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„Am Ende profitieren alle davon“

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Blickt Ulrich Wilhelm, 52, aus seinem Büro im 15. Stock des Funkhauses zur Theresienwiese, sieht er ein Riesenrad. In München ist Frühlingsfest. Ein Rummel bietet vieles, was aus der Zeit gefallen scheint – und ist doch weiter attraktiv. Dafür müssen die Betreiber der Fahrgeschäfte in Neuheiten investieren. Dem Intendanten des Bayerischen Rundfunks geht es ähnlich: Er muss das Radio modernisieren, damit es weiter geschätzt wird. Darum setzt Wilhelm sich für die Umstellung auf eine digitale Verbreitung ein. Weil dem Sender zudem junge Hörer fehlen, soll BR-Klassik seine UKW-Frequenzen 2016 an die Jugendwelle Puls abtreten und nur noch ein Digitalsender sein. Der Protest ist deutlich.



Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm (Mitte), steht hier bei der Jubiläumsgala zum 25-jährigen Bestehen des Radiosenders Antenne Bayern. Im Interview spricht er über seinen Plan, statt Klassik eine Jugendwelle zu senden.

SZ: Wenn man verfolgt, mit welcher Konsequenz Sie BR-Klassik um seinen UKW-Platz bringen wollen, könnte man annehmen, Sie mögen keine Klassik.
Ulrich Wilhelm: Im Gegenteil. Ich komme aus einer klassikbegeisterten Familie, es gibt keinen Tag, an dem ich nicht klassische Musik höre. Über CD und natürlich bei uns im Programm. Ich versuche auch, viel in Konzerte oder die Oper zu gehen.

Bereits 50000 Menschen sprechen sich in einer Petition gegen die Verlegung des einzigen richtigen Klassiksenders der ARD ins Digitale aus. Irren die alle?
Viele sind – so meine Befürchtung – nicht umfassend informiert. Wenn Menschen aus Kalifornien oder Hamburg protestieren, wundere ich mich schon: Über UKW wird BR-Klassik dort nicht verbreitet, sondern bereits heute digital. Ich stehe dafür, dass wir dieses großartige Klassikerbe, das der BR über Jahrzehnte aufgebaut hat, weiter pflegen. Deshalb schmerzt es mich, wenn es für möglich gehalten wird, dass wir mit diesem Weg eine Kulturvernichtung auf den Weg bringen. Ich habe, seit ich ins Amt gekommen bin, enorm in die Klassik investiert. Sie ist der einzige Bereich, der vom Sparkurs unseres Hauses ausgenommen ist und mehr bekommt.

Dennoch kommt Kritik selbst aus dem BR. Sogar der Chefdirigent Ihrer Symphoniker, Mariss Jansons, ist dagegen.
Mit Maestro Mariss Jansons bin ich seit einem halben Jahr in einem intensiven Gespräch. Er und seine Musiker setzen auf mittlere Sicht ganz entschieden auf die Digitalisierung. Wo sie zunächst noch skeptisch sind, ist, ob es uns gelingt, in den nächsten Jahren schon die Zuhörer mitzunehmen.

Ihnen muss es erst einmal gelingen, den Rundfunkrat mitzunehmen, der darüber entscheiden muss. Haben Sie den schon von Ihrem Plan überzeugt?
Wir werden in den kommenden zwei Wochen intensiv alle Aspekte erörtern. Selbstverständlich respektiere ich, dass es da unterschiedliche Auffassungen gibt. Am Ende werden wir zu einer guten, wohlbegründeten Entscheidung kommen.

