Die CDU lebt, im Gegensatz zu den Grünen, auf Kosten ihrer Zukunft.
Politik ist ein undankbares Geschäft, und Demokratie nicht immer gerecht. Darunter hat schon manche Partei gelitten; in diesen Tagen trifft die bittere Erkenntnis die Grünen. Da kungelt die CDU-Spitze ihr Wahlprogramm im Geheimen aus, selbst Vorstandsmitglieder haben noch keinen Entwurf gesehen. Einen Parteitag soll es auch nicht geben. Die Basis hat nichts zu sagen. Doch es gibt keinen Aufschrei, die CDU-Führung kommt mit ihrem vordemokratischen Verhalten durch. Stattdessen ergießt sich ausgerechnet über die Grünen Häme.
Die grüne Partei hat ihr Programm von allen Delegierten beschließen lassen, die Spitzenkandidaten wurden per Urwahl bestimmt. Und jetzt haben die Mitglieder sogar darüber entscheiden dürfen, mit welchen Themen der Wahlkampf bestritten wird. Mehr Demokratie geht kaum. Doch weil bei dem Mitgliederentscheid die Lieblingsthemen der Grünen-Spitze nicht oben landeten, muss diese sich jetzt im ganzen Land als basisfern verspotten lassen. Angela Merkel - die CDU-Spitzenkandidatin durch Selbstausrufung - macht derweil unbehelligt Wahlkampf. Zahlt sich Mitbestimmung am Ende also gar nicht aus? Oder anders herum gefragt: Wie viel direkte Demokratie brauchen Parteien, um erfolgreich zu sein?
Wahlhelfer der Grünen bei einer Urwahl.
Für die meisten Bürgerbewegten ist die Antwort klar: möglichst viel. Und ein Blick auf die Zahlen scheint ihnen ja auch recht zu geben. Die CDU hat seit der Wiedervereinigung mehr als 40Prozent ihrer Mitglieder verloren, die Grünen haben fast 50Prozent gewonnen. Und sind die Piraten nicht vor allem deshalb entstanden, weil Zehntausende endlich eine politische Heimstatt wollten, in der jeder mitentscheiden darf? Kärrnerarbeit in Ortsvereinen und Hinterzimmer-Debatten über Ortsumgehungen begeistern heute kaum noch einen. Mitglieder wollen auch über die großen Themen der Zeit entscheiden dürfen; das gilt vor allem für die Jungen. In der CDU dürfen sie das nicht. Kein Wunder also, dass das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder bald 60 sein wird.
An dem Wunsch nach mehr direkter Demokratie ist also gar nichts auszusetzen - im Gegenteil. Mitbestimmung belebt Parteien. In großen Teilen des linken Spektrums herrscht aber eine fast heilsverklärte Sehnsucht nach direkter Demokratie. Um so schmerzhafter sind dann die Begegnungen mit der Wirklichkeit. Das erlebt gerade die Grünen-Spitze. Auch der SPD sind derlei Erfahrungen nicht fremd: Die einzige Urwahl eines Parteichefs bescherte den Sozialdemokraten den Unglückswurm Rudolf Scharping. Und die Piraten mitbestimmen sich gerade zu Tode. Dass "mehr Demokratie wagen" in der Praxis nicht so einfach ist, wusste schon Willy Brandt. Von dem Urvater der Mitbestimmung ist der Seufzer überliefert, Demokratie dürfe "nicht so weit gehen, dass in der Familie darüber abgestimmt wird, wer der Vater ist".
Brandt kannte seine Genossen. Er wusste, dass sich das Verlangen vieler Linker nach direkter Demokratie auch daraus speist, dass man sich für den Vorkämpfer der wahren Mehrheit hält. In manchen Debatten mag das auch so sein. In diesem Jahr etwa in der Auseinandersetzung um den Krippenausbau, das Betreuungsgeld oder die steuerliche Gleichstellung von Homo-Ehen. Bei vielen Themen gilt das aber nicht. Eine verbindliche Frauenquote oder ein Adoptionsrecht für homosexuelle Lebenspartner lehnt die Mehrheit der Deutschen ab. Das muss nichts heißen. Schließlich hat die Mehrheit nicht immer recht - ansonsten bedürfte es ja auch keines Verfassungsgerichts. Aber wer Mehrheiten falsch einschätzt, erlebt unliebsame Überraschungen. Das mussten die S21-Gegner bei der Volksabstimmung über den Bahnhof erleben. Auch die rot-grünen Gegner der Untertunnelung des Mittleren Rings in München konnten ihre Niederlage beim Bürgerentscheid kaum fassen.
Die Merkel-CDU hat sich angesichts dieser Risiken dafür entschieden, auf direkte Demokratie gleich komplett zu verzichten. Die Mitglieder durften sich jetzt zwar an einer "Mitmachaktion" im Internet beteiligen, entscheiden konnten sie dabei aber nichts. Kurzfristig wird die CDU mit dieser Ignoranz gegenüber ihrer Basis Erfolg haben. Bisher gibt es keine offene Kritik am Kurs der Parteiführung, diese Ruhe hilft im Wahlkampf. Stattdessen muss sich die Grünen-Spitze prügeln lassen. Langfristig dürfte der CDU die Ignoranz aber erheblich schaden. Wenn Merkel abtritt oder abgewählt wird, wird ihre Partei wegen sedierter Mitglieder und totaler Konturlosigkeit in eine gewaltige Krise rutschen. Die CDU lebt gerade auf Kosten ihrer Zukunft. Die Grünen machen es sich lieber jetzt schwer. Dass sich das auszahlen könnte, zeigt die Aufbruchstimmung in vielen grünen Kreisverbänden.
