. Trotzdem eigentlich ein schönes Lied, nur fehlt im Video leider das milchweiße Pferd, das ja wiederum Erinnerungen wecken würde – an die Pferdephase in der dunklen Vergangenheit jeder Frau.
http://www.youtube.com/watch?v=JR2CF6meHhs

Der Abend bei den beiden Neueltern, die neben dem Kind auch noch einen Dackel und eine Rennmaus in ihrer Einzimmerwohnung untergebracht haben, wird wirklich nett und recht lang. Unten dreht ein Filmteam einen Krimi an einer fiktiven Imbissbude, ab und zu branden Schreie nach oben in den sechsten Stock.


Hier ein Foto der unverschämt tollen Aussicht, die unsere Gastgeber auch von ihrem Balkon aus haben (fotografiert hab ich es allerdings ebenerdig. Ja, das glasige Ding in der Mitte wird mal die Elbphilharmonie).

Samstag
Nach einem faulen Vormittag mit der Zeitung begebe ich mich zum Capoeiratraining. Da machen wir naturgemäß immer jede Menge Musik (wer nichts über Capoeira weiß, möge hier klicken). Das schönste Lied, das wir an dem Tag gesungen haben, heißt "A maré a maré" (Das Meer, das Meer) und es gibt das sogar online:
http://www.youtube.com/watch?v=37Ix7WYzbWU

Sonntag
Morgens fahre ich ins Tierheim, um ehrenamtlich Schüsseln zu spülen. Dort ist die Entrüstung unter den Pflegerinnen groß, weil jemand einen vor wenigen Monaten erst übernommenen und sehr unglücklich schauenden Kater wieder abgegeben hat – er würde so viele Zecken von draußen mit reinbringen. Tja, was kann der Kater dafür? Mein mentaler Soundtrack für die Radfahrt zum Tierheim ist "Johnny & Mary" von Robert Palmer. Ich dachte erst, ich sei wegen der "always running around"-Stelle darauf gekommen, es ist aber wohl doch eher "Mary combs her hair", das mir morgens im Bad aus gegebenem Anlass in den Sinn kam. Da das Wetter wie eigentlich schon die ganze Woche eher mies ist, fallen sämtliche für heute ersehnten Außenaktivitäten wie Tischtennis oder Fußball leider aus. Immerhin nimmt mein Liebster tapfer bei steifer Brise ein Eis zu sich.
http://www.youtube.com/watch?v=7_SAMrDnXOE
[seitenumbruch]
Gute Musik – was ist das für dich?
Früher hätte ich gesagt: gute Texte. Jetzt stimmt das zwar immer noch, aber ich bin musikalisch nicht mehr ganz so ahnungslos und mag inzwischen auch innovativere Rhythmen und Melodien.

Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?

Meistens auf dem mp3-Player, seltener auf der Stereoanlage, und beim Rumstöbern natürlich auch online. Ich hab auch noch selbst aufgenommene Kassetten aus den Neunzigern zu Hause und besitze ein Gerät, das sie abspielen könnte…

Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?

Ich höre fast nur Musik, wenn ich mal Zug oder U-Bahn fahre, und das kommt nur noch recht selten vor. Zu Hause und im Büro lese ich meistens irgendwas, dazu kann ich keine Musik hören, und auf dem Fahrrad mag ich mich angesichts des Nahkampfs auf Hamburgs überfüllten, engen und kaputten Radwegen auch nicht von der Welt abkapseln – außerdem fallen mir immer die Ohrstöpsel raus. Zu Hause gibt’s Musik meistens nur zum Abwasch oder wenn ich zu müde bin, um zu lesen. Da ich aber furchtbar gern mehr Musik hören würde, stelle ich mir oft einfach ein bestimmtes Stück vor oder mir kommt ganz automatisch ein Lied in den Sinn, an das mich gerade etwas erinnert.

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst?

Meine erste Lieblingsband, so mit 17, war R.E.M., die hab ich aber etwas aus den Augen verloren, schon bevor sie sich aufgelöst hat. Ernsthafte Nachfolgekandidaten wären Louise Attaque oder Kino, die russischen Ikonen der Neunziger (danke an meine polnische Bekannte Justyna, die mich in St. Petersburg auf ein "Tribute Concert" geschleppt hat). Hier ein sehr russisch verschneites Originalvideo von Kino, mit dem schwungvollen, nach Osten fahrenden "Trolleybus":
http://www.youtube.com/watch?v=4PxZFu0FHh4&list=PLF22A65566EBA1EC6&index=7

Welche Musik magst du gar nicht und warum?

