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Die Hippie-Uni

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Mathe und Deutsch: okay. Aber eine Fahrtkarte kaufen? Da setzt’s bei jedem fünften Schüler aus. Deutsche Schüler können keine Probleme des alltäglichen Lebens lösen – das besagt das Ergebnis des neuesten PISA-Tests. Schnell ertönte darauf die Forderung nach Bildung, die Kreativität und selbstständiges Denken fördert. Aber wie soll das gehen? 




Räume: selbst gestaltet, Essen: selbst gekocht, Unterricht: selbst ausgesucht: Das sind Knowmads

„Indem wir den Leuten ihr Selbstvertrauen zurückgeben“, sagt Pieter Spinder. In der Knowmads-Business-School, die er 2010 in Amsterdam gegründet hat, versucht er genau das. Denn er glaubt, dass in jedem Menschen Kreativität steckt, nur werde den Leuten im Alter von 13 bis 18 Jahren zu viel vorgegeben, alles sei zu formalisiert. So verlieren sie ihre Kreativität. In Spinders Hochschule sollen sie die wieder erlangen – indem sie möglichst viel selber machen.  

Die 20 bis 35 Jahre alten Studenten besuchen die Schule ein Jahr lang – und was sie dabei machen, das entscheiden sie selbst. Die Herausforderung sei, nicht zu viel vorzugeben. „Wir geben ihnen ein leeres Blatt Papier“, erklärt Spinder. Damit meint er den Lehrplan, die Studenten müssen ihn selbst gestalten. Auch wenn die Schule einen Teil der Kurse organisiert, gleich zu Beginn wird den Studenten die Hälfte ihrer 5500 Euro Studiengebühren zurückgegeben: Damit sollen sie selbst Workshops organisieren. Einen geregelten Tagesablauf gibt es nicht, dennoch lassen sich ungefähr gleichbleibende Muster erkennen. „Meistens kommen die Studenten so morgens um neun und bleiben bis lange in die Nacht, bis elf oder zwölf Uhr“, sagt Spinder. „Sie haben Schlüssel zu ihrer Uni, putzen und kochen gemeinsam, arbeiten im Garten und gestalten die Räume, so wie sie es wollen.“  




Pieter Spinder, der Gründer der Knowmads-Schule


Statt Semestern gibt es hier „Tribes“, statt 100 Studenten besteht ein Tribe aus sechs bis zwölf Studenten. Die kommen aus aller Welt und haben verschiedene Hintergründe, es gibt Schul-, und Studienabbrecher ebenso wie Leute mit abgeschlossenem Studium. Unterstützt werden sie nicht von Professoren, sondern „Tribe-Leaders“, die kann man sich wie eine Mischung aus Lehrer und Freund vorstellen. Sie halten Workshops oder helfen den Studenten bei ihren Projekten, coachen sie, kochen, laden sie regelmäßig zum Essen zu sich nach Hause ein. An Stelle eines festen Stundenplans gibt es nur lose Rahmenbedingungen. Montags zum Beispiel ein gemeinsames Frühstück, auch mit den Leuten aus dem „Greenhouse“, dem Co-Working-Space nebenan oder anderen Besuchern, Dienstag und Donnerstag Workshops, Freitags gibt es oft Vorträge, die „What-the-fuck-Lectures“ genannt werden. Mittwochs arbeitet man an Projekten, an eigenen oder welchen, die in Kooperation mit NGOs oder Unternehmen laufen. Mit Start-ups, oder großen wie der Telekom. Idealerweise sollten die Studenten mit den Projekten ihre Studiengebühren wieder reinholen – tatsächlich, sagt Spinder, sei das bisher nur zwei Absolventen gelungen. Geld ist insgesamt nicht das Ziel der Knowmads, vielmehr Gutes. Die Schule will verantwortungsbewusstes Unternehmertum lehren.  

Und nach dem Jahr? Die Studenten bekommen keinen anerkannten Abschluss. Eine deutsche Absolventin arbeite in der Innovationsabteilung von Volkswagen, sagt Spinder. Andere haben eine Slowfood-Firma gegründet. Er meint, zunehmend werde der Abschluss weniger wichtig. Tribe-Leader Jake Esman findet den Erfolgsansatz falsch: „Es geht nach dem Jahr nicht direkt darum, erfolgreich zu sein. Die Studenten sollen Dinge finden, die für sie selbst bedeutungsvoll sind, wir wollen ihre inneren Anreize und Motivation finden und fördern.“ 

 Sich selbst finden, herausfinden, was man will – das ist ein wichtiger Teil der Ausbildung. So heißen die Workshops der Studierenden nicht nur „Marketing“ oder „Getting Things done“ sondern behandelten alles, was die Studenten interessiert. Einer habe sich Journalismus gewünscht, erklärt ein Tribe-Leader. Also kam eine Journalistin und zeigte den Studenten, wie Reporter und Redakteure arbeiten. Manchmal gibt es auch Workshops zu Körperbewusstsein. Eben genau zu dem, was die Studenten gerade „brauchen“.  

„Brauchen“, das sagt Pieter Spinder oft. Er gebe den Studenten Aufmerksamkeit und Unterstützung, gebe ihnen das, was fehlt. Spinder doziert nebenher an einer anderen Hochschule in Amsterdam und hat Wirtschaft und Philosophie studiert. Auch die anderen aktuellen Tribe-Leader kommen aus der Wirtschaft und haben einen Uni-Abschluss. Doch das sei egal. Sie mögen nicht, dass man sie danach fragt, was jemand für Zertifikate hat. Verständlich, denn Uniabschlüsse setzen Grenzen. Und schon das Wort „Knowmads“ drückt Grenzenlosigkeit aus. Es setzt sich aus „Know“, Wissen, und „Nomads“, Nomaden, zusammen. Nach der Definition von John Moravec, einem Forscher zur Zukunft von Bildung und Arbeit, ist ein Knowmad jemand, der kreativ und innovativ ist und überall, mit allen und jederzeit arbeiten kann. Bei einem Nomaden ist nicht wichtig, wo er herkommt, sondern was er kann. 

In der Schule in Amsterdam geht es dezidiert um Unternehmertum. Doch Spinder sagt, Knowmads funktioniere auch in anderen Bereichen. In Tel Aviv gebe es ein Knowmads-Programm für Lehramtsstudenten. Man kann dort einen 4-jährigen Bachelor machen. Die Philosophie dahinter ist die gleiche. „Es ist egal, ob ich Lehrer bin oder Unternehmer. Es geht darum, selbst in Aktion zu treten.“ 


Spinder hat Erfahrung mit alternativen Bildungsprojekten, vor Knowmads hat er zum Beispiel bei der niederländischen Version der Kaospiloten doziert, einem inzwischen eingestellten Studiengang für kreatives Management. Das normale Bildungssystem sei „industriell“. Formalisiert und veraltet. Dabei rufe die Gesellschaft nach Kreativität und Flexibilität.  

Dass es bei den Knowmads chaotisch zugeht, verleugnet niemand. Jaron Reisman, ein Tribe-Leader, betont: „Wir machen das Leben nicht leichter. Leute einfach mit Wissen zu füttern, das ist einfacher als sie zu inspirieren, wirklich ihr eigenes Leben zu leben“. Wer hier ankomme, lande in einem Chaos. Alles ändere sich ständig. Aber genau das bräuchten die Studenten. „Denn genauso ist die Welt.“ 



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