Politik ist ein undankbares Geschäft, und Demokratie nicht immer gerecht. Darunter hat schon manche Partei gelitten; in diesen Tagen trifft die bittere Erkenntnis die Grünen. Da kungelt die CDU-Spitze ihr Wahlprogramm im Geheimen aus, selbst Vorstandsmitglieder haben noch keinen Entwurf gesehen. Einen Parteitag soll es auch nicht geben. Die Basis hat nichts zu sagen. Doch es gibt keinen Aufschrei, die CDU-Führung kommt mit ihrem vordemokratischen Verhalten durch. Stattdessen ergießt sich ausgerechnet über die Grünen Häme.
Die grüne Partei hat ihr Programm von allen Delegierten beschließen lassen, die Spitzenkandidaten wurden per Urwahl bestimmt. Und jetzt haben die Mitglieder sogar darüber entscheiden dürfen, mit welchen Themen der Wahlkampf bestritten wird. Mehr Demokratie geht kaum. Doch weil bei dem Mitgliederentscheid die Lieblingsthemen der Grünen-Spitze nicht oben landeten, muss diese sich jetzt im ganzen Land als basisfern verspotten lassen. Angela Merkel - die CDU-Spitzenkandidatin durch Selbstausrufung - macht derweil unbehelligt Wahlkampf. Zahlt sich Mitbestimmung am Ende also gar nicht aus? Oder anders herum gefragt: Wie viel direkte Demokratie brauchen Parteien, um erfolgreich zu sein?
Wahlhelfer der Grünen bei einer Urwahl.
Für die meisten Bürgerbewegten ist die Antwort klar: möglichst viel. Und ein Blick auf die Zahlen scheint ihnen ja auch recht zu geben. Die CDU hat seit der Wiedervereinigung mehr als 40Prozent ihrer Mitglieder verloren, die Grünen haben fast 50Prozent gewonnen. Und sind die Piraten nicht vor allem deshalb entstanden, weil Zehntausende endlich eine politische Heimstatt wollten, in der jeder mitentscheiden darf? Kärrnerarbeit in Ortsvereinen und Hinterzimmer-Debatten über Ortsumgehungen begeistern heute kaum noch einen. Mitglieder wollen auch über die großen Themen der Zeit entscheiden dürfen; das gilt vor allem für die Jungen. In der CDU dürfen sie das nicht. Kein Wunder also, dass das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder bald 60 sein wird.
An dem Wunsch nach mehr direkter Demokratie ist also gar nichts auszusetzen - im Gegenteil. Mitbestimmung belebt Parteien. In großen Teilen des linken Spektrums herrscht aber eine fast heilsverklärte Sehnsucht nach direkter Demokratie. Um so schmerzhafter sind dann die Begegnungen mit der Wirklichkeit. Das erlebt gerade die Grünen-Spitze. Auch der SPD sind derlei Erfahrungen nicht fremd: Die einzige Urwahl eines Parteichefs bescherte den Sozialdemokraten den Unglückswurm Rudolf Scharping. Und die Piraten mitbestimmen sich gerade zu Tode. Dass "mehr Demokratie wagen" in der Praxis nicht so einfach ist, wusste schon Willy Brandt. Von dem Urvater der Mitbestimmung ist der Seufzer überliefert, Demokratie dürfe "nicht so weit gehen, dass in der Familie darüber abgestimmt wird, wer der Vater ist".
Brandt kannte seine Genossen. Er wusste, dass sich das Verlangen vieler Linker nach direkter Demokratie auch daraus speist, dass man sich für den Vorkämpfer der wahren Mehrheit hält. In manchen Debatten mag das auch so sein. In diesem Jahr etwa in der Auseinandersetzung um den Krippenausbau, das Betreuungsgeld oder die steuerliche Gleichstellung von Homo-Ehen. Bei vielen Themen gilt das aber nicht. Eine verbindliche Frauenquote oder ein Adoptionsrecht für homosexuelle Lebenspartner lehnt die Mehrheit der Deutschen ab. Das muss nichts heißen. Schließlich hat die Mehrheit nicht immer recht - ansonsten bedürfte es ja auch keines Verfassungsgerichts. Aber wer Mehrheiten falsch einschätzt, erlebt unliebsame Überraschungen. Das mussten die S21-Gegner bei der Volksabstimmung über den Bahnhof erleben. Auch die rot-grünen Gegner der Untertunnelung des Mittleren Rings in München konnten ihre Niederlage beim Bürgerentscheid kaum fassen.
Die Merkel-CDU hat sich angesichts dieser Risiken dafür entschieden, auf direkte Demokratie gleich komplett zu verzichten. Die Mitglieder durften sich jetzt zwar an einer "Mitmachaktion" im Internet beteiligen, entscheiden konnten sie dabei aber nichts. Kurzfristig wird die CDU mit dieser Ignoranz gegenüber ihrer Basis Erfolg haben. Bisher gibt es keine offene Kritik am Kurs der Parteiführung, diese Ruhe hilft im Wahlkampf. Stattdessen muss sich die Grünen-Spitze prügeln lassen. Langfristig dürfte der CDU die Ignoranz aber erheblich schaden. Wenn Merkel abtritt oder abgewählt wird, wird ihre Partei wegen sedierter Mitglieder und totaler Konturlosigkeit in eine gewaltige Krise rutschen. Die CDU lebt gerade auf Kosten ihrer Zukunft. Die Grünen machen es sich lieber jetzt schwer. Dass sich das auszahlen könnte, zeigt die Aufbruchstimmung in vielen grünen Kreisverbänden.