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Im Auftrag des teuflischen Torwarts

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Rio de Janeiro – Es regnet in Strömen, und die Menschen auf der Rua Voluntários da Pátria strömen aus dem Schlund der Metrostation oder in ihn hinein. Rutschig und zäh ist das Gedränge in der abendlichen Rush Hour. Doch es gibt einen Ort im nassglänzenden Stadtteil Botafogo, wo sich eine Schlange besser gekleideter Leute bildet, die lang und länger wird, bis sie vorbei an den aufgeweichten Biertischen am Straßenrand und fast bis zum Metroeingang reicht. Die Menschen unter den aufgespannten Schirmen wirken aufgekratzt, das stundenlange Warten nehmen sie gern in Kauf. Es erhöht die gruselige Vorfreude: Hier, in der Livraria da Travessa wird heute das Fußballdrama des Jahrzehnts präsentiert; auf den Markt kommt das Buch Indefensável – „Unentschuldbar“, nicht zu verteidigen. Das Unentschuldbare bildet den packenden Prolog dieser WM, und das beschränkt sich nicht nur auf die halbe Tausendschaft aus der gehobenen Mittelschicht, die sich hier geduldig in Zweierreihen dem Tisch am Ende der prallvollen Bücherei entgegen schiebt. Dort signieren sich drei Autoren die Finger wund.



Die brasilianische Nationalmannschaft wird ohne Bruno spielen.

Nur der Hauptdarsteller für diesen Volksauftrieb fehlt. Das aber liegt in der Natur der Sache. Bruno Fernandes das Dores Souza ist für die nächsten Jahre verhindert, Brasiliens größte Torwarthoffnung in diesem WM-Jahrzehnt hockt hinter Gittern in Belo Horizonte, wo er an einem Besuchstag während des Confed-Cups 2013 – die Seleção mühte sich im Halbfinale mit Uruguay ab –, seiner Freundin vorjammerte: „Dort könnte ich jetzt sein.“

In der Tat. Er hätte am Montag, als die brasilianische Seleção ihre Trikotnummern für die WM verteilte, die Nummer eins abgreifen können. Ja, sollen – es gab wenig Zweifel in der Fachpresse daran, dass Bruno der beste Ballfänger des Landes ist und rasch seinen Weg in die Auswahl machen würde. Sogar der AC Mailand war 2010 auf ihn aufmerksam geworden, kurz zuvor hatte Bruno dem beliebtesten Klub im Land, Flamengo Rio de Janeiro, den Meistertitel festgehalten. Aber Bruno blieb, dem Kapitän lagen sie beim Traditionsklub so tief zu Füßen, dass selbst seine Eskapaden umstandslos zur Vereinsfolklore umgearbeitet wurde: Vom provozierenden Spiel in den Torwarthandschuhen des Marktrivalen bis zu den vielen Bacchanalien mit Schnaps, fliegenden Fäusten und leichten Mädels auf Brunos berüchtigter Farm; irgendwo im Hinterland von Minas Gerais. Bruno durfte alles. Er war das Idol von Flamengo, er war unantastbar.

Auf Brunos Farm ist im Juni 2010 dann das Ungeheuerliche passiert. Ein Mord, so scheußlich, dass sogar die Hartgesottenen unter den Polizeiermittlern sagten, ihnen sei das Blut eingefroren. Enthüllt werden musste eine Geschichte, die alles birgt, was den brasilianischen Fußballtraum (und nicht nur den) ausmacht: Der Aufstieg aus der Elendsbannmeile einer Favela in glitzernde Gesellschaftskreise, die archaische Heldenverehrung durch die Fans, der Machismo, der just in Lateinamerikas Fußball die Grundtönung ist und Maßlosigkeit zum Daseinsprinzip erhebt: rasches Geld, absurder Ruhm, Affären im Dauertakt.

