Es begann in Harvard: Studenten der amerikanischen Elite-Universität starteten den Foto-Tumblr "I, Too, Am Harvard", um auf die Diskriminierung ethnischer Minderheiten aufmerksam zu machen. Sie hielten Schilder in die Kamera, auf denen sie Zitate von Kommilitonen ("You’re lucky to be black...so easy to get into college") oder ihre Gedanken und Forderungen ("Please don’t pet my hair...I am not an animal") notierten. Der Tumblr wurde auf Facebook und Twitter tausende Male geteilt. Mitte März zog die englische Uni-Elite mit "I, Too, Am Oxford" nach – und hat in den sozialen Netzwerken und der englischen Presse eine große Diskussion um Diskriminierung an Elite-Unis entfacht, unter anderem im Guardian. Marion, 23, ist Masterstudentin in Oxford, eine der Aktivistinnen und hat mit uns über "Mikroverletzungen" und den Zusammenhang von Postkolonialismustheorien und Rassismus gesprochen.
[plugin bildergalerielight Bild1="Marion mit ihrem Beitrag zu I, Too, Am Oxford"" Bild2="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild3="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild4="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild5="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild6="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild8="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford"]
In Oxford gingen im vergangenen Jahr nur 375 der knapp 3000 Bachelorstudienplätze an nicht-EU-Bürger. Sind Orte wie Oxford und Harvard "weiße" Institutionen?
Größtenteils schon. Ich habe das Gefühl, das Thema wird gerade an Traditions-Unis überhaupt nicht zur Sprache gebracht. In Großbritannien herrscht noch ein extremes Klassendenken, das kommt an Elite-Institutionen besonders zum Tragen. Armut wird hier oft mit der Arbeiterklasse assoziiert. Auch wenn einige Studenten aus dem Ausland kommen, stimmt es eben auch, dass ein Großteil Privatschulen besucht und einen entsprechenden Hintergrund hat.
Würde man nicht eigentlich erwarten, dass Rassismus für junge, intelligente Menschen in einem internationalen Umfeld wie Oxford kein mehr Thema ist?
Den Kommentar haben wir im Laufe der Kampagne oft gehört: "Die sind doch schlau, klar sind die nicht rassistisch." Aber das wäre zu einfach. Intelligenz und Diskriminierung schließen sich nicht aus. Ich bin in London aufgewachsen - das ist eine internationale, superoffene Stadt. Ich habe dort so etwas wie Rassismus nie erlebt. Das erste Mal ist es mir hier begegnet. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Wenn ich mit meinen Freunden von anderen Unis gesprochen habe, waren die total perplex, weil das bei ihnen einfach nicht vorkommt.
Was für Situationen hast du erlebt?
In meiner ersten Univorlesung hat sich zum Beispiel ein Student einfach von mir weggesetzt. Ziemlich oft gibt es Kommentare zu meinem Akzent. Mir geht es aber nicht nur um so offensichtliche Beispiele, sondern um die alltäglichen "Mikroverletzungen" die man erfährt und die die meisten gar nicht wahrnehmen.
Was meinst du mit "Mikroverletzungen"?
Ich meine Kommentare, die sich nicht in eine offene Diskussion verwandeln lassen. Es gibt zum Beispiel den Stereotyp "fierce black woman", der darauf anspielt, das schwarze Frauen schnell aufbrausend werden. Wenn ich meine Meinung sage, kommt manchmal eine Bemerkung in die Richtung, die es schwierig macht, ernst genommen zu werden. Wenn man das dann anspricht, heißt es: Das war doch nur ein Witz, sei nicht so empfindlich.
Die Uni hält mit Integrationsbeauftragten, Sonderstipendien und "International Societies" den Eindruck einer weltoffenen Institution aufrecht. Wie viel bewirkt das wirklich?
Das Wort "Sonderstipendium" trifft es schon ziemlich genau. Spezielle Finanzierungen für ethnische Minderheiten weisen genau auf dieses Denkmuster hin: Schwarz heißt arm und weiß heißt reich. Es ist zwar gut, das solche Dinge wie Förderungsmöglichkeiten oder Integrationsbeauftragte existieren, weil es zeigt, dass die Universität wenigstens versucht, etwas gerade zu rücken. Der Punkt ist aber, dass es das gar nicht geben müsste - in einem gesunden Umfeld sollten sich Minderheiten bewusst nicht als solche erleben.
Was kann die Uni also tun?
Eine Institution wie Oxford hat die Chance, das Klischee zum Gegenteil zu wenden. Gerade hier sollte es darum gehen, was jemand kann, und nicht, wo er herkommt oder welche Hautfarbe er hat. Es geht aber nicht nur um die Uni, sondern um ein generelles Umdenken. Dass es eine dominiert weiße Gesellschaft gibt, geben die Menschen nicht gerne zu. Es sollte einen offenen Dialog geben, der das anspricht und Missverständnisse aus dem Weg räumt. Das ist aber nichts, das über Nacht geschieht.
