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Was hältst du von meinen Beats? - Über POP-Titane, Psychopathen, Genie und Wahn

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"Setz dich mal! Hier, hör dir mal den Beat an!" Er drückt auf "Play", und lässt seinen Blick fortan nicht mehr von meinem Gesicht ab. "Hrummsch-Batsch-Hrummsch-Rumsch-Batsch..." Der Beat hört sich an, als hätte jemand eine Scheibe Schleifpapier aufgelegt. Ich versuche ein freundliches Lächeln aus mir heraus zu quetschen, wodurch dieses Lächeln irgendwie leicht gesäuert rüber kommt.

"Und, was hältst du davon?... ja, gut, ich sehe schon, gefällt dir nicht..."

Ach, da war ja was. Hab ich ganz vergessen: Der Typ hatte ja ständig meinen Gesichtsausdruck in Visier. Wozu fragt er dann überhaupt, wenn er die Antwort ohnehin an meinem Gesicht ablesen kann?

"Aber hier - hör dir mal den hier an! Hab ich zusammen mit meinem Cousin gemacht! Krass, oder?"

Er drückt wieder auf "Play", und fängt wieder an, mein Gesicht zu mustern. Ich lausche hin. "Hrummsch-Batsch-Batsch-Hrummsch-Rumsch-Batsch..." Ich versuche verzweifelt irgendwas zu finden, wofür man den Typen - und diesmal ist ja auch noch sein Cousin beteiligt - loben könnte. Und sei es nur die HiHat, die diesmal etwas wohlklingender, geordneter erscheint...

"Batsch-Hrummsch-Rumsch-Batsch..." Nee, Sorry, überhaupt nicht mein Fall. Vielleicht gibt es Leute, die solche Art von Musik mögen und schätzen - ich gehöre da jedenfalls nicht dazu. Jetzt stellt sich nur die große Frage, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskomme, ohne ihn und seinen Cousin zu beleidigen. Mal überlegen...

Komm, Igor, jetzt sei nicht so streng! Der Typ fängt doch gerade erst an. Und du? Du machst es schon seit 17 Jahren. Wie war das denn bei dir, als du deine ersten Beats komponiert hattest? Hattest du etwa schon gleich am Anfang musikalische Glanzleistungen hingelegt? Ganz sicher nicht, oder?

Obwohl, zugegeben, du hattest auch nicht Jedermann mit deiner Scheisse genervt: "Hier, hör mal zu, wie findest du meinen neuen Beat? Jetzt sag schon! Wie findest du es? Jetzt sag schon! Sag schon! Wie findest du es?! Und wehe, du sagst, 'es gefällt mir nicht'! Wehe!!!"

Mein Gedankengang wird durch eine plötzlich aufkommende Stille unterbrochen. "Was los?", frage ich. "Nichts. Nichts ist los!"

Griesgrämig packt der Typ seinen MP3-Player zusammen und zieht seine Jacke an. "Na gut", denke ich, "wenn 'nichts' los ist - umso besser." Ich stehe auf und begleite ihn zum Ausgang. Da dreht er sich auf einmal um und fragt: "Aber jetzt sag mal ganz ehrlich: Wie fandest du meine Beats?"

Mann. Das sind genau diese Momente, die ich so sehr hasse. Die kosten so viel Kraft, psychische Kraft. In solchen Momenten wäre ich am liebsten jemand wie der "POP-Titan" Dieter Bohlen: "Ey, Junge, weißt du was - du nervst. Du nervst, und zwar ganz gewaltig! Willst du unbedingt wissen, was ich von deinen Beats halte? Ich sag's dir: Deine Beats sind der letzte Dreck. Jetzt mal ganz ehrlich! Ach, was heißt hier 'der letzte' - der aller-aller-aller-allerletzte Dreck! Du hast es einfach nicht drauf. Du bist unkreativ, du bist unmusikalisch, du bist unbegabt, und du siehst auch noch scheisse aus. Du willst unbedingt, unbedingt Beats machen, weil du denkst, du kommst damit in ein paar Monaten ganz groß raus, und wirst dann so wie Bushido. Aber weißt du was – hör auf zu träumen, mein Junge. Denk lieber an deine Zukunft. Du bist jetzt Anfang-Mitte 20. Ich gebe dir einen guten Tipp: Mach die Schule fertig, mach eine Ausbildung, und geh arbeiten, wie jeder andere auch! Und das mit den Beats und Bushido und so weiter - vergiss es einfach! Du wirst es nicht schaffen! Dazu fehlt dir schon die Veranlagung. Verstehst du! Du bist einfach unbegabt, fertig, aus. Schlag dir das aus dem Kopf..."

