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Die irren Augen von Mesut Özil.

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Die irren Augen von Mesut Özil können schreiben.

Es war ein Tag, wie jeder andere: Eine bekannte Aneinanderreihung von Gewohnheiten, Abläufen und Gesprächen. Ich badete darin, wie in einem „Ich habe Miles Davis gehört und verstanden“ Badezusatz. Es roch nach Moschus mit einer kleinen Prise Patchouli. Zufrieden suhlte ich mich in meiner überbordenden Selbstgenügsamkeit. Bis. Ja. Bis die Mutter aller Eilmeldungen über den Live-Ticker kabelte. Eine Horror-Nachricht. Nein, der Krim-Krieg war nicht ausgebrochen. Schlimmer. Der Musikantenstadl wurde bis Ende 2015 verlängert. Und als wäre das Elend der Welt nicht versinnbildlicht durch diesen Sieg des Schunkel-Deutschlands über den Rest an Geschmack, meldete die Abendzeitung Insolvenz an. München ohne Abendzeitung ist wie Kir ohne Royal. Na, gute Nacht.


In dieser Stimmung saß ich am Tresen meiner Stamm-Kneipe und genoss ein Pils aus der Hausbrauerei. Ich fühlte mich als Teil einer Bewegung, die sich nicht bewegte, sondern an Kneipentresen festgebunden die Dinge versteht. Oder verstehen will. Oder auch nicht versteht. Je nachdem, wie man es eben versteht. Verstanden? Egal. Jedenfalls sitze ich da schaue die Kacheln an der Wand an, denke deswegen aus unerfindlichen Gründen an Jörg Kachelmann in einem „New Jörg City“ T-Shirt, als mir der Typ neben mir auffällt. Also nicht der Typ an sich, sondern seine Augen. Ich bin total fasziniert davon, denn sie sehen genau so aus, wie die von Mesut Özil. So ein bisschen glupschig und rausgewölbt, als ob der Druck in seinem Kopf einfach zu groß ist. Und diese gewisse Melancholie in seinem Blick: wie ein steter Herbst der stummen Schreie.


Ich schaue ihm in die Mesut Özil Augen, grinse und setze an: „Du hast Augen wie...“ „Mesut Özil“, verbindet der junge Mann meinen Satz. Scheinbar hat er das schon oft gehört. Vielleicht auch zu oft. Spontan bitte ich ihn um ein Autogramm. Er lacht und unterschreibt auf einem Bierdeckel. Lässig schiebt er den Deckel rüber. Leider hat er aber nur die Augen von Mesut Özil und ist nicht Mesut Özil selbst. Darum kann ich sein Autogramm nicht auf ebay verkoofen und bekomme dafür circa 300 Milliarden Euro. Was könnte ich für die 300 Milliarden Euro alles erstehen? Zum Beispiel die Abendzeitung. Dort würde ich ohne Schimmer vom Journalismus Schimmerlos-Journalismus machen. Ich finde das ist ein wunderbares Vorhaben. Die Abendzeitung wäre die erste Tageszeitung die völlig unabhängig von ihren Lesern wäre. Die bräuchte sie gar nicht mehr. Warum auch? Wir könnten über alles schreiben, was wir wollten: Blumen, Bienen oder abstürzende Steilküsten. Ein Traum. Und wenn es mal einen Tag geben würde, an dem wir keinen Bock hätten, würde die Abendzeitung einfach gar nicht mehr erscheinen. Oder als App.  Was auf das gleiche hinausläuft. Wie einfach die Welt doch war, wenn man sie durch die irren Augen des Mesut Özil betrachtete.


Ich zahlte, ging raus auf die Straße, auf der es schon nach Frühling roch. Es war doch nicht alles schlecht. Nur fast alles.



PS: Der einzige Stadl-Witz, den ich noch reißen kann:


„Darf ich mich vorstellen: Andy Borg.“


„Angenehm: Alf, Mensch.“


 




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