Platzhirsch Bruno war immerzu mit diversen „Maria Chuteiras“ zugange. So wird jener kontaktselige Typ Groupie genannt, der auf Prominente zielt und auch hierzulande als erste Stufe der „Spielerfrau“-Karriereleiter firmiert; weiterführend zum Berufsbild Model oder B-Sternchen. Zeitweise vier Marias beglückte der verheiratete Bruno nebenher, was meist mit aufreibenden Nebeneffekten verbunden ist: Eifersucht, Schwangerschaften, Erpressungsversuche. Denn es geht immer ums Geld.

So war es auch bei Eliza Samudio. Die 25-jährige Nackttänzerin hatte Bruno auf der Party eines Flamengo-Teamkollegen kennengelernt, bei einer flotten Menage à trois verzichtete der Torwart aufs Kondom, die Dinge nahmen ihren Lauf. Eliza wurde schwanger, Bruno drängte sie – gar mit einer brutal verabreichten Substanz – zum Abbruch. Vergeblich. Trotz aller Drohungen brachte sie einen Jungen zur Welt, den sie nach dem Vater nannte: Bruninho. Der Torwart stritt die Vaterschaft für Klein-Bruno ab, wurde aber nach Eliza Samudios Klage zur Zahlung verurteilt. 3500 Reais (ca. 1100 Euro) flossen pro Monat, dazu gab es eine Mietwohnung. Für Bruno, dessen Grundgehalt bei Flamengo gut 100000 Euro betrug, eine erträgliche Belastung. Nicht ertragen mochte der jähzornige Kicker angebliche Erpressungsversuche des Nacktmodells Eliza: Mehr Geld habe sie gewollt, und damit gedroht, ihre Geschichte in der Presse auszubreiten. Es gab auch heftige Szenen in Flamengos Teamquartier.

All das passte nicht in Brunos Welt. Der Junge aus Ribeirão das Neves, dem Elendsquartier von Belo Horizonte, hatte seinen Vater nie kennengelernt, die Mutter verstieß ihn nach der Geburt; aber jetzt war er unterwegs in die bessere Gesellschaft. Der Status als Idol jenes Klubs, in dem fast jeder Junge Brasiliens gerne spielen würde, und dessen schwarzrot-gestreifte Leibchen das deutsche Nationalteam für diese WM listig als Nationaltrikot adaptiert hat, um die Sympathien im Veranstalterland auf sich umzuleiten – dieser Status hatte ihm die Tür geöffnet; verbunden hatte er sich mit einer Zahnärztin. Die neue Frau sollte nichts erfahren von der folgenschweren Dreier-Geschichte. Anfang Juni 2010 verschwand Eliza spurlos. Sie war zuletzt auf Brunos Farm gesehen worden.

Der Verdacht fiel früh auf Bruno, aber vorerst blieb er unantastbar, während die Medien den Fall tagtäglich zu einer monströsen Fortsetzungsstory aufbliesen: Ein Mordfall ohne Leiche, im Zentrum einer der prominentesten Kicker des Landes. Und dann die gruselige Aufklärung, die nach Brunos Verhaftung und vor Gericht zutage trat: Ein Auftragsmörder, ein ehemalige Polizist mit dem Spitznamen OBola – der Ball – hatte Eliza beseitigt. Ein Martyrium. Die erneut schwangere Frau war monatelang beobachtet und telefonisch bedroht worden; ehe sie auf Brunos Boden landete, dort tagelang gefoltert und schließlich erstickt wurde. Gefunden wurde die Leiche nie. Der Killer soll sie an seine Kampfhunde verfüttert haben.

Den Auftrag hatte OBola aus Brunos Umfeld erhalten, von Luiz Enrique Romarão. Dieser, genannt Maccarrão, war die hündisch ergebene rechte Hand des teuflischen Torwarts. Als es eng wurde, wies ihn Bruno sogar brieflich an, „Plan B“ zu aktivieren und alle Schuld auf sich zu nehmen. Doch der Brief wurde abgefangen. Und der Torwart war geschlagen.

Klein-Bruno lebt bei der Oma. Eines Tages, sagt sie, werde er wissen wollen, wer sein Vater ist. Das kann ihm heute ganz Brasilien beantworten.

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