Mit einer solchen Antwort hätte ich gleich mehrere Fliegen mit einer Klatsche erledigt.

Erstens wäre der Typ mit Sicherheit nie wieder aufgetaucht, um mich mit seinen Homegrown-Shit zu nerven. Ich habe ja nichts gegen einen guten Homegrown. Aber diese Massen an jungen Leuten, die zu mir kommen, um mir ihre ersten selbstkomponierten Tracks vorzuspielen (und dabei genauestens meinen Gesichtsausdruck zu mustern). Das ist unglaublich, unglaublich anstrengend. Man fühlt sich regelrecht überrannt, in Beschlag genommen. Als hätte irgend jemand von dir Besitz ergriffen, und du hättest mit einem Schlag keinen eigenen Willen, keine Rechte mehr. Als ob man in die Fänge eines Psychopathen geraten wäre. Ja, genau so fühlt sich das nämlich an.

Was ja einerseits überaus positiv ist, denn Psychopathie (sowie andere psychische Störungsmuster) ist der beste Indikator für ein eventuell vorhandenes, wahres Talent. Wie gesagt: Für ein "eventuell" vorhandenes. Aber die Möglichkeit ist in dem Fall durchaus gegeben. Man denke da nur an das Sprichwort "Genie und Wahn" - es hat in der Tat sehr viel Wahrheit inne; viel mehr, als es einem Normalsterblichen in aller Regel bewusst ist.

Doch Psychopathie (sowie andere psychische Störungsmuster) beinhaltet auch gleichzeitig den Umstand, dass dieser Mensch in den meisten Fällen mittelgradig bis extrem anstrengend ist. Das fängt schon damit an: Plötzlich MUSST du alles liegen und stehen lassen, und du MUSST diesen Song hören, und du MUSST ihn bewerten, und du hast gefälligst nichts Anderes zu wollen. Was du zuvor so getrieben hattest, wie dein Tag so war, und was dich in den kommenden Tagen so alles erwarten wird, ist für einen derartigen Menschen nicht vom geringsten Interesse. Ihn interessiert nur eines: Er und seine Beats. Und du, aber nur am Rande, in der Funktion als Bewerter. Am Besten als Jemand, der immer schön brav in die Hände klatscht und vor lauter Erquickung und Entzückung sich kaum auf den Beinen halten kann – egal, was gerade gespielt wird.

Auf jeden Fall sollten deine Bewertungen nach Möglichkeit nicht negativ ausfallen. Es sei denn, du willst einen ausgeflippten Menschen in deiner Wohnung haben, der dich beleidigt, erniedrigt, bedroht, einschüchtert, erpresst, oder einfach alles kurz- und kleinschlägt. (Wenn man schon so töricht ist, einen solchen Menschen in seine Wohnung zu lassen. Leider sind die meisten Normalsterblichen erst dann richtig auf dem Laufenden, wenn es bereits zu spät ist.)

Ich persönlich habe nichts gegen Psychopathen. Im Gegenteil. Ich pflege sogar regelmäßig Umgang mit ihnen, bedingt alleine schon durch unser gemeinsames Interessengebiet: Die Musik. (Ob auch ich psychopathische Züge habe, bleibt natürlich weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln.)

Vorzüge hin, Vorzüge her: Der Umgang mit genial-wahnsinnigen Menschen ist und bleibt anstrengend. (Und mit einfach-wahnsinnigen Menschen natürlich auch.) Und das Schlimme dabei ist: All diesen Nachwuchskünstlern scheint das irgendwie nicht in den Kopf rein zu gehen. Die fragen sich dann: Was ist los mit ihm? Wieso ist es für ihn auf einmal anstrengend, sich MEINE Beats anzuhören?

Aber - irgendwie sind wir jetzt ziemlich weit vom eigentlichen Thema abgeschweift. Und das eigentliche Thema war: Was wäre gewesen, wenn ich jetzt der "POP-Titan" wäre, und unserem Nachwuchskünstler einen ordentlichen verbalen Einlauf verpasst hätte. Dann hätte ich gleich mehrere Fliegen mit einer Klatsche erledigt. Erstens hätte ich, wie bereits angesprochen, den Nachwuchskünstler ziemlich schnell vom Halse, und er würde auch garantiert nicht mehr wieder kommen.

Zweitens hätte er all seinen Musiker-Kumpels von dem Vorfall erzählt. Das heißt, mich würde in Zukunft wirklich niemand mehr nerven.