Kurz nach "I, Too, Am Oxford" startete die Gegeninitiative "We Are All Oxford", die den Vorwurf der Diskriminierung entgegentreten will. Ein Foto zeigt zwei weiße Studentinnen, die Schilder hochhalten, auf denen steht: "Wir kommen von einer staatlichen Schule. Siehst du uns das an?" Illustriert so eine Reaktion das Problem, das ihr ansprechen wollt?
Ja, absolut. Ich glaube, man hatte Angst um den Ruf der Institution und wollte das Problem schnell unter den Teppich kehren. Wir haben klar gemacht, dass wir Oxford nicht als rassistische Institution darstellen wollen. Viele sind sich gar nicht bewusst, wie ihre Kommentare rüberkommen - da würde ich die Gegenkampagne direkt mal mit einschließen. Es geht nicht darum, jemandem oder der Uni direkt Rassismus vorzuwerfen, sondern darum, auf bestimmte Kommunikationsmuster aufmerksam zu machen. Ich würde das nicht speziell rassistisch nennen. Nicht-körperliche Gewalt oder Verletzung ist etwas viel Subtileres, was schwer zu beschreiben ist.
Auf deinem Schild steht: "Nur weil du Postkolonialismustheorien kennst, kannst du noch lange nicht für mich sprechen." Fördert ein akademischer Rahmen auch so etwas wie falsches Verständnis?
Definitiv. Manche lesen im Seminar ein paar Standardwerke zu Postcolonial Theory und glauben, sie haben das Problem verstanden. Ich habe dann oft das Gefühl, dass mir die Stimme genommen wird. So nach dem Motto: "Wir verstehen wie du dich fühlst, wir haben den Text gelesen."
Ein Vorwurf der Gegeninitiative war, dass ihr andere Studenten mit multinationalem Hintergrund davon abhaltet, sich zu bewerben, weil ihr Oxford als rassistisch darstellt.
Das ist absolut nicht wahr. Im Gegenteil, es sollte motivieren, sich zu bewerben. Wir zeigen, dass hier eine starke Gemeinschaft wartet, die das Problem nicht totschweigt und etwas ändern will.
Hat die Kampagne für dich also ihr Ziel erreicht?
Für mich war der Hauptgrund, bei der Aktion mitzumachen, ein Forum zu eröffnen und Probleme von ethnischen Minderheiten offen anzusprechen. Ich denke, in den USA ist das Thema Rassismus durch den historischen Hintergrund viel präsenter, in England gibt es kein aktives Bewusstsein dafür. Eine Aktion wie "I, Too, Am Oxford" schlägt dann ein wie eine Bombe. Schon in den ersten Tagen nachdem die Kampagne gestartet ist, hatte ich wahnsinnig viele Diskussionen mit allen möglichen Leuten - Freunde, Kommilitonen oder auch mit Fremden. Man kann es unnötig finden oder großartig. Aber wenn die Leute nur eine Sekunde darüber nachgedacht haben, haben wir schon etwas gewonnen. Darauf bin ich auf jeden Fall stolz.
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In Oxford gingen im vergangenen Jahr nur 375 der knapp 3000 Bachelorstudienplätze an nicht-EU-Bürger. Sind Orte wie Oxford und Harvard "weiße" Institutionen?
Größtenteils schon. Ich habe das Gefühl, das Thema wird gerade an Traditions-Unis überhaupt nicht zur Sprache gebracht. In Großbritannien herrscht noch ein extremes Klassendenken, das kommt an Elite-Institutionen besonders zum Tragen. Armut wird hier oft mit der Arbeiterklasse assoziiert. Auch wenn einige Studenten aus dem Ausland kommen, stimmt es eben auch, dass ein Großteil Privatschulen besucht und einen entsprechenden Hintergrund hat.
Würde man nicht eigentlich erwarten, dass Rassismus für junge, intelligente Menschen in einem internationalen Umfeld wie Oxford kein mehr Thema ist?
Den Kommentar haben wir im Laufe der Kampagne oft gehört: "Die sind doch schlau, klar sind die nicht rassistisch." Aber das wäre zu einfach. Intelligenz und Diskriminierung schließen sich nicht aus. Ich bin in London aufgewachsen - das ist eine internationale, superoffene Stadt. Ich habe dort so etwas wie Rassismus nie erlebt. Das erste Mal ist es mir hier begegnet. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Wenn ich mit meinen Freunden von anderen Unis gesprochen habe, waren die total perplex, weil das bei ihnen einfach nicht vorkommt.
Was für Situationen hast du erlebt?
In meiner ersten Univorlesung hat sich zum Beispiel ein Student einfach von mir weggesetzt. Ziemlich oft gibt es Kommentare zu meinem Akzent. Mir geht es aber nicht nur um so offensichtliche Beispiele, sondern um die alltäglichen "Mikroverletzungen" die man erfährt und die die meisten gar nicht wahrnehmen.
