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Das Leben nach dem Völkermord

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Jetzt.de: Vor 20 Jahren, am 6. April 1994, begann in Ruanda ein schrecklicher Völkermord. Innerhalb von 100 Tagen töteten Hutu-Extremisten Angehörige der Tutsi-Ethnie sowie gemäßigte Hutus, die sich ihnen in den Weg stellten. Mehr als 800 000 Leute wurden ermordet. Du warst damals vier Jahre alt, woran erinnerst du dich? 
Ngaboyisonga*: Ich weiß noch, wie wir uns im Wald versteckt haben. Denn mein Vater war zwar Hutu, aber gegen den Mord an den Tutsi, deswegen sollte er getötet werden. Unsere Nachbarn haben uns gewarnt und wir konnten wir fliehen.  




Ein junger Mann in Kigali blickt auf die Namen von Menschen, die dem Völkermord zum Opfer fielen

Was sind für jungen Ruander die Konsequenzen aus dem Völkermord?
Viele von uns sind traumatisiert, die Eltern sind Flüchtlinge, im Gefängnis oder tot.  

Heute verbietet eure Regierung die Unterteilung in Tutsi und Hutu. Wie verbreitet ist es dennoch, dass ihr in diesen Kategorien denkt?
Öffentlich tut das keiner. Wenn du sagst “Ich bin Hutu, du bist Tutsi”, kannst du angeklagt werden, weil du der Genozid-Ideologie anhängst. Dann kommst du ins Gefängnis. Im Geheimen mit Freunden reden wir schon darüber. Denn es werden nicht alle Ruander gleich behandelt.

Angehörige einer Ethnie haben Vorteile?
Ja, gute Jobs, Bildung und das Militär sind in der Hand von Leuten aus der RPF, der Ruandischen Patriotischen Front. Das ist die regierende Partei, die meisten von deren Mitgliedern kommen aus Uganda, sind also Tutsi.

Der Staat tut also nur so, als ob es keine Ethnien mehr gibt?
Ja, es ist paradox. Sie sagen, dass es keine Hutu und Tutsi mehr gibt. Aber es gibt sie doch. Zum Beispiel sollten sich bei der großangelegten Aufarbeitungskampagne Ndi Umunyarwanda alle Hutu-Kinder für die Verbrechen entschuldigen, die von ihrer Ethnie, ihren Eltern und Verwandten begangen worden sind, unabhängig von Alter und Schuld. Und der Genozid wird als „Genozid an den Tutsi“ bezeichnet. Damit wird gesagt, dass alle Hutus Mörder sind – und alle Überlebende Tutsi.  

Fragt ihr die Generation eurer Eltern und Lehrer, was sie während des Völkermords gemacht haben? 
Ich habe einige gefragt und sie sagen, dass sie in die Gräuel verwickelt waren, weil sie von oben dazu gezwungen wurden.  

Hier in Deutschland wird Ruanda oft als ein Land betrachtet, das sich gut entwickelt, Plastiktüten sind verboten und mit 63,8 Prozent hat euer Parlament eine höhere Frauenquote als irgendein anderes Land. Aber wie geht es jungen Männern und Frauen dort tatsächlich, wo siehst du Änderungsbedarf?  
Unser größtes Problem ist die Arbeitslosigkeit. Das ist auch dadurch bedingt, dass wir nicht studieren können. Dafür fehlt uns das Geld, die Regierung hat aufgehört, guten Schülern Studienkredite zu geben. Das Problem mit der Bildung fängt aber schon früher an. Der Staat bietet Kindern kostenlosen Schulunterricht an, aber die brechen die Schule oft ab, weil sie sich die Materialien nicht leisten können: Zum Beispiel Notebooks, Uniformen oder die Schuhe, die sie nach Vorgabe der Politik alle tragen müssen.   

Ab dem 7. April werden die Leute in Ruanda eine Woche trauern. Wie? 
Es gibt jeden Nachmittag Treffen in den Gemeinden. Leute, die eigens dafür ausgebildet wurden, werden mit uns über die Geschichte sprechen, wir werden Augenzeugenberichte lesen, Filme sehen und Dörfer von Überlebenden besuchen. Meine Familie, Freunde und ich werden ihnen mit handwerklichen Aufgaben helfen. Zum Beispiel beim Häuser bauen. Alle Läden, Märkte und Bars sind nachmittags geschlossen und keiner darf arbeiten. Es soll keine Unterhaltung geben. Das Militär und die Polizei passen auf, dass alle an diesen Tage teilnehmen. Wer die Treffen ignoriert, kann bestraft werden.
        

 * Ngaboyisonga ist nicht der richtige Name des Interviewten. Er wollte anonym bleiben, da es in Ruanda keine Meinungsfreiheit gibt und die Regierung Andersdenkende drangsaliert oder bestraft. Viele Oppositionsführer stehen etwa unter Arrest.
     



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