Seit 20 Jahren wird das digitale Antennenradio DAB entwickelt, Millionen D-Mark und Euro wurden von öffentlich-rechtlicher Seite investiert. Das Netz mag ausgebaut sein, akzeptiert ist noch gar nichts. Wie kann das sein, dass in Deutschland heute nicht einmal fünf Prozent der Radiohörer ein DAB+-Gerät haben?
Was wir brauchen, ist der digitale Dreiklang von Netzabdeckung, Geräteversorgung und Inhalten. Nur wer Digitalradio auch wirklich empfangen kann, wird sich ein entsprechendes Gerät zulegen. Noch größer ist der Ansporn, wenn ich dabei auch einen echten inhaltlichen oder qualitativen Mehrwert bekomme. In allen drei Punkten haben wir jetzt – anders als früher – entscheidende Erfolge erreicht. Unabhängig davon erleben wir einen schnell voranschreitenden Netzausbau beim mobilen Internet, das ist der größte Wachstumstreiber der Digitalisierung. Jetzt haben wir es in der Hand, dem guten alten Radio auch in der digitalen Welt eine echte Zukunft zu geben.

Wenn das Internet besser wird, wozu braucht das Radio ein eigenes Netz?
Wir wollen zum Beispiel nicht, dass ein Internetdienst unser Programm auseinanderpflückt und nur die populärsten Sendungen bringt. Wir glauben fest an die Notwendigkeit eigener Netze. Die Rundfunktechnologie über DAB+ ist auch im digitalen Zeitalter eine sehr wirtschaftliche Lösung, um Audio-Inhalte möglichst kostengünstig an möglichst viele Menschen zu bringen. Diskriminierungsfrei nutzbar von jedem, ohne Eingriffsmöglichkeiten für Dritte und auf maximal möglichem Datenschutzniveau.

Es könnte sein, dass das Klassikhörern in diesem Moment sehr egal ist.
Wir bieten ihnen doch auch etwas, vor allem den Mehrwert einer guten Klangqualität. BR-Klassik wird auf DAB+ in einer Qualität ausgestrahlt, die vom menschlichen Ohr im Allgemeinen nicht von CD-Qualität zu unterscheiden ist und weit über der von UKW liegt, selbst bei günstigen Geräten, solange diese gute Lautsprecher haben.

Experten zweifeln das an.
Das ist eine Frage der Bandbreite, die wir senden. BR-Klassik ist hier bewusst besonders komfortabel ausgestattet. Ich höre im Auto und Zuhause DAB+, es überzeugt mich, auch im Vergleich zu UKW. Nicht zufällig ist BR-Klassik schon heute der BR-Sender mit dem höchsten Digitalisierungsgrad. Mehr als 40 Prozent der Nutzung läuft schon über digitalen Satellit, digitales Kabel oder über DAB+.

Gesetzlich darf der BR nur fünf UKW-Stationen belegen. Der Staatsrechtler Christoph Degenhart sagt, dass der Rundfunkstaatsvertrag Ihnen verbiete, einen Digitalsender auf UKW zu heben.
Unser juristischer Direktor Albrecht Hesse ist einer der führenden Rundfunkrechtler in Deutschland, der die Frage sorgfältig geprüft hat. Zusätzlich haben wir ein Gutachten des Staatsrechtlers Joachim Wieland, der es auch für zulässig hält. Entscheidend ist dabei die verfassungsrechtlich gewährleistete Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der die Möglichkeit haben muss, sich programmlich und technisch weiterzuentwickeln, um seinen Auftrag für die gesamte Gesellschaft erfüllen zu können.

Haben Sie als öffentlich-rechtliche Anstalt nicht die Pflicht, den Zugang zum Kulturgut Klassik zu schützen?
Wir schützen sie doch, indem wir in sie investieren, eine bessere Klangqualität liefern. Die Netzabdeckung auf DAB+ für BR-Klassik wird in Bayern 2016 besser sein als über UKW. Darüber hinaus machen wir Zusatzangebote wie eine digitale Konzerthalle, in der Aufführungen abgerufen werden können. Wir erschließen der Klassik damit neue Hörerkreise. Wir schieben die Klassik nicht ins Nirwana, wie manche behaupten. Das wichtigste Argument für den Frequenztausch mit Puls ist der besorgniserregende Generationenabriss – für uns eine Existenzfrage. Auch junge Leute müssen bei uns eine Heimat finden. Die Verfassung schreibt uns vor, ein Angebot für die ganze Bevölkerung und alle Altersgruppen zu machen.

