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Aufmarsch der Gladiatoren

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Als vor zwei Wochen die ersten Stimmen laut wurden, die Sanktionen gegen russische Politiker forderten, machte ein Witz die Runde: Was der oppositionelle Blogger Alexej Nawalny mit allen Kampagnen und Enthüllungen nicht geschafft hat, das schafft Putin mit seiner Ukraine-Politik innerhalb von Tagen – dass korrupte Politiker und Beamte ihren Besitz im Ausland verlieren.




Wladimir Putin hat seine Machtzentrale umgebaut

Am Montag machten die USA und die Europäische Union ihre Drohung wahr, Personen Visa zu verweigern und ihre Konten zu sperren, wenn sie im Vorgehen gegen die Ukraine eine entscheidende Rolle gespielt haben. Auf der Liste, die die USA veröffentlichten, stehen unter anderem der für die Rüstung zuständige Vizepremier Dmitrij Rogosin, die Sprecherin des Föderationsrats, Walentina Matwijenko, sowie Sergej Glasjew, der sich als Berater des Präsidenten um die Belange der Eurasischen Zollunion kümmert, der die Ukraine anstelle der EU beitreten sollte.

In Moskau räumte die Regierung erstmals ein, dass die Volkswirtschaft doch von der Krise beeinträchtigt werden könnte. „Die wirtschaftliche Situation zeigt An-zeichen einer Krise“, sagte Vizewirtschaftsminister Sergej Beljakow. Doch mittlerweile wächst der Eindruck, dass der russische Präsident Nachteile für die politische Elite offenbar ebenso einkalkuliert hat wie

großen Schaden für die russische Wirtschaft. Beobachter sehen darin den Beleg dafür, dass endgültig ein Umbau im Machtsystem erfolgt ist, der sich bereits seit Putins Rückkehr in den Kreml abgezeichnet hat.

Lag Putins Machtformel in der Vergangenheit in seiner Rolle als Moderator zwischen unterschiedlichen Gruppen – ei-nem sozialen Flügel, einem Wirtschaftsflü-gel, dem Militär und den Geheimdiensten–, ist Berichten aus seinem Umfeld zufolge der Kreis derjenigen, die Zugang zum Präsidenten haben, immer kleiner geworden. Selbst für viele, die in Putins Machtvertikale weit oben stehen, kam die Ermächtigung für einen Militäreinsatz in der Ukraine offenbar unerwartet.

Als der stellvertretende Verteidigungsminister Ende Februar ausländische Diplomaten, den internationalen Regeln folgend, über das kurzfristig anberaumte Manöver unterrichtete, war er offenbar selbst nicht ganz mit der Meldung vertraut, die er vom Blatt ablas, berichten Teilnehmer des Treffens. Noch zwei Tage bevor sie als Vorsitzende des Föderationsrats den Beschluss verkündete, Putin freie Hand für einen Einsatz des Militärs zu geben, hatte Walentina Matwijenko erklärt, ein Militäreinsatz komme gar nicht infrage. In ihrer Funktion als Vorsitzende des russischen Oberhauses ist sie zugleich eines von zwölf ständigen Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrats, der über diese Fragen berät, war aber offenbar nicht über die Pläne informiert gewesen. Und der Duma-Vorsitzende Sergej Naryschkin hatte größte Formulierungs-Schwierigkeiten, als er vor den Kameras erklären sollte, welchen Auftrag sein Parlament dem Präsidenten gerade gegeben hatte.

Sein Vertrauen schenkt der 61-jährige Putin dagegen einem Kreis von Personen, die ihm in vielem ähnlich sind: Sie stammen aus Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, haben in der Regel dort Karriere im Geheimdienst gemacht und sind sogar ähnlich alt wie der Präsident. Sergej Iwanow, 61, der Leiter der Präsidialadministration, ist in Leningrad geboren, hat die Schule des KGB durchlaufen, war Vizepremier und Verteidigungsminister. Nikolai Patruschew, 62, ebenfalls aus Leningrad, hat den Geheimdienst seit Mitte der Siebzigerjahre nie verlassen, war von 1999 bis 2008 Direktor des KGB-Nachfolgers FSB und ist seitdem Sekretär des Sicherheitsrats. Der 62-jährige Alexander Bortnikow, der seitdem den FSB leitet, hat seine Geheimdienstkarriere ebenfalls in Leningrad begonnen.

Die „Gruppe der Ehrlichen“ nennt der Journalist Maxim Trudoljubow von der Wirtschaftszeitung Wedomosti den engen Machtzirkel. Die Absage des G-8-Gipfels oder Sanktionen gegen einzelne Personen würden die Vertrauten nicht schrecken. „Putin hat solche Reaktionen bereits einkalkuliert“, urteilt er. Mehrmals habe der Präsident zuletzt die Elite ermahnt, Vermögen aus dem Ausland zurück in die Heimat zu bringen. Das Vorgehen gegen die Ukraine ohne Rücksicht auf die internationalen Reaktionen und auf die Wirtschaft zeige, dass Putin seine Wahl getroffen habe: Kommando- statt Marktwirtschaft, Zwang statt Verhandlungen, Druck statt einer freien Entwicklung. „Die Absage an Vermögen im Ausland bedeutet, dass man als Mitglied der Partei der Ehrlichen nur hier leben kann und nur an der Seite der Macht.“

Nach den Jahren des russischen Öl- und Konsumbooms mit Wachstumsraten um die sieben Prozent hat sich die russische Wirtschaft von der Krise 2009 nicht mehr erholt. Das magere Wachstum, das dem Land für die kommenden Jahrzehnte vorhergesagt wird, reicht nicht mehr, um den alten Vertrag mit dem Volk – Stabilität und Wohlstand gegen Loyalität – weiter aufrechtzuerhalten.

An seine Stelle tritt die Angst vor äußeren und inneren Feinden. Dass sich dieser Umschwung auch in den Köpfen der

Menschen vollzieht, zeigte eine neue Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts:

63 Prozent der Russen sind überzeugt, dass ihr Land eine Großmacht ist – das ist der höchste Wert, den die Forscher je gemessen haben, seitdem sie vor 15 Jahren zum ersten Mal diese Frage stellten. Damit wird ein Gefühl wiederbelebt, das in der Sowjetunion Volk und Partei stets zusammenhielt: der Stolz auf die Größe und Macht des eigenen, von Feinden umzingelten Landes. Das imperiale Auftreten gegenüber der Ukraine hilft dabei. Vor die Wahl gestellt, ob Russland lieber eine Großmacht sein soll, die geachtet und gefürchtet wird, oder ein Land mit hohem Lebensstandard, aber weniger Einfluss, entschieden sich die meisten Befragten für die erste Variante – Großmachtstolz vor Wohlstand. Der Wandel ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass die im Boom gewachsene Mittelschicht ihren Aufstieg dem Kreml mit Protesten gedankt hat.

Nachdem am Sonntagabend die vorläufigen Ergebnisse des Referendums ver-kündet worden waren, erinnerte Putins oberster Propagandist Dmitrij Kisseljow im Sender Rossija 1 noch einmal daran, dass man von dem Land nichts zu befürchten habe, das die Ukraine am entschlossensten verteidigt. Vor einem feuerroten Atompilz stehend erklärte Kisseljow, Russland sei in der Lage, die USA trotz aller Abwehrsysteme „in radioaktive Asche“ zu verwandeln.

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