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Der Feind im Freund

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Sie wollte es nicht, von Anfang an. Verena war 16, als es anfing, während eines Schulprojekts an einem norddeutschen Gymnasium. Es ging um Erste Hilfe, und anfangs vertrug sie sich auch gut mit dem Betreuer, einem Sanitäter, der 20 Jahre älter war. Sie ließ sich ein auf sein Drängen, schlief mit ihm, ohne zu ahnen, was bald kommen würde. „Er rief aus dem Auto an und sagte: Ich fahre jetzt gegen den Baum, wenn wir uns nicht sehen“, sagt Verena, die in Wirklichkeit anders heißt. Da hatte sie schon nein gesagt. Beweisen kann sie das nicht– wie auch, es gibt keine Zeugen. Als er sie wieder bedrängte, rannte sie davon, er holte sie zurück, das Messer in der Hand. Dann schliefen sie miteinander. Verena kann einige solcher Szenen erzählen, zwei Jahre ging das so, bis sie endlich den Mut fasste, Schluss zu machen – und ihn anzuzeigen. Jahre später. Die Polizistin war freundlich, die Vernehmung dauerte vier Stunden, sagt Verena. Doch am Ende wurde das Verfahren eingestellt. Dem Täter sei womöglich nicht klar gewesen, dass Verena Sex mit ihm ablehne, hieß es zur Begründung. Das Geschehene wird Verena noch jahrelang auf dem Herzen liegen.



Viele Vergewaltigungen kommen nicht ans Tageslicht, die Täter kommen ohne Strafe davon

Wer eine Frau vergewaltigt, bricht ein in ihr Leben, ihren Körper, ihr Intimstes. Die Furcht, vergewaltigt zu werden, ist eine Urangst, eine, vor der Frauen (und auch Männer) geschützt sein wollen. Die Zahlen, die nun das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ermittelt hat, sind auch deshalb so beängstigend: Wer sexuelle Gewalt anzeigt, hat immer schlechtere Chancen, dass auf die Anzeige ein Urteil folgt. Vor zwanzig Jahren erlebte noch gut jede fünfte Frau (21,6 Prozent), dass ein Täter verurteilt wird, im Jahr 2012 geschah dies nur noch in jedem zwölften Fall (8,4 Prozent, siehe Grafik). Im Klartext: Angezeigte Übergriffe werden immer seltener bestraft. „Diese Entwicklung ist für Frauen nicht akzeptabel“, sagt der Kriminologe und Direktor des KFN, Christian Pfeiffer.

Wie kommt es dazu? Ausgerechnet in Zeiten, in denen Täter schon anhand eines Schamhaares überführt, in denen die Ermittler mit DNA-Analyse und kleinsten Faserspuren arbeiten? Die neue Kriminaltechnik hilft enorm, Straftaten aufzuklären – warum nicht hier? Sowohl das KFN als auch Praktiker können dies noch nicht genau sagen. Aber es gibt Hinweise. Zum einen haben die Vergewaltigungen im sogenannten Nahbereich zugenommen. Das bedeutet: Der unbekannte Täter, der die Spaziergängerin in die Büsche zieht, ist seltener geworden, gestiegen ist dagegen der Anteil der Ehemänner, (Ex-)Partner und Bekannten, die sich an den Frauen vergehen. Damit aber wird die Beweislage schwieriger. Oft bestreiten die Tatverdächtigen gar nicht, mit der Frau Sex gehabt zu haben, doch sie behaupten, dies sei freiwillig geschehen. Spermaflecken und DNA-Spuren verlieren so an Gewicht.

Die neue Täter-Klientel hängt mit veränderten Gesetzen zusammen. 1997 erweiterte der Bundestag den Tatbestand der Vergewaltigung, seitdem fällt auch erzwungener Oralverkehr darunter sowie die Vergewaltigung durch den Ehepartner. Die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen ist dadurch deutlich gestiegen, der Verdächtige häufiger bekannt. Aber erklärt dies, warum so wenige verurteilt werden? Wird die Anzeige häufiger eingesetzt als Waffe gegen den verhassten Ex-Partner? „Man kann nicht ernsthaft unterstellen, dass ein so hoher Anteil der Frauen eine Vergewaltigung erfindet“, sagt Pfeiffer. Nach den Erkenntnissen der Kriminologie ist es eher umgekehrt: Trotz der gestiegenen Zahl von Anzeigen, scheuen noch immer die meisten Frauen davor zurück, zur Polizei zu gehen.

Hier dürfte der Prozess gegen Jörg Kachelmann seine Spuren hinterlassen haben. Der Wettermoderator war vor drei Jahren nach einem quälend langen Gerichtsverfahren vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner Ex-Freundin freigesprochen worden. „Dies hat sicher viele Frauen abgeschreckt, Anzeige zu erstatten“, sagt Sabine Kräuter-Stockton, die sich als Oberstaatsanwältin in Saarbrücken jahrelang mit Sexualdelikten befasst hat. Die Medienberichte, die intimste Details ausleuchteten, die aggressive Strategie der Verteidiger, all dies habe die Angst der Opfer wachsen lassen. Auch wenn es Aufgabe der Verteidigung sei, Vorwürfe in Frage zu stellen. Womöglich lassen die Belastungen eines solchen Prozesses Frauen auch nach der Anzeige einen Rückzieher machen. „Die Opfer informieren sich im Internet und sehen, dass es mit einer Anzeige bei weitem nicht getan ist“, sagt Kräuter-Stockton.

Eine weitere Entdeckung hält Pfeiffer für mindestens so alarmierend wie den gesunkenen Anteil der Verurteilten: Je nach Bundesland unterscheiden sich die Erfolgsaussichten einer Anzeige stark. In einzelnen Ländern führen nur vier Prozent der Anzeigen zu einem Urteil, in anderen sind es fast 25 Prozent. „Für einen Rechtsstaat ist das alarmierend“, sagt Pfeiffer. Die Länder-Namen will er nicht nennen, dies könnte Täter motivieren, dort zuzuschlagen, oder Frauen abhalten, zur Polizei zu gehen.

Ähnlich wie Kräuter-Stockton und Frauenorganisationen wie Terre des Femmes kritisiert Pfeiffer die Gesetzeslage, die Entwicklung könne mit Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zusammenhängen. Dieser hatte einen Freispruch 2006 so begründet: Dass der Angeklagte der Frau „die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt“. Dies habe zu einer Verunsicherung geführt, was als „Gewalt“ anzusehen sei, sagt Pfeiffer. „Es gibt Strafbarkeitslücken im Gesetz“, sagt Kräuter-Stockton. Ein Beispiel: Ein Mann, der seine Partnerin wiederholt geschlagen hat, zieht ihr die Hose herunter und schläft mit ihr, obwohl sie nicht will. Doch sie wehrt sich nicht und weint nur, aus Furcht. Dies sei keine Vergewaltigung, sagt Kräuter-Stockton. „Das hätte ich gerne im Gesetz als Vergewaltigung abgedeckt.“

Verena, die junge Frau aus Norddeutschland, schaffte es nicht, alleine mit den Übergriffen klarzukommen. Sie zog weg, brach ihr Studium ab, brauchte Psychotherapie. Wenn sie mit einem Freund unterwegs ist, ergreift sie noch heute manchmal Panik. Die Hölle mit ihrem Ex-Betreuer ist nun sieben Jahre her. Seitdem hat sie nie mehr einen Partner gehabt.

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