Hund und Katz, Noel und Liam, Anwohner und Barbesucher: klar. Die hassen einander von Berufs wegen. Aber es gibt schönere, subtilere Feindschaften. Denen widmen wir die Serie "Alltagsduell". Hier findest du alle Folgen.
Es ist Samstag kurz vor fünf, der Biomarkt-Kunde eilt mit zwei Recycling-Tüten auf dem Arm durch den Ausgang des Supermarkts. Er hat alles – genügend Bargeld, Wochenendlaune, eine gut sitzende Frisur – nur eines hat er gerade überhaupt nicht: Zeit für Unvorhergesehenes. In zwei Stunden kommen die Gäste und der Wein muss noch kaltgestellt und das Gratin in den Backof... – "Schönen Guten Tach!", ruft ein Junge und tritt aus einem gelben Zeltpavillon in den Weg des Biomarkt-Kunden. "Sie haben doch bestimmt auch was gegen Folter / die Brandrodung des Regenwalds / den Massenmord an Orang Utans, oder?" Über seinem Sweatshirt trägt der Junge ein grellfarbiges T-Shirt, auf seinem Gesicht das gusseiserne Grinsen, wie es der Biomarkt-Kunde von den Aboverkäufern kennt, die er an der U-Bahn gelegentlich abwimmelt.
Beide meinen's gut - aber wenn sie aufeinander treffen, geht's beiden schlecht: Ökologisch bewusste Kunden und Aktivisten von Wohltätigkeitsorganisationen.
Mit diesem strahlenden Jungen ist das leider anders. Sein Lächeln hat keinen merkantilen Zweck. Er verkauft hier nichts, er sucht Förderer für eine gute Sache. Er steht hier für Amnesty International, den WWF oder Unicef. Der Biomarkt-Kunde kann also schlecht wimmeln, er stoppt kurz, er lächelt zurück, "ja, äh, natürlich", er würde jetzt gern sagen, dass er nach dem Taifun Haiyan 300 Euro für die Philippinen gespendet hat, seit zwölf Jahren Grün wählt und überhaupt, er zuckt jetzt vielsagend mit den Recycling-Tüten auf dem Arm, schon lang nichts mehr beim Discounter kauft! Aber, verflixt, die Gäste kommen, der Wein muss ins Kühlfach und das verdammte Gratin... Mit bedauerndem Stirnrunzeln tänzelt er einen Halbkreis um den Jungen, der ihm mit Klemmbrett in der Hand und offenem Mund nachblickt.
Auf Plätzen vor Bio-Supermärkten in Großstädten. In Gegenden, deren Anwohner ausreichend Geld für Altbauwohnungen an der Oberkante des Mietspiegels sowie für Einkäufe in Bio-Supermärkten haben und folglich an der tendenziellen Verbesserung der Welt nicht uninteressiert sind. In ähnlicher, weniger lupenreiner Konstellation treffen sie auch auf sonstigen Stadt- und Rummelplätzen aufeinander, deren Frequentierung den Aufbau eines Spenden-Pavillons zum lohnenden Unterfangen macht.
Beide Kontrahenten wollen grundsätzlich dasselbe – die Verbesserung der Welt. Sie wollen es aber auf verschiedenem Wege und in unterschiedlicher Dosierung. Der Biomarkt-Kunde hat im Kampf für das Gute die Rolle des Mäzens gewählt: Er steckt größere Teile seines nicht unbeträchtlichen Einkommens in regional produzierte Hühnchenbrustfilets und fairgehandeltes Kakaopulver, er wählt bei jeder Kommunalwahl ökologisch korrekt, er fährt einen sparsamen Kleinwagen und heizt im Winter nur das Wohnzimmer. Er ist also, gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt, schon deutlich auf dem richtigen Weg zu einer gerechteren Welt. Auch wenn er sich dafür nicht auf der Straße einen Sonnenbrand holen will.
Der nette Student, der hier mit Klemmbrett für Amnesty wirbt, tut genau das, und macht dem Biomarkt-Kunden dadurch ein schlechtes Gewissen. Warum fragt er ausgerechnet ihn? Es gäbe da draußen doch so viele, die noch gar nichts für die Welt tun! Die Landrover fahren und Nescafé trinken! Weil er ahnt, dass der Amnesty-Junge dieses Argument nicht gelten lässt, macht der Biomarkt-Kunde das, was er eigentlich verachtet: Er wimmelt den Aktivisten ab und geht weiter. Was diesen wiederum in seiner Erfahrung bestätigt, dass die gutfrisierten Kunden von Bio-Supermärkten tendenziell die verlogensten Geizhälse von allen sind.
Im Grunde handelt es sich bei dem Duell vor dem Bio-Supermarkt um Kannibalismus. Zwei Menschen, die etwas Gutes tun, frustrieren sich gegenseitig. Dabei könnte das Problem kinderleicht gelöst werden: indem der Amnesty-Aktivist nicht im Loha-Viertel auf Suche nach Spendern geht, sondern an einem Ort, wo das Gewissen der Passanten tendenziell schlechter sein müsste - sagen wir, vor dem Lidl neben der Shell-Konzernzentrale. Dass das Pavillonzelt trotzdem immer wieder vor dem Biomarkt steht, kann den genervten Kunden immerhin trösten: Offenbar gibt es dort statistisch doch die meisten Unterstützer der guten Sache.