Die Privatsender fürchten die Konkurrenz, wenn Sie mit Puls auf UKW senden.
Puls ist kein Hitradio, wie viele Private eines betreiben. Puls ist kein Mainstream, sondern ein anspruchsvolles Programm für Hörer unter 30 mit mehr als 25 Prozent Wortanteil und Musik, die man sonst nirgendwo hört. Bei vier von fünf Sendern des BR sind die Hörer älter als 50, selbst bei Bayern 3 sind sie im Schnitt 43. Puls ist keine Konkurrenz für die Privaten, aber ein ideales Zugpferd für junge Marken im Programm des BR. Ich habe mit vielen Verantwortlichen beim Privatradio gesprochen, ich kenne keinen, der grundsätzlich gegen den Ausbau von DAB+ ist. Sie sagen mir aber schon, dass die öffentlich-rechtlichen Sender der Schrittmacher sein müssen, damit der Durchbruch kommt. Das sind wir. Am Ende profitieren alle davon, DAB+ kostet die Sender ein Drittel weniger als UKW und ist volkswirtschaftlich 40 Mal effektiver als eine Verbreitung über Mobilfunk.

Viele Jugendliche hören sowieso nur noch Radio über das Internet.
Das ist falsch. Jugendliche hören noch immer sehr viel UKW-Radio, während die Fernsehnutzung deutlich zurückgegangen ist. Ohne Verbreitung auf UKW werden wir für Puls nie die erforderliche Grundbekanntheit schaffen. Das ist die Erfahrung aller Sender der ARD, von denen heute einzig der BR keine junge Welle auf UKW anbietet. Wenn die Marke bekannt ist, wird sie auch im Netz gefunden. BR-Klassik hat dagegen schon jetzt eine ganz starke Gemeinde und ist eine Marke, die ihre Hörer ins Digitale mitnehmen wird. Bei dem Tausch geht es für uns um eine existenzielle Frage, wir heben einen Jugendsender auf UKW, weil wir uns nicht die Zukunft verbauen wollen.

Man hat das Gefühl, dass sich neben Ihnen nur Willi Steul, der Intendant des Deutschlandradios, für DAB+ einsetzt.
Ich glaube, das täuscht. Der MDR und der SWR sind sehr weit, auch der WDR hat heute schon eine Netzabdeckung von über 90Prozent in Nordrhein-Westfalen. Wir haben einen Grundsatzbeschluss der Intendanten aus diesem Jahr, dass wir alle auf DAB+ setzen. Wir werden also alle unser Netz ausbauen, das ist kein Lippenbekenntnis. Es wäre auch Unsinn, es nicht zu tun. In Europa wird DAB+ mittelfristig Standard sein. Die BBC setzt darauf, die Schweiz und Polen, Norwegen schaltet UKW voraussichtlich 2017 ab. Ich glaube nicht, dass Deutschland einen Alleingang geht und sagt: Wir verschließen uns dem Fortschritt. Die Millionen, die wir schon in die Digitalisierung investiert haben, vergessen wir jetzt mal.

Herr Steul schlägt 2025 als Abschaltdatum vor. Was ist Ihre Vision?
Die ARD ist eine Gemeinschaft, da ergibt es keinen Sinn, wenn jeder Intendant ein eigenes Abschaltdatum nennt. Bayern wird im Laufe des Jahres 2016 an der Spitze des Netzausbaus in Deutschland liegen. Wir werden die Zahl unserer DAB-Sender in den kommenden zwei Jahren nahezu verdoppeln. Das hängt auch damit zusammen, dass Radio hier einen besonders hohen Stellenwert hat. Die Bayern hören mehr Radio als der Bundesdurchschnitt, sie sehen dafür aber weniger fern.

Sie könnten 2016 also UKW abschalten?
Darum geht es nicht. Wir können nicht irgendwelche Abschaltdaten nennen. Das ist eine nationale Frage. Aber 2016 werden die Menschen in Bayern DAB+ praktisch überall empfangen können wie UKW und dies zu schätzen wissen.

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