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Von Kollegen und den Schweinen in der Ukraine

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Als ich nach längerem Sitzen am Schreibtisch heute aufstand, hatte ich das Gefühl, ich kippe gleich um. Mein Kopf wurde heiß, die Hände begannen zu kribbeln. Leider hatte ich die Bürotür schon geöffnet und war ein paar Schritte in das Großraumbüro getreten. Um keine Schwäche zu zeigen, steuerte ich mit Scheuklappen auf die Küche zu, um mir einen Tee zu machen. Die ganze Zeit dachte ich, gleich sackst du weg, gleich wachst du am Boden wieder auf. Das Problem ist, dass ich im Laufe der Jahre beruflich aufgestiegen bin, und ich hätte nicht gedacht, wie sehr das das Verhältnis zu den Kollegen ändert, die eben jetzt keine Kollegen mehr sondern Mitarbeiter, man könnte auch Untergebene sagen, sind. Die schlimmsten Dinge sind: Wenn ich einen Raum betrete, in dem mehrere Kollegen z.B. beim Kaffeetrinken sitzen, und mich dazusetze, merke ich, dass nur noch mit angezogener Handbremse geredet wird, im schlimmsten Fall die Gespräche verstummen. Oder: alle hören zu, wenn ich mich zu einem Thema äußere, so als müsse man meine Meinung ernst nehmen. Wenn ich erzähle, dass ich mit Eli, der Mutter meiner Kinder, keine weiteren Kinder möchte, da mich das alles zu sehr anstrengt, sondern erst wieder mit 60, weil ich gelesen hätte, dass ältere Väter die besseren Väter sind, wird sogar das ernst genommen. Und wenn ich dann zu der 10 Jahre jüngeren Praktikantin sage, dass sie mir leider zu alt ist, weil sie, wenn ich 60 bin, keine Kinder mehr kriegen kann oder sollte, merke ich, dass ich peinlich werde, weil keiner lacht. Vielleicht ist es auch nicht witzig, obwohl, ich finde, schon. Schlimm ist auch, dass sich bei Verlassen des Büros eine Reihe von Leuten auf mich stürzt, um mich mit Fragen zu überschütten, die ich mal eben im Vorbeigehen beantworten bzw. entscheiden soll. Neulich stand ich am Pissoir, starrte die Wand an und dachte daran, dass ich mir endlich die DVD mit dem alten Adventsvierteiler "Der Seewolf" kaufen möchte, den ich in meiner Kindheit so gern gesehen habe, als plötzlich einer der Kollegen reinkommt und fragt, ob ich an der Betriebsfeier sowohl beim Bowling als auch beim anschließenden Essen dabei sein werde oder nur beim Essen. Ich denke, gleich stellt er sich ans Pissoir und pieselt, aber nein, er zieht eine Liste aus der Hosentasche und macht hinter meinem Namen zwei Haken und geht wieder raus. Das einzig sympathische war, dass er es mit Zettel und Stift und nicht mit Handy notierte. Ich steigerte mich so in den Ärger rein, dass ich ihn nachher zu mir holte und zusammenfaltete. Ich verstehe nicht, warum man Menschen, die sich so benehmen wie der Großteil meiner Mitarbeiter, nicht Untergebene nennen und wie Sklaven behandeln darf. Wenn sie den Begriff Mitarbeiter oder Kollegen verdienen wollen, sollen sie sich doch auch so benehmen, als würden sie sich selbst so empfinden. Aber so ist es ja mit allem, was heute nicht mehr beim Namen genannt werden darf. Wie sich jemand fühlt ist ja irrelevant, hauptsache, man spricht vom Migrationshintergrund und nicht vom Ausländer.

Der Tee macht meine Kreislaufprobleme nicht besser. Im Gegenteil, ich habe die ganze Zeit ein Gefühl des Schwindels in der Birne, das mich den ganzen Tag begleitet. Erst am Abend, als die Kinder schlafen und Eli sich mit einer Freundin in der Stadt trifft, geht es mir langsam besser. Ich nehme mir die Gitarre und spiele ein bisschen was, aber es macht keinen Spaß, leider weiß ich nicht, warum. Bin ich unzufrieden mit meinem Leben? Vielleicht. Der Verlust an Freiheit, der hohe Grad an Fremdbestimmtheit? Dabei könnte es schlimmer sein: Eli und ich sind zwar Eltern, aber nach wie vor nicht zusammen. Befreundet, vielleicht lieben wir uns auch auf einer Ebene, aber kein Paar. Merkwürdig war es, das dritte Kind zu zeugen. Eli wollte gern noch ein drittes Kind, und sie wollte es von mir, obwohl sie sich erst vor ein paar Monaten von ihrem Freund getrennt hatte. Irgendwie war es lustig, ein paar Monate während der fruchtbaren Tage jeden Tag miteinander zu schlafen, bis sie schwanger ist. Vor allem wenn einer von uns keine Lust hatte, aber das Ziel dann doch den Geschlechtsakt zu einer Notwendigkeit machte. Jedenfalls haben wir viel darüber gelacht. Ich fand es schade, dass sie so schnell schwanger wurde, weil ich es bedeutete, dass wir keinen Sex mehr haben, dabei rieche, schmecke und berühre ich Eli nach wie vor gern, auch wenn wir nicht zusammen sind. Immerhin, in den Phasen, in denen sie keinen Freund hat, ergibt es sich dann doch manchmal, dass wir einander küssen und dann miteinander schlafen.


In der Nacht dann die merkwürdigen Träume, keine Alpträume, da das alptraumhafte Gefühl fehlt, obwohl die Inhalte mehr als bedenklich sind. Mein fünfjähriger Sohn und ich beobachten wie mein 1999 verstorbener Großvater, stirbt. Wir schauen uns überrascht an und fragen uns, was nun zu tun ist. „Wir müssen ihn zerlegen", sagt mein Sohn. „Ja!" erwidere ich und beginne die Messer am Wetzstahl zu schärfen. Tüchtig und geschäftig legen wir los und zerlegen den Leichnam meines Großvaters in küchenfertige Stücke. Wir stellen einander keine Fragen, wozu dies geschieht, es ist eine reine Geschäftigkeit. Wir haben das Gefühl etwas Notwendiges zu tun, und als wir fertig sind, betrachten wir geschäftig unser Werk. Mein Sohn sagt altklug: „Das ging jetzt schneller als gedacht." Als ich erwache, stehe ich auf, erschrocken über das Geträumte und vor allem die damit verbundenen Gefühle, schaue kurz nach, ob Eli inzwischen auch zu Hause ist. Bevor ich mich wieder ins Bett lege, denke ich noch „diese Schweine in der Ukraine", ohne mir zu überlegen, wen ich damit meine. 


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