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Praktikant oder Profi?

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cMünchen – Als Erstes entschuldigt sich Andreas Hofer, 23, für den Anzug. So sehe er nicht immer aus. Der Student kommt gerade von einem Termin bei Siemens zurück ins Hauptquartier von Academy Consult, Münchens größter studentischer Unternehmensberatung. Auch am Abend herrscht hier noch reger Betrieb. Die leeren Bierkästen in der Küche deuten jedoch darauf hin, dass „Überstunden“ hier schon mal anders verbracht werden als bei McKinsey und Co.



Ein Unternehmen, das sich von Studenten ohne Praxiserfahrung beraten lässt: der internationale Baukonzern Bilfnger.

Wenn die Academy Consultans in Unternehmen auftauchen, sorgen sie gern für Verwirrung. Der Verein gibt bereits Studienanfängern die Gelegenheit, sich ins Businessoutfit zu werfen und Projekte in Firmen umzusetzen. Was klingt wie jugendlicher Größenwahn ist ein funktionierendes Geschäftsmodell: Die studentische Unternehmensberatung blickt auf rund 300 Projekte in knapp 15 Jahren zurück.

Es gibt sie also: Firmen, die sich von Studenten ohne Praxiserfahrung sagen lassen wollen, wie sie es besser machen können. Eines dieser Unternehmen ist der internationale Dienstleistungs- und Baukonzern Bilfinger. Bereits acht Mal hat die Firma in den vergangenen Jahren auf die Dienste von Academy Consult zurückgegriffen. Ein Faktor sei natürlich der Preis, sagt Michael Schmitz, Leiter der Abteilung Corporate Human Ressources. Viel wichtiger ist jedoch aus seiner Sicht, wie viel man für sein Geld bekomme. „Meine Erfahrung ist ausnahmslos“, sagt Schmitz, „dass die vermeintlich mangelnde Erfahrung der studentischen Berater durch ihre Flexibilität und Verantwortungsbereitschaft mehr als kompensiert wird.“

Während laut Schmitz Academy Consult gerade bei kleineren Projekten durchaus mit den Leistungen der großen Beraterfirmen mithalten könne, betonen die Vorstandsmitglieder Andreas Hofer, 23, und Michael Kastner, 20, selbst andere Stärken: einen frischen Blick, kein eingefahrenes Schubladendenken und die Nähe zur aktuellen Forschung. Ein weiterer Wettbewerbsvorteil: Sie werden häufig mit dem Praktikanten verwechselt. Nicht ganz ernst genommen zu werden, kann für Consultants ein Vorteil sein: „Für die Angestellten in den Firmen sind wir nicht der arrogante Berater“, erklärt Michael, „sondern ein interessierter Student.“ Dadurch seien die Mitarbeiter ihnen gegenüber offener, sprächen öfter Verbesserungswürdiges an, als sie es gegenüber den Anzugträgern von McKinsey oder der Boston Group tun würden.

Rund einhundert Studierende engagieren sich derzeit bei Academy Consult, darunter auch Lehramtsanwärter und sogar eine Theaterwissenschaftlerin: Elfi Harrasser. Die 23-Jährige sieht die studentische Unternehmensberatung als ideale Ergänzung zu ihrem eher wirtschaftsfernen Studienfach – später möchte sie im Kulturmanagement arbeiten. Bei ihrem ersten Projekt für den Verein unterstützte sie einen Singer-Songwriter bei der Vermarktung seines Albums. Neben etablierten Unternehmen berät Academy Consult auch häufiger kleine Start-Ups oder Personen, die sich die Tagessätze etablierter Berater nicht leisten können.

Bezahlt wird nur die Arbeit an externen Projekten mit Unternehmen – Academy Consult selbst darf als eingetragener gemeinnütziger Verein keinen Gewinn erwirtschaften. Alles, was sich hinter den Kulissen abspielt, etwa im Bereich Marketing oder Recruiting, erfolgt deshalb auf ehrenamtlicher Basis. Einige der Probeprojekte, die Einsteiger bei Academy Consult absolvieren, um ihre Fähigkeiten zu beweisen, unterstützen soziale Projekte. So entwickelten die Neuzugänge des vergangenen Jahres für die Caritas eine Imagekampagne zum Thema „Leben im Alter“.

Um bei Academy Consult aufgenommen zu werden, müssen sich die Studenten bewerben. Ausschlaggebend ist allerdings nicht ihr Notenschnitt, sondern ihre Motivation. Um Geld zu verdienen, sei eine Werksstudentenstelle wahrscheinlich lukrativer, wirft Andreas ein. Und auch dem Lebenslauf sei mit einem Praktikum mehr geholfen. „Aber hier bin ich Chef für 20 Leute und habe Umsatzverantwortung“, sagt der Maschinenbau-Student, gewählter Vorstand des Bereichs Kundenbetreuung. „Im Praktikum bin ich dagegen die Hilfskraft vom Dienst.“

Auch Michael, 20, der den Bereich Marketing betreut, weiß: Die Chance, ein Team aus 19 Leuten zu koordinieren, wird er nicht wieder haben. Seine erste Firma gründete er bereits in der Schule: Bei einem Schülerunternehmenswettbewerb gewann sein Lifestyle-Planer bayernweit den ersten Preis, er verkaufte 4000 Hefte. Am interessantesten findet er – wie auch Andreas – später selbst eine eigene Firma zu gründen. Laut den Organisatoren zeigt die Erfahrung: Nur rund ein Drittel der Alumni gehen nach dem Studium in die Unternehmensberatung. Genauso hoch sei die Quote an Absolventen, die später selbst ein Unternehmen gründen.

Nach dem Studium in einer Unternehmensberatung zu arbeiten, könne sich Andreas dagegen nur zeitweise vorstellen – nicht als „Endstation“. Das sei ihm zu intensiv. „Man muss sich irgendwann entscheiden, ob man arbeiten oder leben möchte“, sagt er – und nach einer Pause: „Und warum sollte ich die besten Jahre meines Lebens verbrennen?“

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