Was meinst du mit "Mikroverletzungen"?
Ich meine Kommentare, die sich nicht in eine offene Diskussion verwandeln lassen. Es gibt zum Beispiel den Stereotyp "fierce black woman", der darauf anspielt, das schwarze Frauen schnell aufbrausend werden. Wenn ich meine Meinung sage, kommt manchmal eine Bemerkung in die Richtung, die es schwierig macht, ernst genommen zu werden. Wenn man das dann anspricht, heißt es: Das war doch nur ein Witz, sei nicht so empfindlich.
Die Uni hält mit Integrationsbeauftragten, Sonderstipendien und "International Societies" den Eindruck einer weltoffenen Institution aufrecht. Wie viel bewirkt das wirklich?
Das Wort "Sonderstipendium" trifft es schon ziemlich genau. Spezielle Finanzierungen für ethnische Minderheiten weisen genau auf dieses Denkmuster hin: Schwarz heißt arm und weiß heißt reich. Es ist zwar gut, das solche Dinge wie Förderungsmöglichkeiten oder Integrationsbeauftragte existieren, weil es zeigt, dass die Universität wenigstens versucht, etwas gerade zu rücken. Der Punkt ist aber, dass es das gar nicht geben müsste - in einem gesunden Umfeld sollten sich Minderheiten bewusst nicht als solche erleben.
Was kann die Uni also tun?
Eine Institution wie Oxford hat die Chance, das Klischee zum Gegenteil zu wenden. Gerade hier sollte es darum gehen, was jemand kann, und nicht, wo er herkommt oder welche Hautfarbe er hat. Es geht aber nicht nur um die Uni, sondern um ein generelles Umdenken. Dass es eine dominiert weiße Gesellschaft gibt, geben die Menschen nicht gerne zu. Es sollte einen offenen Dialog geben, der das anspricht und Missverständnisse aus dem Weg räumt. Das ist aber nichts, das über Nacht geschieht.
Kurz nach "I, Too, Am Oxford" startete die Gegeninitiative "We Are All Oxford", die den Vorwurf der Diskriminierung entgegentreten will. Ein Foto zeigt zwei weiße Studentinnen, die Schilder hochhalten, auf denen steht: "Wir kommen von einer staatlichen Schule. Siehst du uns das an?" Illustriert so eine Reaktion das Problem, das ihr ansprechen wollt?
Ja, absolut. Ich glaube, man hatte Angst um den Ruf der Institution und wollte das Problem schnell unter den Teppich kehren. Wir haben klar gemacht, dass wir Oxford nicht als rassistische Institution darstellen wollen. Viele sind sich gar nicht bewusst, wie ihre Kommentare rüberkommen - da würde ich die Gegenkampagne direkt mal mit einschließen. Es geht nicht darum, jemandem oder der Uni direkt Rassismus vorzuwerfen, sondern darum, auf bestimmte Kommunikationsmuster aufmerksam zu machen. Ich würde das nicht speziell rassistisch nennen. Nicht-körperliche Gewalt oder Verletzung ist etwas viel Subtileres, was schwer zu beschreiben ist.
Auf deinem Schild steht: "Nur weil du Postkolonialismustheorien kennst, kannst du noch lange nicht für mich sprechen." Fördert ein akademischer Rahmen auch so etwas wie falsches Verständnis?
Definitiv. Manche lesen im Seminar ein paar Standardwerke zu Postcolonial Theory und glauben, sie haben das Problem verstanden. Ich habe dann oft das Gefühl, dass mir die Stimme genommen wird. So nach dem Motto: "Wir verstehen wie du dich fühlst, wir haben den Text gelesen."
Ein Vorwurf der Gegeninitiative war, dass ihr andere Studenten mit multinationalem Hintergrund davon abhaltet, sich zu bewerben, weil ihr Oxford als rassistisch darstellt.
Das ist absolut nicht wahr. Im Gegenteil, es sollte motivieren, sich zu bewerben. Wir zeigen, dass hier eine starke Gemeinschaft wartet, die das Problem nicht totschweigt und etwas ändern will.
Hat die Kampagne für dich also ihr Ziel erreicht?
Für mich war der Hauptgrund, bei der Aktion mitzumachen, ein Forum zu eröffnen und Probleme von ethnischen Minderheiten offen anzusprechen. Ich denke, in den USA ist das Thema Rassismus durch den historischen Hintergrund viel präsenter, in England gibt es kein aktives Bewusstsein dafür. Eine Aktion wie "I, Too, Am Oxford" schlägt dann ein wie eine Bombe. Schon in den ersten Tagen nachdem die Kampagne gestartet ist, hatte ich wahnsinnig viele Diskussionen mit allen möglichen Leuten - Freunde, Kommilitonen oder auch mit Fremden. Man kann es unnötig finden oder großartig. Aber wenn die Leute nur eine Sekunde darüber nachgedacht haben, haben wir schon etwas gewonnen. Darauf bin ich auf jeden Fall stolz.