Ich habe eine Leibspeise. Ein Lieblingsessen, das ich über die Jahre perfektioniert habe: Auberginenlasagne. Ein geschichteter Leckerbissen.
In Ermangelung eines Freundes, einer Mitbewohnerin oder häufiger Gäste an meiner Tafel habe ich in den letzten drei Jahren also meist für mich alleine gekocht, anfangs noch in der großen Auflaufform. Doch um mich selber auszutricksen und so weniger zu essen, wurde eine Single-Auflaufform angeschafft. Lange habe ich herumprobiert, was die perfekte Füllmenge ist, damit nichts beim Backen aus der Form schwappt, die Auberginen aber gleichzeitig von einer ausreichend großen Menge an Hackfleischsoße bedeckt werden.
70 Gramm gemischtes Hackfleisch. Nicht 80, nicht 60. 70 - der perfekte Kompromiss.
Und da ich mir mein Lieblingsessen gelegentlich zwei bis viermal die Woche gönne, bin ich häufiger Besucher bei den Metzgereifachverkäuferinnen im Supermarkt meines Vertrauens. „Ich hätte gerne 70 Gramm gemischtes Hackfleisch.“ „Wieviel?“ „70.“ Ich meine den Unglauben in ihrer Stimme zu hören, den Spott und das Mitleid. Denn was bedeutet es, 70 Gramm gemischtes Hackfleisch zu kaufen? Man ist alleine, hat niemanden, der für einen den Knoblauch hackt, der einem beim Kochen über die Schulter schaut und danach hilft, das Geschirr abzuspülen. Die logische Konsequenz daraus ist, dass man abends auch alleine ins Bett geht, ohne die Körperwärme eines anderen Menschen und morgens alleine aufsteht, nur eine Tasse Kaffee macht, seine Zeitung nicht teilen muss (darf?) und sich nur mit sich selbst unter die Dusche stellt. Und dass man nachmittags alleine in den Supermarkt geht, mit niemandem, der einem hilft, die Einkäufe zu tragen und gänzlich verwaist an der Fleischtheke steht. Der Kreis schließt sich.
Als Single ist man ja heutzutage keineswegs allein, stellt es doch eher ein Massenphänomen bindungsunwilliger Halberwachsener dar. Doch als „vereinsamter“ Mensch begegnen einem zu häufig Situationen, in denen man sich seiner Mannlosigkeit mehr als bewusst wird. Die Pärchen im Freundeskreis häufen sich, die Zukunftspläne (Heiraten, Kinder) werden konkreter und aus zwei Individuen wird ein Wir. Da wird man in Ermangelung eines Partners beim traditionellen Spieleabend schon mal mit dem alleinstehenden Arbeitskollegen zwangsgepaart oder von Freundinnen an den nächstbesten Kumpel verschachert. „Der wär doch was für dich“, hört man oft. Dass der der-wär-doch-was-für-mich-Mann einen Kopf kleiner ist als man selber oder nicht im Mindesten interessant zu sein scheint, ist hier eher zweitrangig. Denn der traurige Single muss ja schnellstmöglich unter die Haube gebracht werden. Die Welt ist nicht ausgelegt auf alleinstehende Menschen. Gesellschaftsspiele, die man nur mit einer geraden Anzahl an Leuten spielen kann, der Weißkohlkopf, für den man alleine bestimmt zwei Wochen brauchen würde, um ihn aufzuessen oder das Riesenrad, in das man sich nur unter besonderer Peinlichkeit ohne Anhang setzen würde. Dass man alleine auch ganz zufrieden sein kann, ist für manche ein Mysterium. Nur als Paar ist man ein geschlossener Kreis, vervollständigt sich gegenseitig.
Und dennoch bin ich ein ganzer Kreis. Ich habe das meiste, was ich zum Glücklichsein sein brauche, bereits. Ich bin gesund, habe ein Dach über dem Kopf, habe einen bezaubernden Freundeskreis, einen Nebenjob, der mir gefällt, ein Studium, das mir meistens Spaß macht und mich selbst. Ein quasi ausgefülltes Leben. Natürlich fehlt der Mann. Aber solange kein anständiges Exemplar in Sicht ist, komme ich auch ohne durchaus gut zurecht.
Einmal wurde ich von der Metzgereifachverkäuferin gefragt, ob ich diese kleine Menge Hackfleisch eigentlich ständig für meine Katze kaufe. Dadurch sind mir zwei Dinge klar geworden: Erstens, auch die Fleischtheke im Supermarkt sieht mich ohne Mann und Aubergingenlasagnen-Mitverschwörer als unvollständigen und wahrscheinlich schlechten Kunden. Zweitens, ich sollte öfter mal etwas anderes kochen oder mir zumindest ein anderes Geschäft für meine Besorgungen suchen. Denn nein, ich habe weder eine Katze noch einen Freund. Die Singleportion wird somit zur modernen Form des Rentnertellers.
Aber ich habe Abhilfe geschaffen. Um den genervt-mitleidigen Blicken der beschürzten Damen zu entgehen, habe ich mir 200 Gramm fertig abgepacktes Hackfleisch gekauft und es daheim in Portionstütchen a la 70 Gramm eingefroren. So bleibt mir zumindest diese Blamage eine Zeit lang erspart. Und wer weiß, vielleicht findet sich ja bald dieses seltene Exemplar Mann, was natürlich auch ich mir wünsche. Dann stehen wir gemeinsam an der Wursttheke und ich verlange mit lauter Stimme 140 Gramm gemischtes Hackfleisch.