Angestrichen:
„[...] it's easy for a song like ‚Happy’ to become a call to action across borders. It's completely random — at first glance — but that's the magic of this global music culture. Pharrell perhaps never intended ‚Happy’ to be more than a catchy summer hit, but even a perfectly-oiled pop machine can't account for the creative capacity of the whole world.“
Wo steht das?
Auf PolicyMic.com, einem amerikanischen Online-Magazin, das sich mit seinen Beiträgen hauptsächlich an die „Millennials“ richtet, also an alle, die um die Jahrtausendwende im Teenageralter waren.
Worum geht’s?
„Clap along if you know what happiness is to you / Clap along if you feel like that’s what you wanna do“, singt Pharrell Williams – wer fröhlich ist und Lust drauf hat, der soll mitklatschen.
Dass die Menschen allerdings gar nicht mehr aufhören würden, mitzuklatschen, damit hat Pharrell Williams sicher nicht gerechnet, als er „Happy“ schrieb. Als die Single im November 2013 erschien, ging gleichzeitig die Webseite 24hoursofhappy.com online, auf der man ein 24-stündiges Musikvideo zu „Happy“ anschauen kann, in dem fröhliche Menschen durch die Straßen von Los Angeles tanzen. Das war eine schöne Marketingidee – und löste einen Hype aus. Mittlerweile wurden in unglaublich vielen Städten und Ländern eigene „Happy“-Videos gedreht. In jedem von ihnen tanzen junge Menschen (und hin und wieder auch Kinder und Ältere) ausgelassen zwischen Häusern, auf Bürgersteigen, in U-Bahn-Stationen, in Parks, an Flussufern, mal professionell, mal eher ungeschickt, aber sie alle lachen dabei. Es gibt auf YouTube Videos aus Berlin, Köln, Amsterdam, Paris, Barcelona, Abu Dhabi, Amman, Washington D.C., Algier, Lyon, Tel Aviv, Sofia, Al-Hoceima, Veszprém, Gdynia, von den Bermuda-Inseln und den Bahamas, aus Kenia, Bosnien und Sindelfingen. Und das sind längst nicht alle.
Die PolicyMic-Autorin Shan Wang hat in diesem großen Pool ein paar Videos entdeckt, die besonders herausstechen: Solche, die in Städten oder Ländern gedreht wurden, in denen die soziale oder politische Lage gerade besonders schwierig ist. Zum Beispiel „Happy“ von den Philippinen. Dort tanzen die Menschen teilweise vor den Trümmern, die der Taifun Haiyan im November 2013 hinterlassen hat. „Never give up“ wird am Ende der knapp drei Minuten eingeblendet. Oder „Happy“ aus Tunis, das immer noch mit den Nachwehen der Revolution zu kämpfen hat. Oder „Happy“ aus Kiew: Tanzende Menschen werden mit Bildern von Straßenschlachten gegengeschnitten und einzelne Demonstranten geben Statements ab. Sie sagen, was sie glücklich machen würde. Zum Beispiel eine freie Ukraine.
http://www.youtube.com/watch?v=7B5AXBFeRLM#t=221"Happy Kyiv" - die "Happy"-Version zum Protest in der Ukraine
Und was lernen wir daraus?
Mit diesen Videos, schreibt Wang, ist „Happy“ vom Animationsfilm-Soundtrack zum Protestsong des 21. Jahrhunderts geworden. Für die Millenials ist er damit das, was für die 68er „I Ain’t Marchin’ Anymore“ von Phil Ochs war oder für die Irakkrieg-Gegner „American Idiot“ von Green Day. Der Unterschied zwischen diesen Protestsongs und „Happy“ ist ziemlich offensichtlich: die Botschaft der Lyrics. Die von „I Ain’t Marchin’ Anymore“ ist eindeutig pazifistisch. Die von „Happy“ ist erstmal einfach nur: Gute Laune! Das ist, wie Wang schreibt, zwar „completely random“. Aber das mache eben gerade den Zauber der heutigen, globalisierten Popmusik aus. „Happy“, als ein Vertreter davon, sei universell, international, leicht zu remixen.
