Die Stadt vor zehn Uhr morgens ist eine Ansammlung trauriger Trinker, deren Identität ich aber nicht kenne
Ich laufe ein,
ich laufe zwei,
ich laufe zwei
mal zwei plus drei
Kilometer gleich
zu Fuß,
und bin das breiteste Grinsen,
das dieser Teil der Stadt
seit Langem gesehen hat.
Sonst nur verhärmte Gesichter,
der Rausch von vorletzter Nacht,
halbgares Gebrabbel
auf’s oder gegen‘s «Ausländerviehzeuch»
lauscht man hier ab: Das Pack
gibt sich a-sozial, quatscht
dumpfe Parolen nach
rechtem Gusto nach –
und marschiert dann stramm
linker Hand selbst
auf‘s Amt.
Israel,
Frau Israel,
war es, die mir soeben da
die Ausreise bewilligt hat.
Mir gefällt das.
Die Ironie,
der Staat, der mich
ausgebildet hat,
finanziert mir nun
gar mein weiteres
Fortkommen.
Wortwortwörtlich weiter:
Es geht seinen Gang, und ich
durch die Stadt,
die mich hervorgebracht hat.
Und wo ich im Umland
neulich erst gedacht habe:
Wenn der Wind wild
durch‘s Weizenfeld streicht
– oder Futtergerste, was immer –
der Wind in den Weiden,
dort wo das Vaterhaus stand
und die alte Schmiede
das Handwerk, das Handwerk,
der goldene Boden, hör ich Oma
noch sagen, oder besser,
hämmern und trichtern,
obwohl sie doch nur angeheiratet
in der Sippe und es doch schon
besser wissen kann
oder doch zumindest
sehen sollte: Der Junge
hat linkische Hände.
Und wo unter der Trauerweide
am versiechten Teich
wir noch immer Opas Mauser
finden wollen.
Und der Garten nun verwildert steht
zwischen Taubnesseln, Raps-
und Löwenzahngelb:
Da ist nichts Heimatliches,
Ich kenne es nicht, dieses Gefühl;
ich kenne nur die Stimme
des Windes, der sagt:
Komm. Oder, besser noch:
Geh.
Geschichte wiederholt
sich doch.
Zwar ist ‘89
Jahre entfernt
und der Pullunder
wie der Dicke
längst nicht mehr da,
der Balkon vielleicht
rissig oder abgegangen,
aber Prag –
Prag ist noch da,
und liegt nicht fern,
und – warum auch nicht?
Bringt die Stadt hier
nicht eben grad Glück,
Kummer für das Herz,
und dich um den Verstand
und in Feindschaft
und Jähzorn
und in Rage
über all den stumpfen Sinn,
bringt dich Prag
vielleicht weiter.
Ein koreanisches Gesicht
hält mich jetzt an
am Unineubau, Alma mater
bis das Studium an der Saale
begann, die Seminare bei R. R.
der rollend vom «Sarahsound» sprach,
und ich werde nun gefragt
wo sie mit Menschen,
wo sie ein Konto eröffnen kann
doch ich weiß nicht,
auch nicht auf Englisch,
wo man nicht mehr mit
Maschinen spricht.
Kann nicht antworten
als in halbabgebrochenen Versen.
Ich lebe hier in einer Halbwelt,
wo man Bilder lieber wegwischt,
als dass man sie sich vorstellen kann.
Bis auf die Teenager neulich
im Häusereingang, die,
zurück vom Tschechischkurs
ich noch aus der Tram
gesehen habe; guck an:
Auch Gohlis hat schöne Ecken,
weiß man diese zu entdecken;
so wie Lindenau oder Reudnitz,
dreckig wie hier, aber
für mich dieses Bild:
Das Moment eines Anfangs.
Blutjung und dumm
und verliebt.
Er den Kopf
auf ihrem Schoß.
Das Versprechen des immerwährenden Frühlings,
von dem auch Blütenblätter von den Bäumen sprechen
oder das explodierende Zartrosa der Mandelbäumchen
und die kürzer werdenden Röcke der Mädchen in der Tram,
bevor die mich kurz vor‘m Grassi ausspeit.
Ein Frühling, von dem nur
die Älteren schon wissen,
dass ihm ein Sommer folgen wird,
der auch sein Ende findet.
Im Winter.
Doch bis dahin bietet
mir ein alter Mann,
ostpreußischer Akzent,
ich bin entzückt,
in den Keller
eine Freifahrt an.
Ich nehme dankend an,
weil ich diesen so mag,
sonst auch nichts vorhab‘
und man bei so einer
Fahrstuhlfreifahrt lernen kann:
Die Tür, die sich grad noch schließt,
öffnet sich auch wieder.
Irgendwann.
Und bietet dir der Irrwitz
eine solche an:
Zögere nicht zu lang!
Denn zuerst verlierst du den Mut,
und dann auch noch die Courage.