Und drittens hätte ich ihn davor bewahrt, einen unglaublich dummen Fehler zu begehen: Dass er nämlich seine gesamte künftige Freizeit und Energie auf das Beat-Programmieren verplempert, in der Hoffnung, er würde eines Tages Bushido-mässig ganz groß rauskommen. Anstatt seine Freizeit und Energie auf etwas zu konzentrieren, was ihn wirklich voran bringen würde: Schule, Ausbildung, Beruf. Er weiß natürlich nicht, dass ich meinen Schulabschluss und meine Berufsausbildung samt Weiterbildungszertifikaten und Arbeitszeugnissen schon längst in der Tasche habe. Da kann man sich natürlich entspannt zurück lehnen und einen auf Dr. Dre machen. Denn sollte es mit der Musik doch nicht klappen, kann ich ja jederzeit wieder in meinen Beruf einsteigen.

Aber wann hätte ich ihm das alles erzählen sollen? Ich kam doch gar nicht dazu. Im Moment interessiert ihn sowieso nur dieses eine Thema:

"Wie fandest du meine Beats?"

Hmm. Wie fand ich seine Beats... Tja, was soll ich jetzt machen. Ich bin nicht der "POP-Titan". Ich bin ich: Ein netter, junger Mann, der so nett ist, dass er nichtmal zu einer ehrlichen, direkten Antwort fähig ist. Denn diese Antwort würde unweigerlich "Scheisse" lauten.

"Hmmm. Deine Beats... Nun ja.. Was soll ich sagen... Hmm... Also ich fand den zweiten Beat etwas besser wie den Ersten. Der Erste hat mir persönlich jetzt nicht so sehr gefallen, wenn ich ehrlich bin. Aber wie gesagt: Es ist meine Meinung, mein Geschmack. Geschmäcker sind ja unterschiedlich, das weißt du ja..."

"Und was hat dir an dem zweiten Beat besser gefallen wie an dem ersten?"

Boah ey, jetzt geht‘s los. Jetzt komm ich aus dieser Nummer überhaupt nicht mehr raus. Das wird jetzt mindestens ne halbe Stunde dauern, dieses Gesülze....

Ich blicke auf die Uhr. "Weißt du was - dieses Gespräch würde jetzt etwas länger dauern. Und ich hab jetzt gleich einen Termin." (Was nichtmal gelogen war, ich hatte tatsächlich einen.) "Aber Eines vorab: Ich fand beim zweiten Beat die HiHat etwas besser platziert. Es hatte mehr Rhythmus irgendwie. Aber wie gesagt - es würde jetzt viel zu lange dauern, um mit dir all die Einzelheiten zu besprechen..."

Früher, als Kind, und auch noch später als Jugendlicher, war ich noch anders drauf. Da kam "Diplomatie" in meinem Wortschatz noch nicht vor. Ich war zwar nicht so ekelhaft wie der "POP-Titan". Sonderlich zimperlich war ich aber auch nicht.

Wie hätte ich damals, in so einer Situation reagiert? Hmm... Mal überlegen... Auf jeden Fall hätte ich gesagt: "Weißt du was: Deine Beats sind scheisse. Und du bist auch scheisse. Und jetzt verpiss dich mal, ich hab noch was zu tun!.."

Ja, so war das früher bei mir. Bis ich 18 wurde. Und dann hieß es plötzlich: Erwachsen werden. Verantwortung übernehmen. Mit erwachsenen Menschen kommunizieren. Konsequenzen tragen. Auf einmal hatte ich hier Hemmungen, und da Beklemmungen, und so weiter, und so fort...

"Ey, Junge, weißt du was!" - die Stimme des Nachwuchskünstlers unterbricht meine Gedanken und holt mich wieder zurück, in diese ekelhafte Situation, die ich so gerne beendet hätte. "Weißt du was! Ich sag dir mal was. Ich hab dir jetzt zwei Beats von mir vorgespielt. Zwei Beats. Von mir, und von meinem Cousin. Wir haben zusammen zwei Stunden lang an dem Beat gefeilt und geschraubt. ('Wow', denke ich mir. 'Ich habe an meinen Beats bis zu vier Wochen gefeilt und geschraubt. Aber rede ruhig weiter, ich bin ganz Ohr...') Wir haben diese Beats allen unseren Leuten vorgespielt. Und weißt du, was die Leute alle gesagt haben? Sie haben gesagt: 'Hammer, Junge, Hammer. Wirklich. Bombe! Absolut Bombe! Fast so gut wie Bushido!' ('Oh mein Gott!', denke ich, 'das ist jetzt nicht wahr, oder?')

Dann komm ich zu dir. Und du kriegst nichtmal das Maul auf. Und wenn du das Maul aufkriegst, dann nur um mir zu sagen, dass beim zweiten Beat irgendeine HiHat besser gesetzt ist, oder was?