Das bedeutet: Welcher Song zum Protestsong wird, entscheidet nicht mehr der, der ihn schreibt. Sondern der, der ihn hört. Ein Song, der als Protestsong angelegt ist, würde heute nicht mehr seinen Zweck erfüllen. Pazifistische Liedtexte wirken aus der Zeit gefallen, sicher auch schön, aber voller Nostalgie, sie klingen nach Mama und Papa, Oma und Opa, Fotos in Sepia, Kitsch. Und schrecklich unsubtil, wie ein moralischer Holzhammer. Der heutige Protestsong braucht von sich aus gar nicht viel Potenzial, er braucht keine tiefschürfende Botschaft, weil das geballte Potenzial der ganzen Welt, die er über das Internet erreicht, sich darin entfalten kann. Jeder kann den Song nehmen, damit spielen und seine eigene Botschaft damit verknüpfen – egal ob die „In Paris zu leben ist wunderschön“ oder „Wir wollen Frieden in der Ukraine“ lautet. Das Rezept für den Protestsong des 21. Jahrhunderts lautet kurz zusammengefasst: Naivität statt Weltschmerz. Denn wenn man es genau nimmt, ist „Happy“ ja nichts anderes als das alte Kinderlied „If you’re happy and you know it clap your hands“. In einer etwas erwachseneren Soul-Version.
Es sind also die Vorzeichen, die die Hörer setzen, mit denen „Happy“ eine Protest-Botschaft eingeschrieben wird. Wang schreibt, als Protestsong sei „Happy“ „ein Song über Ausdauer und Entschlossenheit im Angesicht unglaublicher Bedrängnis“. Man stelle sich vor, wie Demonstranten in Istanbul, Kiew oder Caracas diese Zeilen singen: „Here come bad news talking this and that / Well, give me all you got, and don’t hold back / Well, I should probably warn you I’ll be just fine / No offense to you, don’t waste your time.“ Das wirkt plausibel. Als Protestsong. Als Durchhalteparole. Als Hoffnungsanheizer.
Etwas relativieren muss man Wangs These allerdings doch noch. Dass Popmusik alle erreicht, stimmt ja so nicht. Wenn man sich die vielen „Happy“-Videos anschaut, sieht man: Popmusik erreicht überall auf der Welt die gleichen Menschen. Junge, gebildete Menschen aus der Mittelschicht. Die ab und zu mal einen Bauarbeiter animieren, kurz zu einem Pharrell-Williams-Song zu wippen, damit sie ihn in ihrem Video unterbringen können. Das ist ein bisschen wohlfeil. Aber es ist ja trotzdem ganz schön zu sehen, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die theoretisch die eigenen Freunde sein könnten. Und dass sie es überall gut meinen, mit sich und der Welt. Und dabei auch noch gut gelaunt sind.
„[...] it's easy for a song like ‚Happy’ to become a call to action across borders. It's completely random — at first glance — but that's the magic of this global music culture. Pharrell perhaps never intended ‚Happy’ to be more than a catchy summer hit, but even a perfectly-oiled pop machine can't account for the creative capacity of the whole world.“
Wo steht das?
Auf PolicyMic.com, einem amerikanischen Online-Magazin, das sich mit seinen Beiträgen hauptsächlich an die „Millennials“ richtet, also an alle, die um die Jahrtausendwende im Teenageralter waren.
Worum geht’s?
„Clap along if you know what happiness is to you / Clap along if you feel like that’s what you wanna do“, singt Pharrell Williams – wer fröhlich ist und Lust drauf hat, der soll mitklatschen.
Dass die Menschen allerdings gar nicht mehr aufhören würden, mitzuklatschen, damit hat Pharrell Williams sicher nicht gerechnet, als er „Happy“ schrieb. Als die Single im November 2013 erschien, ging gleichzeitig die Webseite 24hoursofhappy.com online, auf der man ein 24-stündiges Musikvideo zu „Happy“ anschauen kann, in dem fröhliche Menschen durch die Straßen von Los Angeles tanzen. Das war eine schöne Marketingidee – und löste einen Hype aus. Mittlerweile wurden in unglaublich vielen Städten und Ländern eigene „Happy“-Videos gedreht. In jedem von ihnen tanzen junge Menschen (und hin und wieder auch Kinder und Ältere) ausgelassen zwischen Häusern, auf Bürgersteigen, in U-Bahn-Stationen, in Parks, an Flussufern, mal professionell, mal eher ungeschickt, aber sie alle lachen dabei. Es gibt auf YouTube Videos aus Berlin, Köln, Amsterdam, Paris, Barcelona, Abu Dhabi, Amman, Washington D.C., Algier, Lyon, Tel Aviv, Sofia, Al-Hoceima, Veszprém, Gdynia, von den Bermuda-Inseln und den Bahamas, aus Kenia, Bosnien und Sindelfingen. Und das sind längst nicht alle.
