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Einsam im Turm

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Vancouver – Auf den ersten Blick ist die West 23rd Avenue in Vancouver eine gemütliche Wohngegend. Blühende Bäume, ein Grasstreifen neben der kaum befahrenen Straße, Einfamilienhäuser mit kleinen Vorgärten. Hier wohnen Rosa und Peter Stenberg in einem zweistöckigen Haus, das sie vor vierzig Jahren erwarben und seither gut instand hielten. Das Nachbarhaus ist nur sechs Jahre alt, fast doppelt so groß wie ihres, aber nicht mehr gut genug für den reichen Besitzer aus China.



Die Skyline der Stadt mit den teuersten Häusern in ganz Noramerika.

Er bot es kürzlich zum Verkauf an – für 2,5 Millionen Euro. „Das war ein erschwingliches Arbeiterviertel“, sagt Peter Stenberg, Universitätsprofessor im Ruhestand.

Diese Zeiten sind endgültig vorbei: Vancouver ist heute die Stadt mit den teuersten Häusern in Nordamerika, vor New York und San Francisco. In der west-kanadischen Küstenmetropole beträgt der durchschnittliche Hauspreis derzeit umgerechnet 920000 Euro. Es ist nicht so, dass die meisten Einwohner von Vancouver wohlhabend wären: Das durchschnittliche Jahresgehalt beträgt 47000 Euro. Vermögende aus der ganzen Welt bringen ihr Geld hierher, investieren es in Marmorwände, Alabastersäulen, goldene Wasserhähne, versinkbare Fensterfronten.

Die Stenbergs leben im Dunbar-Viertel, weil es von hier nur zehn Autominuten zur Universität UBC sind, wo Peter Stenberg bis vor kurzem lehrte. Sie bezahlten einst 40000 Euro für ihr Haus, heute wird dessen Wert auf 1,6 Millionen Euro geschätzt. Läuft man von der Bushaltestelle auf ihr bescheidenes zweistöckiges Heim zu, bemerkt man wuchtige Villen mit hohen Gartenmauern und schmiedeeisernen Toren, die die kleinen Grundstücke fast sprengen. Solche Neubauten sieht man heute in vielen Gegenden Vancouvers. Die Einheimischen nennen sie wegen ihres aufdringlichen Stils „Mausoleen“.

Die Villa auf dem Nachbargrundstück der Stenbergs ist gerade erst verkauft worden, aber die neuen Bewohner sind noch nicht eingezogen. Die Stenbergs vermuten jedoch, dass es erneut reiche Chinesen sind. Der Immobilienagent war ein Chinese. Und auch die Familie, die die Villa verkaufte, stammt aus China. „Das Haus wurde für die Bedürfnisse des chinesischen Marktes gebaut“, sagt Rosa Stenberg. In der US-Zeitschrift The New Yorker lasen die Stenbergs, dass Vancouver eine Superstar-City geworden sei, so wie London, Paris und Mailand. Ein Ort, wo Geld in Immobilien geparkt wird. Denn die drittgrößte kanadische Stadt ist sicher, schön, sauber und stabil.

Ein weiter Weg von der Holzfällersiedlung, in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur einige tausend Leute lebten. Andy Yan, ein Stadtplaner bei der Firma Bing Thom Architects, nennt Vancouver eine „Hedge City“, eine Stadt, mit der Vermögende einen Teil ihres Geldes gegen Risiken in ihrer Heimat absichern. „Vancouver ist gesellschaftlich und politisch stabil, das Klima ist ausgeglichen mit relativ milden Wintern und nicht zu heißen Sommern, und unser Schulsystem ist toll“, sagt Yan. „Und wir Kanadier sind sehr freundliche Leute.“ Während es für reiche Russen vor allem London ist und für Lateinamerikaner Miami, bevorzugen betuchte Chinesen Vancouver – wegen seiner langen Geschichte mit chinesischen Einwanderern.

Der chinesische Nachbar der Stenbergs hatte das Haus, das einst auf dem Grundstück stand, gleich abreißen lassen. In der neuen Luxus-Villa lebte seine Frau mit den drei Kindern, während der Vater weiter seinen Geschäften in China nachging. Aber nach sechs Jahren war ihm das Dunbar-Viertel nicht mehr gut genug. Die Familie zog ins prestigeträchtigere Point-Grey-Viertel. Dort sind die fünf teuersten Häuser in Vancouver zu finden. Allen voran das gigantische Anwesen des ehemaligen Lululemon-Gründers Chip Wilson, das 36 Millionen Euro wert ist.

Immer wieder werden in Vancouver gut erhaltene Häuser platt gewalzt, obwohl die Käufer in der Regel mehr als drei Millionen Euro dafür bezahlten. In Point Grey kauften Stenbergs chinesische Nachbarn ein Grundstück, rissen das Haus ab und bauten sich eine viel größere Villa. „Die reichen Chinesen wollen in total neuen Häusern wohnen“, sagt Rosa Stenberg. Im Viertel Shaughnessy, wo früher vor allem „altes Geld“ wohnte – die Nachkommen von Holzbaronen und Bergwerkmagnaten –, müssen deren Residenzen neuen klotzigen Palästen Platz machen. Die ausländischen Käufer suchen vor allem eine Investition, weniger einen Raum zum Wohnen. Die Folge sind „Zombie-Quartiere“ wie Coal Harbour, ein modernes Stadtviertel, wo laut einer Erhebung ein Viertel der Luxuswohnungen fast immer leerstehen, trotz bester Aussicht auf Wasser und Berge.

Die Stenbergs sollten, eigentlich, mit ihrem Millionen-Haus glücklich sein. Doch ihre Kinder können es sich nicht mehr leisten, in der Nähe der Eltern zu wohnen. Schon heute ist der Anteil der Mieter in Vancouver mit 52 Prozent viel höher als in Gesamt-Kanada mit 30 Prozent.

Auch Fotografin Kim Stallknecht weiß, dass sie sich nie wird ein eigenes Haus in Vancouver leisten können. Sie lebt seit über 20 Jahren im trendigen Viertel Kitsilano zur Miete. „Ich kann nicht glauben, was in meiner Stadt passiert, da können nur noch Reiche mithalten“, sagt sie. Eine ihrer Freundinnen, die anonym bleiben will, ergatterte vor elf Jahren eine kleine Wohnung mit einem Schlafzimmer. Ihr Traum wäre ein Zimmer mehr, denn sie braucht ein Büro. Doch diesen Traum wird sie sich nicht erfüllen können, sagt sie: „Der Hauskauf in Vancouver ist heute ein Blutsport.

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