Ey Junge, was für eine HiHat? Erzähl mir doch nicht so eine Scheisse! Ich mach das jetzt seit 5 Jahren! ('Oooooh Shiiiiit! Seit 5 Jahren machst du das jetzt schon?! Na da hätte der 'POP-Titan' auf jeden Fall eine Freude mit dir!..')

...da ist nämlich überhaupt keine 'HiHat' oder sowas drinn! Da ist eine 'CL' drinn, und das war's dann auch schon! ('CL' - damit meint er sicherlich die 'Closed HiHat'. Er hat wohl die Beschriftung 1 zu 1 von irgend einer 808-Sampling-CD übernommen. Aber rede ruhig weiter. Ich bin ganz Ohr. Mir hat’s nämlich langsam echt die Sprache verschlagen...)

...Und du erzählst mir was über 'HiHat'... Meine Fresse... Aber daran kann man erkennen, dass du in Wirklichkeit überhaupt keine Ahnung von Musik hast. Du kannst nur die Sachen Anderer schlecht reden. Und mehr kriegst du nicht auf die Reihe!

Alle sagen, dass unsere Beats Bombe sind. Nur du behauptest etwas anderes. Und weißt du warum - weil du in Wirklichkeit nur deine eigene Mucke gut findest. Nur deine eigene. Komm, gib's doch zu, Alter!"

Um das literarische Niveau dieser Erzählung halbwegs in Schwung zu halten, endet mit der letzten Zeile auch offiziell die Geschichte. Demjenigen Leser, der sich für den tatsächlichen Ausgang interessiert, möchte ich noch kurz darüber berichten.

Nachdem das Nachwuchstalent das Wort "Alter" zu ende ausgesprochen hat, ergriff augenblicklich der kindliche-jugendliche Igor von mir Besitz. Das ist, zur Erinnerung, Derjenige, in dessen Wortschatz "Diplomatie" noch nicht vorkommt.

Es war ein kurzer Prozess. Kurz und schmerzlos. Binnen einer Minute war der Typ draußen. Er ist freiwillig rausgegangen. Draußen hat er dann noch eine Weile herumgebrüllt und herumgepoltert, und dann verstummten allmählich seine Lebenszeichen. Was ich ihm zum Abschied mit auf den Weg gegeben habe, möchte ich hier nicht aufzählen. Denn es würde das literarische Niveau dieser Erzählung vollends in den Keller drücken.

Nachdem der Tumult zu ende war, setzte ich mich auf das Bett, und holte mein aktuelles Lieblingsbuch heraus: "Meister und Margarita" von Michael Bulgakow. In dem Buch findet sich etwas weiter hinten eine Sammlung an wunderbaren Kurzgeschichten. Zufällig erwischte ich genau die Richtige:

"Ich war zu Besuch bei (einem großen russischen Schriftsteller, werde den Namen in Kürze hier einsetzen). Seine Haushälterin öffnet mir die Tür und führt mich durch's Haus. Beim Durchgehen fängt sie auf einmal an, sich laustark über die ganzen Nachwuchs-Literaten zu beschweren, weil sie dem Meister wohl die letzte Kraft geraubt hatten. 'Hier, meine neue Geschichte; hier, mein neuer Roman... Das MÜSSEN Sie lesen, unbedingt! Und er war ja immer so nett, und hat stets gesagt: Ja, ist gut, lassen Sie es hier, ich werd es durchlesen, und es dann mit Ihnen besprechen. Wäre er doch bloß so gewesen wie (ein anderer großer russischer Schriftsteller, werde seinen Namen in Kürze hier einsetzen) Er hat diesen Leuten immer gleich direkt gesagt: Sie können nicht schreiben, und werden es auch niemals können, denn Sie sind kein Schriftsteller. Und jetzt machen Sie, dass Sie hier rauskommen!'"

Die folgenden Tage habe ich überlegt, ob ich mir ein T-Shirt anfertigen soll mit dem Aufdruck: "Ich will deine Beats nicht hören!" Als ich dann wieder runter kam, verwarf ich diese törichte Idee glücklicherweise wieder. "Nein, mit dieser Einstellung würdest du dich abkapseln und verschließen, und eventuelle Talente verpassen. Also halte deine Ohren weiterhin immer schön offen, und gib den Nachwuchskünstlern die Chancen, die du damals nie bekommen hattest. Aber du solltest endlich mal lernen, ehrliche Kritik zu üben. Ehrliche Kritik, die nicht vernichtend ist..."

Igor K

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