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Vaginal verliebt

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Mit dem Silvestergeläut um Mitternacht gehe ich in das dritte Jahr meiner Singlezeit. Für mich ungewohnt lang und ungewohnt ereignisreich in sexueller Hinsicht. Der attraktive Single von heute lässt eben nichts anbrennen und nimmt jede Gelegenheit wahr, die verkümmerte Seele in einer Nacht mit soviel ekstatischer Liebe und Zuneigung – sprich: gefühllosem Sex – aufzuladen, wie sie nur kann, um auch die nächste Trockenphase in Erinnerung an die guten alten Zeiten durchzustehen. Dass der Sex bei weitem nicht in jeder dieser Nächte so toll war wie man gehofft hatte, die Konversation davor und danach nicht halb so spritzig wie gewünscht und der Kerl in der Nüchternheit des Morgens manchmal nicht annähernd so gut aussah wie es die biergeschwängerte Nacht vorgaukelte, sei mal dahingestellt. Sicher ist, dass man nicht aus jedem dieser Abenteuer so unbeschwert und emotional peripher tangiert herausgeht, wie man es sich selbst vorgenommen hat. Oft hat dies überhaupt nichts damit zu tun, ob der Sex, die Gespräche oder der Typ eben doch toll waren, sondern einfach nur damit, dass es Sex, Gespräche und einen Typen gab. Eine kleine, aber feine Nebenwirkung des Single-Daseins ist es leider zuweilen, dass man zwar mit der letzten Beziehung abgeschlossen hat, nicht aber mit DER Beziehung im Allgemeinen. Und auch wenn man vielleicht emotional noch nicht bereit ist, sich wieder in die schöne, aber doch einengende, kompromissbedürfende Vertrautheit einer Partnerschaft einzulassen (was für mich nicht gilt), so fehlt einem gelegentlich eben doch ein Stückchen Nähe, Egopush oder das Begehrtwerden. Wir haben ein Wort dafür erfunden, das Männern immer ein unverständliches Stirnrunzeln abzwingt, von Frauen aber meist sofort verstanden wird, da die meisten es kennen werden. Darf ich vorstellen?: Die vaginale Verliebtheit.


Vaginale Verliebtheit also. Soso! Zwei reizende Wörter für ein großes Gefühl, das keins ist, zumindest kein echtes, oder zumindest keine echte Verliebtheit. Es ist die Sorte Verliebtheit, die ein Penis dir durch seine schiere Anwesenheit in deine Vagina einpflanzen kann und die von dort aus direkt in dein Herz geht und gleichzeitig versucht, deinen Verstand über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass du weder den Nachnamen noch das Lieblingsbuch deines One-night-Stands weißt oder, eine noch tragischere Form, es dir eigentlich schnurzpiepsegal ist, weil du dem Typ sowieso nichts zu sagen hattest. Diese Form der Verliebtheit tritt meistens dann auf, wenn mindestens eine der drei Komponenten (Sex, Konversation, Typ) zumindest einigermaßen berauschend war und lockt uns bezüglich der anderen zwei auf eine falsche Fährte. Wenn der Sex beispielsweise das weibliche Äquivalent zum Championsleague-Finale 2013 war, rufen Herz und Vagina im Chor, dann sei es nicht so wichtig, dass der Mann aussieht wie Gollum, da ja sowieso die inneren Werte zählen und überhaupt der Kater am morgen bestimmt einen Schleier der Unattraktivität über ihn gelegt hat. Und das mit den Gesprächen kommt dann schon mit der Zeit, wenn man sich erst besser kennt. Hat man hingegen über Gott und die Welt geredet und sich innerlich schon auf einem Kahn unter den Brücken Venedigs durchfahren sehen, war der Sex nur deshalb schlecht, weil man sich noch nicht kannte und das erste Mal mit einem Fremden ja meistens nicht so prickelnd ist. Und die inneren Werte ja sowieso. Fast am tragischsten ist es, wenn der Mann, mit dem Mann die Nacht zu teilen man auserwählt war, atemberaubend gut aussah, sowohl im Schleier der Dunkelheit als auch im Schein des Morgens. Und bums... aus „bloß keine Gefühle“ wird „irgendwie war er doch toll. Vielleicht könnten wir das wiederholen?!“. Und genau darin liegt die Krux. Wir verlieben uns nicht in den Mann, sondern in die Illusion einer sehnlichst erwarteten perfekten Beziehung, die nicht wie die vorherigen den Gang alles Lebendigen geht und qualvoll verendet. Daher ist die am schwersten zu erkennende und zu kurierende Form die, bei der alle drei Komponenten erfüllt sind, wenn wir Beziehungssimulation in Reinkultur erleben. Denn obwohl Sex, Gespräch und Mann toll sind, muss und kann das noch lange nicht bedeuten, dass wir uns auch wirklich eine Beziehung mit dieser Person vorstellen könnten. Meist liegt es daran, dass es da noch ein leises, aber vehementes und durchsetzungsfähiges Stimmchen gibt, das uns davor bewahrt, dem Gefühl unserer Vagina all zu große Beachtung zu schenken: Der Verstand. Diese kluge Institution unseres Körpers kennt uns nämlich ziemlich gut und weiß, dass wir eigentlich niemals mit dem Gras-Dealer, dem egozentrischen Schauspieler oder dem Verschwörungstheoretiker glücklich werden könnten. Und hier liefern sich nun das vaginal beeinflusste Herz und der Verstand einen verbitterten Kampf, der sich im zehnminütigem Stimmungswechsel („Wieso schreibt er mir nicht?“ vs. „Naja egal, ich will ja eh nichts von ihm.“ vs „Aber wie er mich angefasst hat, war so toll“ vs. „Der Sex war schlecht, er hat nen Knall und sein Penis ist auch klein. Das einzige was er kann, ist gut aussehen“ vs. „Aber er siehst sooo gut aus“) niederschlägt und einen nicht zur Ruhe kommen lässt.


Mit der hundertsten vaginalen Verliebtheit und mit dem einhergehenden Gewitter im Kopf , manchmal gepaart mit Zurückweisung, wenn man dem inneren Drang doch nicht widerstehen konnte, wächst die Einsicht. Nicht umsonst haben wir ein Wort dafür gefunden. Und man wird klüger, lernt zu trennen, was echtes Glück ist und was nur emotionale Masturbation... - sollte man meinen. Klar wird man reflektierter und lernt die Zeichen zu deuten, diskutiert, analysiert und reflektiert stundenlang in bester Gesellschaft anderer vaginal verliebter Seelen, bastelt labyrinthartige Theorien und beschließt immer aufs neue, das nächste Mal erst gar nicht in diese Lage zu kommen, weil man sich, kackscheiße nochmal, doch eigentlich darüber im Klaren ist, dass das alles nur vorgegaukelte Gefühle der (weiblichen) Psyche sind. Aber weil Reflektiertheit kein Synonym für Aktionismus oder Disziplin ist, wird fröhlich weiter gevögelt und fröhlich weiter verliebt. Und immer wieder hat man immer neue dieser immer gleichen Schmetterlinge im Bauch. Und irgendwie ist das doch auch schön. Denn wenn man schon Single ist, dann will man trotzdem was spüren. Und sei es nur falsches Glück. Oder eben vaginale Verliebtheit, wie wir sie nennen.  


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