Oh, ich muss hier raus,
ist ja schon die vierte…
2014, Mitteende April
Ich laufe ein,
ich laufe zwei,
ich laufe zwei
mal zwei plus drei
Kilometer gleich
zu Fuß,
und bin das breiteste Grinsen,
das dieser Teil der Stadt
seit Langem gesehen hat.
Sonst nur verhärmte Gesichter,
der Rausch von vorletzter Nacht,
halbgares Gebrabbel
auf’s oder gegen‘s «Ausländerviehzeuch»
lauscht man hier ab: Das Pack
gibt sich a-sozial, quatscht
dumpfe Parolen nach
rechtem Gusto nach –
und marschiert dann stramm
linker Hand selbst
auf‘s Amt.
Israel,
Frau Israel,
war es, die mir soeben da
die Ausreise bewilligt hat.
Mir gefällt das.
Die Ironie,
der Staat, der mich
ausgebildet hat,
finanziert mir nun
gar mein weiteres
Fortkommen.
Wortwortwörtlich weiter:
Es geht seinen Gang, und ich
durch die Stadt,
die mich hervorgebracht hat.
Und wo ich im Umland
neulich erst gedacht habe:
Wenn der Wind wild
durch‘s Weizenfeld streicht
– oder Futtergerste, was immer –
der Wind in den Weiden,
dort wo das Vaterhaus stand
und die alte Schmiede
das Handwerk, das Handwerk,
der goldene Boden, hör ich Oma
noch sagen, oder besser,
hämmern und trichtern,
obwohl sie doch nur angeheiratet
in der Sippe und es doch schon
besser wissen kann
oder doch zumindest
sehen sollte: Der Junge
hat linkische Hände.
Und wo unter der Trauerweide
am versiechten Teich
wir noch immer Opas Mauser
finden wollen.
Und der Garten nun verwildert steht
zwischen Taubnesseln, Raps-
und Löwenzahngelb:
Da ist nichts Heimatliches,
Ich kenne es nicht, dieses Gefühl;
ich kenne nur die Stimme
des Windes, der sagt:
Komm. Oder, besser noch:
Geh.
Geschichte wiederholt
sich doch.
Zwar ist ‘89
Jahre entfernt
und der Pullunder
wie der Dicke
längst nicht mehr da,
der Balkon vielleicht
rissig oder abgegangen,
aber Prag –
Prag ist noch da,
und liegt nicht fern,
und – warum auch nicht?
Bringt die Stadt hier
nicht eben grad Glück,
Kummer für das Herz,
und dich um den Verstand
und in Feindschaft
und Jähzorn
und in Rage
über all den stumpfen Sinn,
bringt dich Prag
vielleicht weiter.
Ein koreanisches Gesicht
hält mich jetzt an
am Unineubau, Alma mater
bis das Studium an der Saale
begann, die Seminare bei R. R.
der rollend vom «Sarahsound» sprach,
und ich werde nun gefragt
wo sie mit Menschen,
wo sie ein Konto eröffnen kann
doch ich weiß nicht,
auch nicht auf Englisch,
wo man nicht mehr mit
Maschinen spricht.
Kann nicht antworten
als in halbabgebrochenen Versen.
Ich lebe hier in einer Halbwelt,
wo man Bilder lieber wegwischt,
als dass man sie sich vorstellen kann.
Bis auf die Teenager neulich
im Häusereingang, die,
zurück vom Tschechischkurs
ich noch aus der Tram
gesehen habe; guck an:
Auch Gohlis hat schöne Ecken,
weiß man diese zu entdecken;
so wie Lindenau oder Reudnitz,
dreckig wie hier, aber
für mich dieses Bild:
Das Moment eines Anfangs.
Blutjung und dumm
und verliebt.
Er den Kopf
auf ihrem Schoß.
Das Versprechen des immerwährenden Frühlings,
von dem auch Blütenblätter von den Bäumen sprechen
oder das explodierende Zartrosa der Mandelbäumchen
und die kürzer werdenden Röcke der Mädchen in der Tram,
bevor die mich kurz vor‘m Grassi ausspeit.
Ein Frühling, von dem nur
die Älteren schon wissen,
dass ihm ein Sommer folgen wird,
der auch sein Ende findet.
Im Winter.
Doch bis dahin bietet
mir ein alter Mann,
ostpreußischer Akzent,
ich bin entzückt,
in den Keller
eine Freifahrt an.
Ich nehme dankend an,
weil ich diesen so mag,
sonst auch nichts vorhab‘
und man bei so einer
Fahrstuhlfreifahrt lernen kann:
Die Tür, die sich grad noch schließt,
öffnet sich auch wieder.
Irgendwann.
Und bietet dir der Irrwitz
eine solche an:
Zögere nicht zu lang!
Denn zuerst verlierst du den Mut,
und dann auch noch die Courage.
Oh, ich muss hier raus,
ist ja schon die vierte…
2014, Mitteende April