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Der Kopf im Suppentopf

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Der Mann an der Pforte schnupft den Tropfen, der ihm zur Nasenöffnung herauszugleiten droht, wieder in die Nase zurück. „Sie müssen den Kopf während zwei Stunden bei 30 Grad in einem grossen Topf mit Salzwasser ziehen lassen. Origineller Spruch, denke ich. „Mit Kartoffeln und Sauerkraut kombiniert kommt das gut.“ Kein Spruch, der meint das tatsächlich ernst. Eben musste ich ihm zeigen, was ich in Zellophan gewickelt bei mir trage. Der langsam aus dem Schädel austretende dickliche Saft nimmt mir jeglichen Appetit. Abendessen heute gestrichen. „Ist gut, werd ich mir merken, danke für den Tipp!“, sage ich und hebe die Hand zum Gruss. Ich entferne mich, bevor er mir auch noch einen Dessertvorschlag unterbreitet.

Drinnen hatte sich mir eine fremde Welt eröffnet. Weisse Kacheln, blitzender Stahl, kühle Atmosphäre. Vermummte Männer, die nicht in diese Welt passten. Aber hier war ich der Alien. Der zuständige Ausserirdische hatte mich misstrauisch beäugt. Als er mir das Haupt aushändigte, murrte er: „Spezialwunsch, aber dann kein Verpackungsmaterial dabei. Die haben wir gern.“ Und ich hätte ihm den tropfenden Kopf gerne auf sein eigenes Haupt aufgesetzt. Blöder, idotischer Idiot, idiotischer.


Eine Woche zuvor war ich schon einmal hier gewesen. Aber bei meiner Bestellung ging was schief. Da wurde mir eine Kartonschachtel übergeben. Alles war fixfertig verpackt. Und ich schaute mit meinem mitgebrachten Verpackungsmaterial (Platiksäcke, grosser Umzugskarton...) dumm aus der Wäsche. Stappelte die zwei Kisten aufeinander, sah kaum, wo ich ging. Und später, bei der Öffnung des Pakets im Kreise meiner Kollegen, erblickten wir ein trauriges Etwas ohne Augen, ohne Ohren, ohne Nase. Und in der Mitte war es halbiert. Die ganze Übung war für die Katz. Oder für den Hund. Das Paket wechselte ziemlich schnell den Besitzer. Der Beizer nebenan nahm es uns ab und verwendete den Inhalt als Überraschung für Leo, den Schnauzer.


Diesmal hatte ich mir genug Zeit gelassen, das Prunkstück zu begutachten, bevor Scheine und Kopf den Besitzer wechselten. Ich hielt also das tropfende Haupt in meinen Händen und fragte etwas unsicher nach Verpackungsmaterial. Hatte ich nämlich diesmal zu Hause gelassen. „Spezialwunsch, aber dann kein Verpackungsmaterial dabei“, grummelte der Boss der Ausserirdischen. Blöder, idotischer Idiot, idiotischer. Ich wiederhol mich.


E.T. erbarmte sich meiner dann doch noch und überreichte mir drei Streifen Zellophan. Diese reichten natürlich nur fast, um das Haupt so dicht zu umschliessen, dass die Möglichkeit des Saftaustritts ausgeschlossen hätte werden können. E.T. mochte ich schon damals nicht. Aber die Version 2014 war ein Ekel. Was wollte ich meckern? Ich hatte das Hauptziel im zweiten Anlauf erreicht und war stolz auf meine Hartnäckigkeit. Beharrlichkeit führt zum Ziel.


Ich entschwinde nun also in die feuchte Nacht, einen in Zellophan eingewickelten Kopf unter dem Arm. Ich komme mir schon etwas vor wie der Übelbösling aus SEVEN. In  dieser menschenverlassenen Gegend würde es mich nicht erstaunen, wenn alle Menschen, denen ich trotzdem begegne, einen solchen unter dem Arm tragen würden. Ich begegne aber niemandem. Endzeitstimmung. Per Zufall lande ich in einem halboffenen Hof, in welchem überall aufgerissene Kehrichtsäcke herumliegen. Sieht nach Kehrichtverbrennung aus. Ein Arbeiter sortiert hier zu später Stunde mit einem kleinen Bagger den Müll. Er nickt kurz, als ich mir einen noch gut erhaltenen leeren Abfallsack schnappe und meine seltsame Habe rasch darin verschwinden lasse, und nimmt dann nicht weiter von mir Notiz.


Als ich das Tram besteige, fühle ich mich einiges wohler als noch vor wenigen Minuten. Meine Fracht ist vor fremden Blicken geschützt. Ich stehe da, in der Mitte des Wagens, halte mich mit der einen Hand an der Lederschlaufe, die von der Decke runterhängt. Alles ganz normal. Viele Leute unterwegs. Nur einer hält einen Müllsack in seiner anderen Hand. Das wäre dann ich.


Der sitzende Kahlköpfige vor mir scheint sich zu fragen, was mich wohl dazu bewegt, einen Kehrichtsack spazieren zu fahren. `Wieso so verkrampft, junger Mann? Mülltourist? Diese arroganten Jungen, immer in die Clubs, jedesmal locker einen zwanziger abdrücken, aber dann den Müll spazieren fahren und dann beim Friedhof gratis entsorgen, was....oder ist da am Ende gar was ganz anderes drinne?`

Du siehst auch aus wie ein Entlaufener, denke ich. Gerade aus der PUK (Psychiatrische) abgehauen, was? Dann habe ich plötzlich auch die Aufmerksamkeit der Dame neben mir. Bilde ich es mir nur ein oder entströmt meinem Kehrichtsack tatsächlich ein dezenter Duft? Rieche nur ich das oder breitet sich dieser Geruch langsam im ganzen Tram aus? Und dann bilde ich mir ein, dass, wenn ich jetzt tief einatmen würde, blieben für die andern weniger Duftpartikel übrig. So Thesen halt. Müsste doch klappen...


Zum Glück geht jetzt wieder mal die Türe auf und ein Hauch von frischer Luft besänftigt meine Nase. Aber hier kommt keine Partystimmung auf, obwohl mich die unruhige Fahrt mit den Hüften wackeln lässt. Das Düftchen bleibt flüchtig und breitet sich erneut aus. Der rote Knopf. Zweimal drücken. Nützt nichts. Ein Ampelzeichen zeigt „Halt“ an. Das Tram stoppt erneut. Die Türen bleiben geschlossen. Keine Haltestelle. Weiterfahrt. Dann endlich...


Diesmal steige ich aus, verschwinde in einer dunklen Seitengasse,dann in der nächsten. Schliesslich erreiche ich den vereinbarten Treffpunkt, die Tür ist nur angelehnt, es geht zweimal im Kreis die Wendeltreppe hinunter ins erste UG, wo ich meine Habe zu präsentieren habe.


Das Atelier ist dezent beleuchtet. Dichter Qualm hängt im Raum.Sanfte Musik entschwebt den beiden Boxen. Meine Kumpels stehen um einen Tisch mit einer transparenten Platte. Sie sind recht gespannt. Wie gesagt ist dies schon der zweite Anlauf. Diesmal passts.


Kopf Nummer 2 wird aus seinen Plastikschichten geschält und in die Höhe gehoben. „Perfekt. An die Arbeit“. Die Kamera wird montiert. Der Fleischmocken auf die Plexiglasplatte gesetzt und präpariert. Der Rest ist Routine. In ein paar Wochen wird das Bild des vergoldeten Saukopfs ein Schaufenster zieren. Und ein CD-Cover. Leo geht heute leer aus. 




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