Das, was der Laie pauschal Techno nennt, finde ich schlicht öde. Allein schon, weil da immer nur eine Textzeile pro Lied drinsteckt.

Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?

Mein allererstes Album war eine Kassette, nämlich das Album Go West von den Pet Shop Boys, da muss ich neun gewesen sein. Das Lied, das ich am liebsten mochte, hieß "Can you forgive her?", irgendwie schräg, aber immer noch gut (hab ich jetzt zum ersten Mal seit 1993 wieder gehört!):
http://www.youtube.com/watch?v=o5Q7ZE3jkPM

Das erste ernstzunehmende Album (auf CD) war dann Urban Hymns von The Verve, das konnte ich mit 15 wirklich auswendig. Brit Pop war generell die Musikrichtung meiner Teenagerzeit; leider kannte ich aber niemanden, der das auch mochte. In meiner Klasse hörten alle nur die Backstreet Boys.

Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?

Auf dem letzten Konzert war ich im vergangenen Winter, da sind Placebo in Hamburg aufgetreten. Eigentlich mag ich diese riesigen Hallenkonzerte aber nicht besonders. Generell gehe ich sehr gern mal auf ein Konzert, insbesondere kleinere, gemütliche, und vor allem im Urlaub, weil man da Zeit hat und schöne fremde Dinge entdecken kann. Zum Beispiel haben wir in Istanbul Büyük ev Ablukada live gesehen, die waren super, und es gibt sogar ein Video von genau diesem Konzert online!
http://www.youtube.com/watch?v=NraPpsjsY7k

Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung?

Sehr viele musikalische Entdeckungen verdanke ich meinem wortkargen schottischen Brieffreund, der mir seit ca. 2001 regelmäßig CDs schickt. Durch ihn habe ich zum Beispiel die Counting Crows und Damien Rice entdeckt. Auch mein jüngerer Bruder hat einen ziemlich interessanten Geschmack, und mein Liebster hat praktischerweise sehr viele musikbegeisterte Freunde, die uns mit Tipps versorgen. Eine der tollsten Entdeckungen haben wir aber bei einem Zufallskonzertbesuch in Bremen gemacht: die wunderbar anarchische "Jazzpunkerin" Stephanie Nilles, die eine klassische Musikausbildung hat, aber auch mal am Klavier Busta Rhymes covert. Ihr schönstes Stück ist aber "Caution Tape" (hier ab Minute 2:20).
http://www.youtube.com/watch?v=SOcHvxd2lMw

Generell ist auf Konzerte unbekannter Künstler gehen – vor allem im Ausland – eine gute Sache! Manchmal kaufe ich dort auch CDs auf gut Glück und habe dadurch in Polen beispielsweise Karolina Cicha kennen gelernt, die mag ich sehr.

Verrate uns einen guten Song zum... 
Aufwachen:
Simon & Garfunkel: "America"
http://www.youtube.com/watch?v=W773ZPJhcVw

Tanzen:
Paolo Conte: "Elisir"
http://www.youtube.com/watch?v=xvEHrRZLxLY

Traurig sein:
Peter Licht: "Du kommst nicht mehr zurück" (da gibt’s nur dieses fürchterliche, nicht von ihm selbst gemachte Video)
http://www.youtube.com/watch?v=Bu7iT7mZIso

Sport treiben:

Wenn ich Sport mache, ist das meist Capoeira, und da muss man ja selber musizieren, das ist hier wohl nicht gemeint. Was ich mir fürs Joggen ganz gut vorstellen kann, ist Nancy Sinatra: "These Boots are Made for Walking", das passt ja auch thematisch (und man achte auf die kreativen Verben!).
http://www.youtube.com/watch?v=MnQcExGaEvk

Als nächsten Kosmoshörer wünsche ich mir:
Natürlich pitz, in der Hoffnung, viele russische Geheimtipps zu bekommen.

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