Die PolicyMic-Autorin Shan Wang hat in diesem großen Pool ein paar Videos entdeckt, die besonders herausstechen: Solche, die in Städten oder Ländern gedreht wurden, in denen die soziale oder politische Lage gerade besonders schwierig ist. Zum Beispiel „Happy“ von den Philippinen. Dort tanzen die Menschen teilweise vor den Trümmern, die der Taifun Haiyan im November 2013 hinterlassen hat. „Never give up“ wird am Ende der knapp drei Minuten eingeblendet. Oder „Happy“ aus Tunis, das immer noch mit den Nachwehen der Revolution zu kämpfen hat. Oder „Happy“ aus Kiew: Tanzende Menschen werden mit Bildern von Straßenschlachten gegengeschnitten und einzelne Demonstranten geben Statements ab. Sie sagen, was sie glücklich machen würde. Zum Beispiel eine freie Ukraine.
http://www.youtube.com/watch?v=7B5AXBFeRLM#t=221"Happy Kyiv" - die "Happy"-Version zum Protest in der Ukraine
Und was lernen wir daraus?
Mit diesen Videos, schreibt Wang, ist „Happy“ vom Animationsfilm-Soundtrack zum Protestsong des 21. Jahrhunderts geworden. Für die Millenials ist er damit das, was für die 68er „I Ain’t Marchin’ Anymore“ von Phil Ochs war oder für die Irakkrieg-Gegner „American Idiot“ von Green Day. Der Unterschied zwischen diesen Protestsongs und „Happy“ ist ziemlich offensichtlich: die Botschaft der Lyrics. Die von „I Ain’t Marchin’ Anymore“ ist eindeutig pazifistisch. Die von „Happy“ ist erstmal einfach nur: Gute Laune! Das ist, wie Wang schreibt, zwar „completely random“. Aber das mache eben gerade den Zauber der heutigen, globalisierten Popmusik aus. „Happy“, als ein Vertreter davon, sei universell, international, leicht zu remixen.
Das bedeutet: Welcher Song zum Protestsong wird, entscheidet nicht mehr der, der ihn schreibt. Sondern der, der ihn hört. Ein Song, der als Protestsong angelegt ist, würde heute nicht mehr seinen Zweck erfüllen. Pazifistische Liedtexte wirken aus der Zeit gefallen, sicher auch schön, aber voller Nostalgie, sie klingen nach Mama und Papa, Oma und Opa, Fotos in Sepia, Kitsch. Und schrecklich unsubtil, wie ein moralischer Holzhammer. Der heutige Protestsong braucht von sich aus gar nicht viel Potenzial, er braucht keine tiefschürfende Botschaft, weil das geballte Potenzial der ganzen Welt, die er über das Internet erreicht, sich darin entfalten kann. Jeder kann den Song nehmen, damit spielen und seine eigene Botschaft damit verknüpfen – egal ob die „In Paris zu leben ist wunderschön“ oder „Wir wollen Frieden in der Ukraine“ lautet. Das Rezept für den Protestsong des 21. Jahrhunderts lautet kurz zusammengefasst: Naivität statt Weltschmerz. Denn wenn man es genau nimmt, ist „Happy“ ja nichts anderes als das alte Kinderlied „If you’re happy and you know it clap your hands“. In einer etwas erwachseneren Soul-Version.
Es sind also die Vorzeichen, die die Hörer setzen, mit denen „Happy“ eine Protest-Botschaft eingeschrieben wird. Wang schreibt, als Protestsong sei „Happy“ „ein Song über Ausdauer und Entschlossenheit im Angesicht unglaublicher Bedrängnis“. Man stelle sich vor, wie Demonstranten in Istanbul, Kiew oder Caracas diese Zeilen singen: „Here come bad news talking this and that / Well, give me all you got, and don’t hold back / Well, I should probably warn you I’ll be just fine / No offense to you, don’t waste your time.“ Das wirkt plausibel. Als Protestsong. Als Durchhalteparole. Als Hoffnungsanheizer.
Etwas relativieren muss man Wangs These allerdings doch noch. Dass Popmusik alle erreicht, stimmt ja so nicht. Wenn man sich die vielen „Happy“-Videos anschaut, sieht man: Popmusik erreicht überall auf der Welt die gleichen Menschen. Junge, gebildete Menschen aus der Mittelschicht. Die ab und zu mal einen Bauarbeiter animieren, kurz zu einem Pharrell-Williams-Song zu wippen, damit sie ihn in ihrem Video unterbringen können. Das ist ein bisschen wohlfeil. Aber es ist ja trotzdem ganz schön zu sehen, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die theoretisch die eigenen Freunde sein könnten. Und dass sie es überall gut meinen, mit sich und der Welt. Und dabei auch noch gut gelaunt sind.