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Mit Geld und Beziehungen

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Es sind geschäftige Tage für Sergej Taruta, den Gouverneur der Region Donezk im Osten der Ukraine. Da sind die Schadensmeldungen der Staatsanwaltschaft und des Geheimdienstes, deren Gebäude prorussische Agitatoren vor ein paar Tagen vorübergehend besetzt hatten. Taruta muss neue Chefs für acht Polizeireviere finden, deren Leiter er gefeuert oder versetzt hat. Zwischendurch muss der Gouverneur zu den Bauarbeiten an der Grenze, wo Bagger einen Graben ausheben, um der russischen Armee im Fall einer Invasion den Vormarsch zu erschweren.



In Donezk, in der gespaltenen Ostukraine, haben weiterhin Oligarchend die Fäden in der Hand

Noch vor ein paar Wochen las Taruta vor allem Geschäftsberichte und Stahlmarktanalysen – als Chef des Stahlkonzerns Industrieunion Donbass. Am 2. März aber machte die Übergangsregierung in Kiew Taruta und andere ukrainische Oligarchen in ihrer jeweiligen Heimat zu Gouverneuren. Die Aufgabe der Oligarchen-Gouverneure: Mit ihrem Einfluss, dem Kommando über die Staatsstrukturen und notfalls auch eigenem Geld die Lage zu stabilisieren und zu verhindern, dass Russland nach der Krim weitere Gebiete unter seine Kontrolle bringt.

„Die Oligarchen haben Einfluss, Beziehungen und Geld. Insofern gab es zu ihrer Ernennung in dieser Krisensituation keine Alternative – in der Ostukraine gibt es bisher keine politisch-gesellschaftliche Elite, die sich mit ihnen messen könnte“, sagt Walentin Krasnoperow von der Bürgergruppe Tschesno („Ehrlich“) in Donezk. „Aber es bleibt ein riskanter Schritt.“ Riskant, weil Hunderttausende Ukrainer auf dem Maidan nicht nur eine Annäherung an Europa und den Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch verlangten, sondern auch ein Ende der Oligarchenherrschaft im Land.

Wie in Russland kamen auch im ukrainischen Raubritterkapitalismus einige Wenige schnell zu großen Vermögen – für gewöhnlich, indem sie sich bei manipulierten Privatisierungen staatliche Fabriken, Kohlegruben oder Immobilien, Bauland oder Handelslizenzen zum Bruchteil des eigentlichen Wertes unter den Nagel rissen. Der Anteils der Oligarchen an der Wirtschaftsleistung liegt der Ukrainian Week zufolge bei 60 Prozent.

Allein der reichste Ukrainer, der 47 Jahre alte Rinat Achmetow, beschäftigt in Donezk und darüber hinaus ungefähr 300000 Menschen. Die ukrainische Forbes-Ausgabe schätzt Achmetows Vermögen auf gut 15 Milliarden Dollar. Seit Janukowitsch 2010 Präsident wurde, profitierte Achmetow überdurchschnittlich von Staatsaufträgen und Privatisierungen. Im Parlament soll der Oligarch bis zu 60 Abgeordnete kontrollieren, sagt Sergej Leschtschenko, der die Verbindungen von Politikern und Oligarchen für die Ukrainska Prawda verfolgt. „Wenn man die Lebensläufe der Abgeordneten durchforstet, findet man reihenweise ehemalige Manager, Leibwächter oder Fahrer Achmetows.“ Das war auch in Donezk nicht anders: Dort residierte noch vor kurzem Achmetows ehemaliger Manager Andrej Schischatzky im Büro des Gouverneurs. Als er am 2. März von Oligarch Taruta abgelöst wurde, wechselte er übergangslos ins Amt des Parlamentspräsidenten der Region Donezk – lokalen Beobachtern zufolge mit Achmetows Zustimmung. „Sowohl der Stadtrat von Donezk wie das Regionalparlament von Donezk werden von Achmetow kontrolliert“, sagt Volodymir Kipen vom Institut für Sozialforschung in Donezk. Ob der neue Gouverneur die Lage wirklich kontrolliert, darf man bezweifeln. Als sich in den ersten beiden Märzwochen der prorussische Agitator Pawel Gubarew in Donezk zum „Volksgouverneur“ ausrief und den Anschluss an Russland verlangte, blieben Polizei, Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst merkwürdig passiv. Das änderte sich selbst dann nicht, als Neugouverneur Taruta die oberste Führung von Polizei und Geheimdienst in der Stadt austauschte.

Neben Organisatoren der russischen Geheimdienste und ultranationalistischen Gruppen, die in den vergangenen Wochen zu Hunderten in die Ostukraine reisten, vermuten manche Ukrainer auch den passiven Widerstand von Oligarch Achmetow hinter den fortdauernden prorussischen Protesten. „Achmetows Einfluss ist in Donezk bis in Polizei und Geheimdienst hinein so groß, dass er die Proteste mit einem Schlag beenden könnte, wenn er wollte“, sagt der ukrainische Elitenforscher Taras Kuzio. „Aber er will nicht – weil er sich mit dem Rücken zur Wand sieht.“ Seit dem Sturz Viktor Janukowitschs sind nicht nur der ehemalige Präsident, sondern auch sein Sohn Alexander und andere unter Janukowitsch schnell zu Milliardären gewordene Oligarchen ins Ausland geflohen. Doch dort ist es nicht mehr so sicher wie früher: Der mit dem Gashandel zwischen Russland und der Ukraine reichgewordene Dmitrij Firtasch zum Beispiel, der Reichtum und Einfluss mit Gefolgsleuten und Geschäftspartnern sowohl in der Janukowitsch-Regierung wie im Parlament absicherte, setzte sich nach Janukowitschs Flucht nach Wien ab.

Dort aber wurde Firtasch am 13. März festgenommen. Er wird möglicherweise bald in die USA ausgeliefert: Die Behörden wollen ihm wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung den Prozess machen. „Als Oligarch, der bis zum Schluss zu Janukowitsch stand und unter ihm massiv profitiert hat, weiß Rinat Achmetow, dass auch er jetzt in Gefahr sein könnte“, glaubt Forscher Kuzio. „Die fortdauernden Proteste sind auch eine Botschaft Achmetows an die neue Kiewer Regierung: Lasst mich in Ruhe – sonst mache ich euch im Osten Ärger.“ Eigentlich, da sind sich Aktivisten, Politologen und Wirtschaftsforscher nicht nur in der Ukraine einig, müsste die Macht der Oligarchen gebrochen werden.

„Manipulierte Privatisierungen müssten überprüft, korrupte Funktionäre bestraft und die Finanzierung der Wahlkämpfe durch die Oligarchen beendet werden“, sagt der Oligarchie-Spezialist Leschtschenko. „Wir müssten das komplette System neu verdrahten. Eigentlich. Denn so lange die Ukraine vor der Gefahr eines weiteren Konflikts mit Russland steht, hat sie dafür keinen Raum.“

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