Plus und Plus ergibt manchmal leider doch Minus.
Die Situation:
Es ist Samstag kurz vor fünf, der Biomarkt-Kunde eilt mit zwei Recycling-Tüten auf dem Arm durch den Ausgang des Supermarkts. Er hat alles – genügend Bargeld, Wochenendlaune, eine gut sitzende Frisur – nur eines hat er gerade überhaupt nicht: Zeit für Unvorhergesehenes. In zwei Stunden kommen die Gäste und der Wein muss noch kaltgestellt und das Gratin in den Backof... – "Schönen Guten Tach!", ruft ein Junge und tritt aus einem gelben Zeltpavillon in den Weg des Biomarkt-Kunden. "Sie haben doch bestimmt auch was gegen Folter / die Brandrodung des Regenwalds / den Massenmord an Orang Utans, oder?" Über seinem Sweatshirt trägt der Junge ein grellfarbiges T-Shirt, auf seinem Gesicht das gusseiserne Grinsen, wie es der Biomarkt-Kunde von den Aboverkäufern kennt, die er an der U-Bahn gelegentlich abwimmelt.
Beide meinen's gut - aber wenn sie aufeinander treffen, geht's beiden schlecht: Ökologisch bewusste Kunden und Aktivisten von Wohltätigkeitsorganisationen.
Mit diesem strahlenden Jungen ist das leider anders. Sein Lächeln hat keinen merkantilen Zweck. Er verkauft hier nichts, er sucht Förderer für eine gute Sache. Er steht hier für Amnesty International, den WWF oder Unicef. Der Biomarkt-Kunde kann also schlecht wimmeln, er stoppt kurz, er lächelt zurück, "ja, äh, natürlich", er würde jetzt gern sagen, dass er nach dem Taifun Haiyan 300 Euro für die Philippinen gespendet hat, seit zwölf Jahren Grün wählt und überhaupt, er zuckt jetzt vielsagend mit den Recycling-Tüten auf dem Arm, schon lang nichts mehr beim Discounter kauft! Aber, verflixt, die Gäste kommen, der Wein muss ins Kühlfach und das verdammte Gratin... Mit bedauerndem Stirnrunzeln tänzelt er einen Halbkreis um den Jungen, der ihm mit Klemmbrett in der Hand und offenem Mund nachblickt.
Dort treffen sie aufeinander:
Auf Plätzen vor Bio-Supermärkten in Großstädten. In Gegenden, deren Anwohner ausreichend Geld für Altbauwohnungen an der Oberkante des Mietspiegels sowie für Einkäufe in Bio-Supermärkten haben und folglich an der tendenziellen Verbesserung der Welt nicht uninteressiert sind. In ähnlicher, weniger lupenreiner Konstellation treffen sie auch auf sonstigen Stadt- und Rummelplätzen aufeinander, deren Frequentierung den Aufbau eines Spenden-Pavillons zum lohnenden Unterfangen macht.
Darum hassen sie einander:
Beide Kontrahenten wollen grundsätzlich dasselbe – die Verbesserung der Welt. Sie wollen es aber auf verschiedenem Wege und in unterschiedlicher Dosierung. Der Biomarkt-Kunde hat im Kampf für das Gute die Rolle des Mäzens gewählt: Er steckt größere Teile seines nicht unbeträchtlichen Einkommens in regional produzierte Hühnchenbrustfilets und fairgehandeltes Kakaopulver, er wählt bei jeder Kommunalwahl ökologisch korrekt, er fährt einen sparsamen Kleinwagen und heizt im Winter nur das Wohnzimmer. Er ist also, gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt, schon deutlich auf dem richtigen Weg zu einer gerechteren Welt. Auch wenn er sich dafür nicht auf der Straße einen Sonnenbrand holen will.
Der nette Student, der hier mit Klemmbrett für Amnesty wirbt, tut genau das, und macht dem Biomarkt-Kunden dadurch ein schlechtes Gewissen. Warum fragt er ausgerechnet ihn? Es gäbe da draußen doch so viele, die noch gar nichts für die Welt tun! Die Landrover fahren und Nescafé trinken! Weil er ahnt, dass der Amnesty-Junge dieses Argument nicht gelten lässt, macht der Biomarkt-Kunde das, was er eigentlich verachtet: Er wimmelt den Aktivisten ab und geht weiter. Was diesen wiederum in seiner Erfahrung bestätigt, dass die gutfrisierten Kunden von Bio-Supermärkten tendenziell die verlogensten Geizhälse von allen sind.
Die besondere Schönheit des Konflikts:
Im Grunde handelt es sich bei dem Duell vor dem Bio-Supermarkt um Kannibalismus. Zwei Menschen, die etwas Gutes tun, frustrieren sich gegenseitig. Dabei könnte das Problem kinderleicht gelöst werden: indem der Amnesty-Aktivist nicht im Loha-Viertel auf Suche nach Spendern geht, sondern an einem Ort, wo das Gewissen der Passanten tendenziell schlechter sein müsste - sagen wir, vor dem Lidl neben der Shell-Konzernzentrale. Dass das Pavillonzelt trotzdem immer wieder vor dem Biomarkt steht, kann den genervten Kunden immerhin trösten: Offenbar gibt es dort statistisch doch die meisten Unterstützer der guten Sache.
Das können wir von ihnen lernen:
Plus und Plus ergibt manchmal leider doch Minus.